Politik/Inland

Neues Buch: Was Kurz und Kogler zusammenhält

553 Seiten, was für ein Schmöker! Seit mittlerweile 43 Jahren erscheint das "Jahrbuch für Politik" der Politischen Akademie der Volkspartei. Und angesichts der eher begrenzten Anzahl an Büchern, die sich praxisorientiert mit Parteien, Parlament und Politik auseinandersetzen, ist das Jahrbuch an sich eine Institution. Jahr für Jahr versammeln die Herausgeber rund um den früheren Nationalratspräsidenten Andreas Khol Dutzende Autoren, um die innenpolitischen Verhältnisse zu beleuchten - so auch im nun erschienenen 2019er Band (Böhlau Verlag, 47 Euro).

Auch diesmal gilt: Nicht alle Texte vermögen den Leser zu überraschen. Dass sich etwa der frühere SPÖ-Klubobmann Josef Cap an ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz abarbeitet und diesem unterstellt, er wolle Österreich "autoritärer" machen, ist fast ebenso vorhersehbar wie der Text von Stefan Steiner, der als wichtigster Berater des ÖVP-Chefs über Jahre hinweg intimes Politik-Wissen angehäuft hat - dieses aber kaum mit der Leserschaft teilt.

Dennoch oder gerade deshalb empfiehlt es sich, auf die bemerkenswerten Beiträge hinzuweisen.  Und derer gibt es einige,  inbesondere in Hinblick auf die neue türkis-grüne Bundesregierung.

So etwa der Text von Thimo Fiesel. Fiesel war in der Phase der Regierungsbildung Generalsekretär der Grünen, und er beschreibt, wie seine Partei ohne Infrastruktur und unter gehörigem Druck mit der ÖVP erst sondierte und dann eine Regierung paktierte. Spannend ist, dass Fiesel offen zugibt, dass sich ÖVP und Grüne in den Gesprächen nur bedingt vertraut haben. "Vertrauen ist in so einer Situation keine oder eine sehr kleine Kategorie", schreibt er. "Vertraulichkeit aber schon."

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A propos Grüne: Im Beitrag der damaligen Kommunikationschefin Karin Strobl finden sich anekdotisch unterhaltsame Details aus den Wochen, in denen die Parlamentspartei 2017 ihren Rausschmiss aus dem Hohen Haus verkraften musste. Man erfährt, wo sich das Sanierungsteam der Grünen getroffen hat - in einer Bäckerei am Wiener Hauptbahnhof; was die scheidende Abgeordnete und heutige Klubchefin Sigi Maurer mit ihrem Parlamentssofa gemacht hat - es verkauft; und man bekommt eine Ahnung davon, was in Werner Kogler vorgegangen sein muss, als er nach dem Rauswurf aus dem Parlament mit glasigen Augen zwischen den Umzugskisten im Noch-Parlamentsklub umherwanderte.

Umweltschutz soll sich rechnen

Der frühere Vizekanzler und ÖVP-Vordenker Josef Riegler propagiert in seinem Beitrag mit ungebrochener Leidenschaft das Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft. Laut Riegler war es immer programmatisch in der Volkspartei vorhanden - allein die Praxis konnte da nicht mithalten. Mit der Regierungsbeteiligung der Grünen sieht Riegler nun wieder eine Möglichkeit, den vermeintlichen Widerspruch zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz aufzulösen. "Umweltschutz soll sich wirtschaftlich rechnen!", schreibt der frühere Vizekanzler. "Das gilt für die Produktion ebenso wie für Mobilität und Konsum." Dass manche, "rückwärtsgewandten Ökonomen" das nicht verstanden hätten, sei schade.

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Zeitgeschichtlich spannend ist die Rückschau der früheren SPÖ-Staatssekretärin Brigitte Ederer. Ederer analysiert den EU-Beitritt Österreichs und weist dabei auf einige handwerkliche Fehler hin, die mit dazu beigetragen haben dürften, dass die erfolgreiche Beitrittskampagne zur Europäischen Union so rasch an positiver Strahlkraft eingebüßt hat. Die frühere Siemens-Chefin weist unter anderem auf ein Sparpaket hin, das die Bundesregierung zur Budgetkonsolidierung sehr bald nach dem EU-Beitritt beschlossen hat. Die Konsequenz: Das Sparpaket erweckte den Eindruck, es stünde im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Österreichs.

Nicht ohne Verbitterung merkt Ederer an, dass "wochenlang" darüber diskutiert wurde, wer auf Seiten der Republik den Beitrittsvertrag unterzeichnen bzw. bei dieser Veranstaltung dabei sein darf. Ederer wurde als EU-Staatssekretärin und Teilnehmerin verhindert und schreibt, dass es "heute unvorstellbar wäre, dass ausschließlich vier Männer diesen entscheidenden Vertrag unterschreiben." Ihr Schluss: "Kleinkrämerhafte Kontroversen" hätten dazu geführt, dass der proeuropäische Konsens zugunsten traditioneller Parteipolitik geopfert wurde. Eine Gefahr, die wohl nicht nur in den 1990er Jahren bestand.

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