Politik/Inland

ÖVP lässt Werner Faymann zappeln

Nach den schmerzhaften Verlusten für SPÖ und ÖVP beginnt das Ringen um eine neue Bundesregierung. Am Montag tagten die Parteigremien der einstigen Großparteien, um sich auf die weitere Vorgangsweise zu einigen.

Während die SPÖ Koalitionsgespräche mit der ÖVP beschloss (siehe unten), ziert sich diese – und liebäugelt mit einem blauen Seitensprung. Hinter vorgehaltener Hand wurde am Wahlabend mehrmals die Option Schwarz-Blau-Stronach ins Spiel gebracht. Offiziell will das aber niemand sagen.

ÖVP-Chef Michael Spindelegger will in den nächsten Tagen die Lage sondieren: „Ich habe den Auftrag bekommen, mit allen Parteien zu reden“, sagte er Montagabend nach dem Bundesparteivorstand. Als Themen nannte er Wachstum, Arbeitsplätze, Steuern und Familien. Als erste Koalitionsverhandlungen will VP-Geschäftsführer Hannes Rauch das aber nicht verstanden wissen: „Der Ball liegt bei Werner Faymann, der den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten wird.“ Rot-Schwarz sei jedenfalls keinesfalls fix.

Die Zustimmung zu einer Neuauflage der Großen Koalition will sich die ÖVP offenbar teuer abkaufen lassen. Auf eine Absage an die FPÖ wartete man am Montag daher vergeblich. Rückenwind für den Kurs kommt aus den Ländern: Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer sagte zum KURIER: „Ich schließe gar nichts aus. Wer jetzt Eingrenzungen macht, schwächt seine Verhandlungsposition.“ Die ÖVP müsse im Vorfeld definieren, wo es keine Kompromisse gebe. Dreier-Koalitionen seien sicher nicht leichter als eine Große Koalition. Aber: „Einfach ,Weiter so’ wird nicht gehen.“

Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer ließ auf KURIER-Anfrage ausrichten: „Eine Große Koalition ist für uns nicht in Stein gemeißelt.“ Notwendig sei eine „Offenheit gegenüber allen Varianten“. Aus dem Büro von Vorarlbergs Landeschef Markus Wallner heißt es: „Eine Neuauflage der Großen Koalition ohne Wenn und Aber kann es nicht sein.“ Im ORF-Radio sagte Wallner, es brauche „ganz klare Signale in Richtung Reformen.“ Kärntens VP-Chef Obernosterer plädierte für eine „Zusammenarbeit des bürgerlichen Lagers“ – also für Schwarz-Blau-Stronach oder Schwarz-Blau-Neos. Das fände auch der Wiener VP-Chef Juraczka „interessant“.

„Die ÖVP hat im Gegensatz zur SPÖ verschiedenste Möglichkeiten – und ist daher in der besseren Verhandlungsposition“, sagt Staatssekretär Reinhold Lopatka. Spindelegger solle offen in Gespräche gehen. „Es gibt keinen Druck, rasch einen Abschluss zu machen.“

Pröll dagegen

Auch wenn die schwarze Drohkulisse mit FPÖ und Stronach rechnerisch möglich wäre (51 %), spricht ein gewichtiger Grund dagegen: Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll betonte noch am Wahlabend seine Präferenz für eine Große Koalition. Als Hürde gilt für Pröll wohl nicht nur die FPÖ – auch die Beziehung zu Frank Stronach ist von gegenseitiger Abneigung geprägt.

Es müsse aber eine neue Form der Zusammenarbeit geben, meinte Pröll am Dienstag im Ö1-Morgenjournal. "Dass die Grundsätze und vor allem die klare Handschrift der Österreichischen Volkspartei sichtbar und spürbar wird", ist für Pröll „wesentlich“. Den Rückzug von SPÖ-Bildungsministerin Claudia Schmied sieht er als "Schuldeinbekenntnis" dafür, dass in der Bildungsfrage nichts weitergegangen sei.

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Die Kanzler der Zweiten Republik:

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Zwei Stunden waren ursprünglich anberaumt, aber erst nach mehr als drei Stunden war Montagnachmittag die Sitzung des SPÖ-Präsidiums vorbei. Zu besprechen gab es ja genug. Die Roten haben bei der Wahl den ersten Platz verteidigt, mit 26,9 Prozent aber das schlechteste Ergebnis in der Parteigeschichte eingefahren. In absoluten Zahlen klingt es noch dramatischer: Die SPÖ hat im Vergleich zu 2008 mehr als 310.000 Wähler verloren – ein Großteil davon ging nicht mehr zur Wahl (173.000).

Die Partei hatte also ein Mobilisierungsproblem: „Unsere Wähler sind zu Hause geblieben“, resümierte Oberösterreichs roter Frontmann Josef Ackerl.

Debattiert wurde natürlich auch über das ernüchternde steirische Ergebnis (siehe Seite 6). Gespräche über Personalrochaden wurden offiziell in Abrede gestellt. Hinter den Kulissen wurde freilich darüber spekuliert, wer welches Ressort bekommt, wer bleiben – und wer gehen dürfte.

„FPÖ ist keine Option“

Klar ist vorerst nur, was die SPÖ nicht will. Faymann hatte sich schon Sonntagabend (erneut) festgelegt, dass er nicht mit der FPÖ regieren werde. Wiens Bürgermeister Michael Häupl gab ihm gestern Rückendeckung: „Die FPÖ ist keine Option.“

Faymann bekam denn auch offiziell den (gewünschten) Auftrag, Verhandlungen mit der ÖVP zu führen. Der Kanzler betonte, „fast alle“ Präsidiumsmitglieder hätten sich für eine Zweier-Koalition ausgesprochen. Etwaige Bedingungen wollte der Kanzler nicht stellen.

Besteht nicht die Gefahr, dass die ÖVP den Preis für eine Kooperation nach oben treibt, wenn die SPÖ nur eine Option – die Neuauflage von Rot-Schwarz – hat? Ackerl ätzt: „Die ÖVP soll nicht so tun, als würde es auf sie alleine ankommen. Wir haben auch andere Koalitionsoptionen.“ Welche? „Eine Vier-Parteien-Regierung.“ Aber der Oberösterreicher weiß natürlich, dass ein solcher Bund bestenfalls „Unterhaltungswert hätte, nicht mehr“.

Faymann gab sich trotz der schwarz-blauen Drohkulisse gelassen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Koalitionspartner die falschen Schlüsse aus dem Ergebnis zieht“, sagte er zum KURIER.

Hinter vorgehaltener Hand hört man anderes. Viele Sozialdemokraten schließen nicht aus, dass die Schwarzen erneut mit den Blauen kooperieren könnten. Für die nötige Regierungsmehrheit könnte das „Team Stronach“ sorgen.

So weit ist es aber noch lange nicht: Zunächst einmal wird Bundespräsident Heinz Fischer heute die „Demission“ der Regierung annehmen – und sie gleichzeitig beauftragen, die Amtsgeschäfte weiterzuführen. Danach will er mit allen Parteichefs reden. Erst nachdem das offizielle Endergebnis vorliegt (Donnerstagabend), wird das Staatsoberhaupt – den Usancen entsprechend – den Chef der stimmenstärksten Partei (Faymann) beauftragen, eine Regierung zu bilden. Der Präsident macht kein Hehl aus seiner Präferenz. Er plädiert für eine Zweier-Koalition, also de facto für Rot-Schwarz.

Jeder Wahltag ist eine Zitterpartie für die Parteien. Am Sonntag wurden die Nerven ihrer Spitzen besonders strapaziert. Werden die Neo-Kandidaten „Neos“ in den Nationalrat kommen? Schafft das BZÖ dies erneut – oder ist es Geschichte? Wie macht sich der Polit-Neuling Frank Stronach? Verlieren Rot und Schwarz gar die Regierungsmehrheit? Und verdrängt die FPÖ die ÖVP auf Platz 2?

Auch wenn die Briefwahl- und die Wahlkarten fehlen (werden heute ausgezählt, werden aber nicht viel verändern), sind die Fragen zu beantworten: Die SPÖ von Werner Faymann konnte den ersten Platz verteidigen, sie hat – laut dem vorläufigen Endergebnis – aber im Vergleich zu 2008 verloren: 2,2 Prozentpunkte. Auf 27,1 kommt sie jetzt. So wenig haben die Roten noch nie bei einer Nationalratswahl eingefahren. Unterrichts- und Kulturministerin Claudia Schmied hat nach sechs Jahren genug von der Politik und kündigte am Montag ihren Rücktritt an.

Frust und Freude

Gleiches gilt für die ÖVP, angeführt von Michael Spindelegger. Sie hat erneut Zuspruch eingebüßt. Die Schwarzen sind mit 24 Prozentpunkten zwar weiterhin Nummer 2, aber mit viel geringerem Abstand als bisher vom Dritten, der FPÖ. Die hat 3 Prozentpunkte zugelegt. Zuletzt hatte sie 17,54; jetzt sind es 20,6.

Der Grünen Schicksal war bisher: In den Umfragen wird ihnen mehr vorausgesagt, als sie dann erreichen. Bis zu 14 Prozent waren Eva Glawischnigs Truppe prognostiziert worden; 12,5 Prozent sind es geworden. „15 Prozent plus“ hatten die Ökos angepeilt. Auf Rang 4 sind sie aber nach wie vor.

Reaktionen aus der Wirtschaft

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Auf Platz 5 ist einer, der bereits im Parlament war, obwohl er sich keiner Wahl gestellt hatte. Mithilfe oranger Abtrünniger hatte Frank Stronach einen Klub. Jetzt haben die Bürger über ihn gerichtet: 5,7 Prozent haben für den Milliardär gestimmt. Er hatte sich viel mehr erhofft. Immerhin war er zu Beginn des Wahlkampfs in Umfragen bei zehn Prozent gelegen.

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Wirkliche Newcomer haben auf Anhieb reüssiert: Die Neos des einstigen ÖVP-Wirtschaftsbündlers Matthias Strolz bringen es auf 4,9 Prozent – womit sie die Hürde in den Nationalrat (4 %) locker nehmen. In Vorarlberg, seinem Herkunftsland, hat Strolz, der mit dem LIF im Bunde ist, beachtliche 13,2 Prozent ergattert.

Aus dem Parlament verabschieden müssen sich Josef Buchers Orange. Das BZÖ kommt laut Hochrechnung auf lediglich 3,5 Prozent (minus 7 % im Vergleich zur Wahl 2008). Mit der von Jörg Haider 2005 gegründeten Partei ist es im Bund vorbei.

Besorgniserregend für alle Parteien: Die Wahlbeteiligung ist weiter gesunken. Einziger Lichtblick für Rot und Schwarz: Ihre Regierungsmehrheit bleibt erhalten – auch wenn sie geringer als bisher ist. Einzelne Bundesländer-Resultate müssen rote und schwarze Strategen ebenfalls alarmieren. In der Steiermark etwa ist die FPÖ nunmehr Nummer 1. Eine Watsch’n für die dortigen „Reformpartner“ SPÖ und ÖVP. Die geplanten Gemeinde­fusionen haben viele Bürger wohl nicht goutiert.

In Vorarlberg hat die ÖVP 5,2 Prozent verloren, erreicht 26,1. Noch schlimmer ist es für ÖVP-Klubchef Karlheinz Kopf gekommen, der dem Ländle entstammt. In seiner Heimatgemeinde Altach haben die Schwarzen acht Prozent weniger als zuletzt. Besser ergeht es seinem Schwager, Grün-Mandatar Harald Walser. Ein leichtes Plus gibt es dort für seine Partei.

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