Kanzler Nehammer: "Spitze der Eskalation ist noch nicht erreicht"
Von Johanna Hager
"Es ist leider eingetreten, was wir seit Tagen befürchtet und wovor wir gewarnt haben", sagt Bundeskanzler Karl Nehammer, nachdem Wladimir Putin Montagabend Donezk und Luhansk anerkannt und Truppen entsandt hat.
Dienstagvormittag tagte das Krisenkabinett, beriet darüber, wie Österreich mit der "eklatanten Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine“ (Außenminister Alexander Schallenberg) umgeht.
"Die Situation in der Ukraine habe sich "massiv verschärft", so Nehammer nach den Beratungen. "Die Zeichen stehen leider immer mehr auf Konfrontation."
Die russische Föderation baue an "Phantomstaaten", so der Kanzler weiter. Die Anerkennung Putins von Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten stehe dem Minsker Abkommen diametral gegenüber. "Russland bricht das Abkommen und erschwert diplomatische Beziehungen." Ob der folgenschweren Ereignisse wird der Botschafter Russlands am Dienstag ins Außenministerium zu einer Unterredung zitiert.
Nehammer: "Krieg ist immer die schlechteste aller Antworten"
"Österreich ist militärisch neutral, das heißt aber auch, dass wir eine klare Meinung haben", so der ÖVP-Kanzler. Österreich habe gerade auch deshalb "Stimme und Gewicht innerhalb der EU". Man müsse alles unternehmen, damit "die Diplomatie nicht ans Ende der Fahnenstange" gelangt. "Krieg ist immer die schlechteste aller Antworten." Kriegerische Auseinandersetzung brächten nebst Leid und Elend immer viele Verlierer mit sich. "Wir setzen uns mit der OSZE für eine Wiederaufnahme der Gespräche ein," so der Kanzler. Das Krisenkabinett, bestehend aus Außenministerium, Verteidigungsministerium, Innenministerium sowie Umwelt- und Energieministerium, habe sich bewährt. Noch heute, Dienstag, werde es ein Treffen von Außenminister Schallenberg mit Vertretern der OSZE geben.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist aus Sicht Österreichs aktuell das geeignete Forum für diplomatische Initiativen in der Ukraine-Krise. Dort sei ein Dialog mit Russland am ehesten möglich, so Nehammer. "Wir müssen wieder von vorne anfangen“, resümiert er das zerbrochene Vertrauen zwischen Ost und West. Die OSZE hat 57 Mitgliedsländer und gilt mit ihrer Mission in der Ostukraine als unparteiischer und unbewaffneter Beobachter der Situation. Am Nachmittag sollten hochrangige Diplomaten im Ständigen Rat der OSZE über die Regelverstöße Russlands beraten, wie das OSZE-Vorsitzland Polen bekanntgab.
150 Österreicherinnen und Österreicher in der Region
Ob es zu Energielieferengpässen kommen wird, beantwortete Nehammer wie folgt: "Die Energieversorgung in Europa ist gesichert", Private würden immer bevorzugt und: "Es wird nie kalt, auch wenn die Jahreszeit kalt ist".
Eine mögliche Evakuierung von österreichischen Staatsbürgern in der Ukraine sei gewährleistet, so es notwendig sein sollte. 150 Österreicherinnen und Österreicher befinden sich derzeit in der Ukraine.
Sollte es zu Fluchtbewegungen aus der Ukraine kommen, so sei Österreich zwar kein "Primärland", werde jedoch alle humanitäre Hilfeleistung bereitstellen, sofern von Nöten. Da Österreich nur "eine sehr kleine ukrainische Community" im Vergleich zu anderen Ländern wie Deutschland habe, sei mit keinen großen Fluchtbewegungen nach Österreich zu rechnen. Österreich werde jedenfalls - wie stets, so der Kanzler - humanitäre Hilfe leisten, wo diese notwendige ist.
Ausdrücklich will sich Nehammer bei Wolodymyr Selenskyj, dem Präsidenten der Ukraine bedanken. "Er hat sich auf keine militärische Provokation und Konfrontation eingelassen." Dies zeuge von Umsicht.
Das jetzige Vorgehen Österreichs sei ein mit der EU akkordiertes. Bei einer weiteren Provokation Russlands werden nicht mehr die Außenminister, sondern zudem die Regierungschefs beraten, so Nehammer auf Nachfrage.
Dass Deutschland und Österreich betreffend Sanktionen auf der Bremse stünden, stellt der Kanzler in Abrede. Das sei viel mehr bewusst falsch gestreuten Nachrichtenmeldungen geschuldet. Entsprechend der Eskalation der russischen Föderation werden auch die Sanktionen eskaliert werden - und dies akkordiert mit den europäischen Partnern.
Österreich sei gewahr und bereite sich darauf vor, dass mögliche Spionage-Angriffe - wie bereits 2020 gegenüber dem Außenministerium in Form eines Cyberangriffs geschehen - zunehmen können. "Derzeit ist die Lage aber ruhig und gesichert", so Nehammer.
In einer früheren Version war irrtümlich vom ukrainischen Botschafter die Rede. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.