IV-Präsident Knill schlägt Alarm: "Es ist wirklich kritisch"
IV-Präsident Georg Knill wünscht sich bei der Regierungsbildung viel mehr Tempo und bezieht entschieden Position gegen das Eingehen eines EU-Defizitverfahrens.
"Das käme einer Selbstaufgabe gleich", sagt Knill im APA-Interview vor allem in Richtung SPÖ - aber auch ÖVP und NEOS. Insgesamt seien ihm "Farbenspiele egal", solange nur erkannt werde, dass beim Standort Feuer am Dach sei und dieser wieder auf Vordermann gebracht werde. Spätestens Anfang Jänner müsse Klarheit herrschen.
"Nein, es ist nicht halb so schlimm", sagte Knill: "Es ist wirklich kritisch. Daher ist eine Einsicht der politischen Entscheidungsträger notwendig, dass es standortrelevante Maßnahmen braucht und auch gibt. So interpretiere ich die Wahlergebnisse, das ist erwartbar. Das erwarten wir uns."
"Es ist fatal in dieser politischen Situation, dass man an ein EU-Defizitverfahren denkt, weil man dann offensichtlich weniger sparen muss", kritisiert Knill im Lichte des viele Milliarden schweren Budgetlochs. "Dabei wird die Souveränität des Landes aufgegeben - so auf die Art 'liebe EU sag' mir, was ich tun muss': Das ist eine Selbstaufgabe. Wenn ich politisch so weit bin, dann muss ich über gröbere Dinge nachdenken, das kann es nicht sein", so der IV-Präsident in Richtung Sozialdemokraten.
Offen für Absenkung der Firmenförderungen Richtung EU-Schnitt
Viel mehr brauche es jetzt "mutige, nicht immer populäre Maßnahmen". Nicht alle müssten sofort wirken, auch mittel- und langfristige Einsparungen. Angesprochen seien Pensionen und der Föderalismus sowie Effizienzen in der Verwaltung im Bildungs- und Gesundheitsbereich: "Da liegen Milliardenbeträge ohne dass man am Leistungsspektrum was adressiert. "Jedenfalls muss das Budget ausschließlich ausgabenseitig saniert werden. Vermeintliche Tabuthemen gehören angegriffen." Auch meinte Knill: "Der Föderalismus ist nie entflochten worden, immer kam ein neuer Knopf dazu."
Neben der Bildungskarenz und Streichung des Klimabonus könne auch bei den Förderungen für Unternehmen gespart werden, wenn diese auf den EU-Durchschnitt runtergeschraubt würden, so Knill auf Nachfrage. Österreich liegt mit einer Förderquote von 7,5 Prozent des BIP deutlich über dem EU-Durchschnitt von 5,7 Prozent. Eine Reduktion auf den EU-Schnitt würde bei einem BIP von 473 Mrd. Euro ein Konsolidierungspotenzial von 8,5 Mrd. Euro schaffen.
Kritik an Prozess und Dauer der Verhandlungen
"Jetzt dauern die Verhandlungen schon sehr lange", kritisierte Knill. "Über den Prozess kann man separat diskutieren." Es sei "bezeichnend, dass die Gespräche ohne budgetäre Vorgaben begonnen" hätten. "Ein Top-down-Prozess wäre vielleicht effizienter gewesen", so der IV-Chef. "Das Pferd wird von hinten aufgezäumt, zuerst schöne heile Welt und dann kommt man plötzlich in die Realität." Und: "Über Grundlegendes hat man sich offensichtlich noch nicht geeinigt, nicht einmal vor Weihnachten - und das macht mir eher Sorge als Zuversicht."
Keinesfalls dürften Verhältnisse der gescheiterten deutschen Ampelkoalition in Österreich einziehen. "Das Regierungsprogramm sollte genauestens ausformuliert sein." Ansonsten drohten in der Tagesarbeit "wieder typische Konfliktlinien, ideologische Bruchlinien". Erfolg lasse sich ausschließlich aus Fakten feststellen. "Es geht um Inhalte", sagte Knill.
SPÖ-Finanzminister "falsches Signal für Standort"
Die Forderung der SPÖ, stärkere Schultern sollten mehr tragen, kann Knill nichts abgewinnen und stellt eine Gegenfrage: "Wie lange können die stärkeren Schultern noch mehr tragen?". Dabei spricht der Industrielle die Steuer- und Abgabenquote von 44 Prozent an und den Spitzensteuersatz von 55 Prozent.
Was denkt er, wenn er hört, dass die SPÖ den Finanzministerposten für sich beansprucht? "Ich finde, das wäre für den Standort ein falsches Signal. Denn die bisherigen Aussagen lassen zumindest bei AK und ÖGB noch wenig Realitätssinn bzw. die Bereitschaft erkennen, neue Wege zu gehen. Davon wird aber die ganze Regierung abhängen."
ÖVP-Finanzminister für Knill nicht am Budgetloch schuld
Zukünftig brauche es viel mehr Haushaltdisziplin, verlangt Knill. Auf die Frage, ob die IV nicht womöglich mit der Volkspartei aufs falsche Pferd gesetzt habe bzw. setze - die IV gilt traditionell vor allem als ÖVP-, zum Teil aber auch als FPÖ-nahe mit liberalen Einsprengseln - wo die ÖVP seit vielen Jahren den Finanzminister stelle und nun ein Milliardenloch im Budget herrscht, wich Knill aus. "Nein, dafür kann man keiner Partei die Schuld geben", verwies er auf die Coronakrise, die von der Energiekrise abgelöst worden war. "Viele Themen sind der Pandemie und den Krisen geschuldet."
Die Inflation hätten die Unternehmen schlussendlich aber "doppelt bezahlt", da die Löhne immens stiegen. Die Gewerkschaft habe freilich einen Inflationsausgleich haben wollen.
Die Inflation war in Österreich aber über viele Monate zum Teil deutlich höher gewesen als im Durchschnitt der Eurozone. So sind die Lohnstückkosten explodiert und die Wettbewerbsfähigkeit ist quasi einhergehend implodiert.
Industrielle Freud' und Leid mit Freiheitlichen
Wäre es gescheiter gewesen, man hätte die FPÖ mit dem Sondieren beginnen lassen.
"Diese Frage ist an den Bundespräsidenten zu stellen", sagte Knill mit Verweis auf Alexander van der Bellen, dessen Haltung und Einfluss auch von größter Bedeutung sein werde, wenn es bei den Dreiergesprächen weiter oder noch mehr haken sollte. Grundsätzlich hielt der Chef der Knill-Gruppe und IV-Chef fest, dass es an und fürs sich eine rechts-bürgerliche Mehrheit im Hohen Haus gebe, so hätten die Wähler entschieden.
Mit der FPÖ kann die IV allerdings international wenig anfangen: Die Industrie ist vehement für Mercosur, eine starke EU und auch eindeutig für die Russland-Sanktionen, betonte Knill im APA-Gespräch auf die freiheitliche Partei angesprochen. Er ließ aber erkennen, dass mit einem Partner - gemeint die ÖVP - die strittigen Punkte aus Sicht der IV in ihrem Sinne geregelt werden könnten. Ein Wahlprogramm sei noch kein Regierungsprogramm, so der oberste Industrievertreter.