Internet und Politik: Hass gegen Juden nimmt massiv zu
85 Prozent der in Europa lebenden Juden geben an, dass Antisemitismus ihr „größtes Problem“ ist. „Diese Zahl ist schockierend“, sagt EU-Justizkommissarin Vera Jourová dem KURIER.
Sie nahm am Mittwoch an der Konferenz über Antisemitismus und Antizionismus in Wien teil, zu der Bundeskanzler Sebastian Kurz hochrangige Vertreter jüdischer Organisationen eingeladen hat.
„ Antisemitismus umfasst alle Gesellschaftsschichten“, sagt Jourová. „Ich hätte mir nicht gedacht, dass alte Dämonen wieder geweckt werden.“ Ein dramatisches Bild über die Juden in Europa zeigt eine Umfrage der EU-Grundrechte-Agentur, die in zwölf EU-Staaten durchgeführt wurde (16.395 Befragte); im Dezember werden alle Daten veröffentlicht.
Hohe Dunkelziffer
Einige Ergebnisse liegen dem KURIER bereits vor. Gravierend findet Jourová die Tatsache, dass 80 Prozent der Befragten angeben, selbst erlebte antisemitische Vorfälle nicht gemeldet zu haben.
Besonders hoch ist der Anteil rassistischer und antisemitischer Äußerungen im Internet und in den sozialen Medien. 85 Prozent der befragten Juden in Österreich sind im Internet belästigt worden. Besonders hoch ist der Anteil in Frankreich (95 Prozent) und in Polen (92 Prozent). Auch in der Politik fallen Bemerkungen, die gegen Juden gerichtet sind. 63 Prozent der Befragten haben solche Äußerungen in Österreich wahrgenommen.
Als einen der Gründe für die Zunahme von Antisemitismus nennt die Kommissarin die „zunehmende Unsicherheit vieler Menschen“, hervorgerufen durch Globalisierung, Migration und soziale Ungleichheit. „Angst wird geschürt, giftige Botschaften gesendet und Sündenböcke gesucht, das macht unsicher.“
Gesetze mit Härte durchsetzen
Vieles hat die EU-Kommission schon unternommen, Antisemitismus zu bekämpfen. So sind die Profile bekannt, die für Hass-Attacken im Netz verantwortlich sind: "Es ist leider im Mainstream angekommen, gut ausgebildete Ehemänner und Väter mittleren Alters, die Angst vor Migration und Terrorismus haben“, sagt Jourová.
Sie verlangt, die Gesetze, die es gibt, um Hass, Rassismus und Antisemitismus im Netz und im öffentlichen Leben zu ahnden, auch anzuwenden. Auf EU-Ebene arbeitet die Kommission mit den Internet-Giganten zusammen, um Prinzipien und Gesetze in der digitalen Welt „mit aller Härte“ durchzusetzen.
Ein wichtiger Punkt ist für die Kommissarin die Bildung und die korrekte Wiedergabe der Geschichte. „Was mit Juden in der Vergangenheit passiert ist, darüber darf es keine Zweifel geben. Wir müssen Juden die Sicherheit geben, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.“
Vertrauen aufbauen
Um Juden vom Auswandern abzuhalten, muss das Vertrauensverhältnis zu ihnen verbessert werden. „Nur so kann das Auswandern von Jüdinnen und Juden verhindert werden.“
Angesprochen auf die FPÖ, deren Funktionäre und Mitglieder immer wieder mit fremdenfeindlichen und antisemitischen Äußerungen auffallen, setzt Vera Jourová auf Sebastian Kurz. „Ich höre, was der Bundeskanzler sagt: ’Ein Europa ohne Juden ist kein Europa mehr.’ Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine Priorität der österreichischen EU-Vorsitzes.“