Politik/Inland

Integration: „Wir haben uns zu lange nur an die Männer gewandt“

Barbara Novak (41) ist Geschäftsführerin der SPÖ Wien und als solche die engste Mitstreiterin des neuen Bürgermeisters Michael Ludwig. Novak bereitet die SPÖ auf die große Wahlauseinandersetzung um das Rote Wien im Jahr 2020 vor.

KURIER: Frau Novak, nachdem die SPÖ das Kanzleramt verloren hat, avanciert das rot-grüne Wien zum Gegenmodell zu Türkis-Blau im Bund. Wie viel Bundespolitik wird sich in Ihre Arbeit mischen?

Barbara Novak: Wir werden in der Bundespolitik präsent sein, weil wir uns als Gegenmodell zur Bundesregierung in all jenen Bereichen positionieren, wo es um Sozialpartnerschaft, Arbeitsrecht und sozialen Ausgleich geht. Ich bin seit meiner frühesten Jugend auch Gewerkschafterin, deswegen ist es mir ein großes Anliegen, die Interessen der Gewerkschaft voll und ganz zu unterstützen.

Dann bleiben wir gleich beim Thema. Sie arbeiten doch sicher auch zwölf Stunden und oftmals sogar mehr. Was haben Sie gegen den 12-Stunden-Tag in Ausnahmefällen?

Es geht nicht um gut dotierte Leitungsfunktionen, sondern um all jene, die jetzt bereits sehr viel und fleißig arbeiten und denen jetzt eine 60-Stunden-Woche droht. Würde der 12-Stunden-Tag eingeführt in einer 38,5 Stundenwoche, wäre es tatsächlich so, dass die Arbeitnehmer Arbeitszeit blocken und dann in der gleichen Woche am Donnerstag zu Mittag heim gehen könnten. Wenn Arbeitnehmer 60 Stunden in einer Woche arbeiten müssen – wer kümmert sich dann um die Kinder? Haben dann auch die Kindergärten 60 Stunden offen? Und fahren noch öffentliche Verkehrsmittel zu den Randzeiten? In jenen Branchen und Betrieben, wo es jetzt schon flexible Arbeitszeiten gibt, sind sie stets von einem Maßnahmenpaket begleitet, von Betriebskindergärten und anderen Maßnahmen, die die Probleme mit den langen Arbeitszeiten abfangen. Wenn die Flexibilisierung so kommt, wie es die Regierung vorhat, wird es in der Praxis nicht funktionieren. Das ist familien- und frauenfeindlich.

Jetzt soll die Mehrarbeit als „freiwillig“ im Gesetz verankert werden. Reicht Ihnen das? Das schaue ich mir an, wie die Leute zum Chef sagen, sie wollen nicht. Viele Menschen haben Angst um ihren Arbeitsplatz, sie gehen sogar krank arbeiten.

Frau Novak, Sie sind in Ihrer Partei mit der Forderung nach einem Kopftuchverbot für Mädchen angeeckt. An welchem Punkt befindet sich die SPÖ-interne Debatte über den Umgang mit Zuwanderern?

Die Debatte läuft, und das ist gut. In vielem sind wir uns einig, etwa, dass Deutschkenntnisse das Um und Auf sind. Sie helfen und sind notwendig, um in unserer Gesellschaft integriert zu sein und Beziehungen außerhalb der eigenen Community zu knüpfen.

Und wo sind Sie noch nicht einig in der SPÖ?

Wir wissen aus der wissenschaftlichen Forschung, dass Menschen Vielfalt von vornherein nicht automatisch und unbedingt als etwas Positives wahrnehmen. Vielfalt kann im ersten Reflex eher Unbehagen auslösen. Politisch gesprochen: Wenn man will, dass Vielfalt als positiv empfunden werden soll, muss man etwas dafür tun. Da kommen wir zum Kern, den patriarchalen religiösen Strukturen in manchen Zuwanderergruppen. Es geht nicht darum, gegen die individuelle Kopftuchträgerin vorzugehen, sondern um eine systemische Auseinandersetzung. Es geht um Frauen- und Kinderrechte, um das Recht auf sexuelle Orientierung. Ist Religionsfreiheit der höhere Wert? Ich sage: nein. Frauen- und Kinderrechte stehen über der Religionsfreiheit.

Die SPÖ hat sich um die Zuwandererfrauen nie so deutlich gekümmert, wie Sie das jetzt sagen. Warum nicht?

Wir haben uns zu lange nur an die Männer gewandt, an die Vereine, an die Moscheen, und dort sind halt nur Männer. Ich sehe mich in der Tradition von Johanna Dohnal, den Staat auf den Plan zu rufen, um Frauen- und Kinderrechte durchzusetzen.

Regulär ist die nächste Wiener Gemeinderatswahl im Oktober 2020. Wird sie vorverlegt?

Darüber haben nur Zeitungsverleger und Meinungsforscher debattiert, weil sie vielleicht ein Geschäft wittern. Die Wahl in Wien soll zum regulär vorgesehenen Termin stattfinden. Die neue Stadtregierung soll nun Zeit haben, um neue Akzente zu setzen. Ein Fragezeichen ist jedoch derzeit unser Koalitionspartner. Die Grünen müssen ihre internen Querelen in den Griff bekommen, ich kann ihnen nur dringend dazu raten. Denn bei vorgezogenen Neuwahlen riskieren die Grünen, nicht mehr in den Gemeinderat zu kommen.