Politik/Inland

"Ideale verraten und verkauft": Grüne suchen Versöhnung mit Basis

"Mah, hier ist es viel wärmer als bei der Demo", sagt eine ältere Frau und reibt sich beim Ablegen die kalten Hände. Am Montag demonstrierte sie noch gegen die Angelobung der neuen, türkis-blauen Regierung; Dienstagabend sitzt sie im Votivkino, wo die Grünen traditionell ihre "Kino-Weihnacht" feiern.

Obwohl "feiern" ein Euphemismus ist. Nach dem desaströsen Wahlergebnis und dem Rauswurf aus dem Parlament stellte sich der interimistische Parteichef Werner Kogler zum ersten Mal einer Diskussion mit Grün-Anhängern und jenen, die der Partei den Rücken gekehrt haben. Kogler wollte wissen, warum.

Im Publikum war neben einigen Ex-Grünen-Abgeordneten auch die gescheiterte Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek. Mitdiskutiert hat sie nicht, aber die öffentliche Schelte dürfte auch sie interessiert haben.

"Suboptimal gelaufen"

Autorin Sibylle Hamann verlas auf der Bühne eMails; seit dem 15. Oktober sind Hunderte in der Parteizentrale eingetrudelt. So hieß es in einem Schreiben, das Grüne Wahlprogramm sei "Flickwerk", dem Schreiber fehlt "die Vision einer zukünftigen Gesellschaft". Ein Werbefachmann schrieb, dass den Grünen angekreidet wird, "alle Flüchtlinge ins Land zu lassen" und auf die Österreicher zu vergessen. Außerdem mangle es den Ökos völlig an Selbstreflexion und -kritik, heißt es in einem anderen Schreiben.

Das waren noch die sanfteren Meldungen. Ein Wiener Aktivist steht im Publikum auf und schimpft, die Grünen hätten ihre Ideale "verraten und verkauft". Er meint das Projekt Heumarkt – etwas, wofür sich Kogler nicht zuständig fühlt. "Aber ja, das ist suboptimal gelaufen", gestand er ein.

Das Wahlergebnis von 3,8 Prozent erklärt sich Kogler unter anderem damit, dass viele Grün-Wähler (2013 waren es noch 12,4 Prozent) zur SPÖ übergelaufen sind, um Schwarz-Blau zu verhindern. Fehlanzeige. "Wir haben in dieser historisch wichtigen Phase völlig versagt. Man hätte uns gerade jetzt mehr gebraucht denn je", gibt sich der Grünen-Chef reumütig.

"Geld? Ja, bitte!"

Der Hintergrund der Veranstaltung ist klar: Kogler will sich mit der Basis versöhnen. "Was brauchen Sie? "Ideen? Menschen? Geld?", fragt Moderatorin Hamann. "Der Ideenmangel wird’s weniger sein", sagt Kogler. Im Februar ist eine Art "Beteiligungskongress" geplant, bei dem Ideen für den Neuaufbau kanalisiert werden sollen. "Aber Geld? Ja, bitte!" Gelächter im Publikum, aber das ist durchaus ernst gemeint.

Der Schuldenabbau wird ja von den Ländern getragen. Weil die Parteienförderung weggefallen ist, sitzen die Bundes-Grünen ansonsten aber auf dem Trockenen. Kogler überlegt, eine Art "Bundesmitgliedschaft" einzuführen. Parteimitglieder sollen die 50 Euro Jahresbeitrag dann nicht mehr in den Ländern, sondern direkt an den Bund zahlen – oder an beide. Bei derzeit rund 7300 Mitgliedern (eine Schätzung, die länger zurückliegt) ist das zwar nicht viel, "aber besser als gar nichts", sagt ein Grüner zum KURIER.