Die einen "flippen", die anderen "brauchen eh keinen Präsidenten"
Pfirsichfarbener Fliesenboden, an der Wand Kunstdrucke aus dem Möbelhaus, am Kaffeehaustisch aus Kirsch-Furnier wird in dichtem Zigarettenqualm politisiert: Über den neuen US-Präsidenten Donald Trump, über die Mauer, die er zu Mexiko bauen will, und dass "die da oben eh machen, was sie wollen".
Gegen "Bevormundung"
Die Damen outen sich unumwunden als FPÖ-Wählerinnen, rechtfertigen sich im nächsten Atemzug und im übernächsten ärgern sie sich darüber, dass sie sich rechtfertigen (müssen). "In der Schule von meiner Nichte heißt es, den Hofer wählen nur die Ungebildeten", erzählt Sylvia empört. "Die reden uns ein, wen man wählen darf, die Großkopferten", sagt Renate, zieht hastig an ihrer Zigarette, und setzt nach: "Warum bin ich ein Nazi, wenn ich den Hofer besser finde? Die wissen ja gar nicht, was ein Nazi ist." Sie sprechen von "Bevormundung", wünschen sich Veränderung.
Ist es so schlimm in Stockerau, einer 16.440-Einwohner-Stadt im niederösterreichischen Weinviertel? Außer, dass es hier "genug!" Flüchtlinge gebe, fällt den Damen nicht viel ein. In der Stadtregierung sitzen ein roter Bürgermeister, drei ÖVP-Stadträte und einer von der FPÖ.
"Aber eigentlich", und so senkt sich wieder der Blutdruck, "brauchen wir eh keinen Präsidenten. Mir geht er nicht ab", meint Sylvia.
Mobilisierung bis zum Schluss
Warum der KURIER ausgerechnet in Stockerau den Wahlmotiven auf den Grund geht? Bei der aufgehobenen Stichwahl bekam hier Alexander Van der Bellen 50,82 Prozent und lag um nur 133 Stimmen vor FPÖ-Kandidat Norbert Hofer. Österreichweit wurde der "Herr Professor" am 22. Mai mit 50,35 Prozent (kurzfristig) zum Bundespräsidenten gewählt.
Ähnlich "arschknapp" (© Van der Bellen) dürfte es auch bei der Wiederholung am 4. Dezember werden, und beide Parteien setzen in den verbliebenen zwei Wochen des Intensiv-Wahlkampfes alles daran, ihre Anhänger zum Wählen zu motivieren.
In Stockerau kurbelt die FPÖ mit Verteilaktionen, am Info-Stand und in privaten Gesprächen. "Der Zuspruch ist groß", heißt es dort. Ein Stehsatz zur aktuellen, eher verhaltenen Stimmung – auf beiden Seiten.
Nur 27 Stimmen vorn
Johanna R. aus Oberndorf bei Melk sieht das auch so und hat ihre Stimme für Van der Bellen bereits per Briefwahl abgegeben. Als überzeugte Grün-Wählerin ist sie hochnervös: "I flipp scho, womöglich wird’s wirklich der Hofer!"
Der Melker Bürgermeister Thomas Widrich beteiligt sich nicht am Spektakel – nicht am Flashmob, nicht an der Wahl. "Ich werde ungültig wählen, wie schon bei der ersten Stichwahl", sagt der ÖVP-Mann. Andreas Khol, der für die Schwarzen angetreten war, ist ja in der ersten Runde ausgeschieden; und weder Hofer noch Van der Bellen hätten ihn überzeugt, erklärt Widrich: "Der eine bietet einfache Rezepte an, aber so etwas gibt es nicht. Und dem anderen fehlt der Zugang, das Verständnis für die aktuelle Politik."