Politik/Inland

Flüchtlingshelfer: Die Helden des Jahres

Welcher EU-Staat, welches Bundesland, welche Gemeinde soll wie viele Flüchtlinge aufnehmen? Wie werden die Quoten berechnet, wer setzt sie durch? Und wer zahlt das alles? Die Debatte über den Umgang mit den Hunderttausenden Flüchtlingen, die nach Europa kommen, ist noch nicht ausgestanden – auf europäischer wie auf österreichischer Ebene. Abseits von den politischen Weichenstellungen geht es tagtäglich um ganz praktische Dinge: Wer gibt diesen Menschen Essen, ein Dach über den Kopf? Stellvertretend für die vielen Menschen, die sich beruflich oder freiwillig um die Hilfesuchenden kümmern, lässt der KURIER vier der Helfer mit ihren persönlichen Erfahrungen zu Wort kommen.

Alle Inhalte anzeigen

"Es ist schon tragisch, was man hier sieht"

Major Christian Zöhrer ist in Spielfeld im Grenzeinsatz.
„Kleine Kinder als Flüchtlinge, ohne Schuhe, Socken. Da fragt man sich als Mensch schon, ist das notwendig? Als sich der Flüchtlingsstrom Mitte Oktober von Nickelsdorf nach Spielfeld verlagert hat, hatte ich frei. Aber mir war’s wichtig, dass ich dort bin – also bin ich hin. Wir haben seit September mit einer geänderten Flüchtlingsroute gerechnet, weil Ungarn den Zaun gebaut hat. Von der Menge in den ersten Wochen war ich trotzdem überrascht. Wir haben ja schon im September den Auftrag gehabt, eine Anlaufstelle zu machen. Es sind dann auch gut 5000 Menschen über die Steiermark eingereist, dann ist die Welle abgeebbt – bis zum 17. Oktober. Wir waren an sich gewappnet. Aber dass die Menschen dann in dieser Masse aufschlagen, damit haben wir nicht gerechnet.

"Verletzte verhindern"

Bei den sogenannten Durchbrüchen aus der zu eng gewordenen Sammelstelle war ich auch dabei. Wir haben zu wenig Transportkapazität gehabt. Die Leute sind angestanden, Kinder an die Gitter gedrückt worden. Da war klar: Wir machen auf, um Schwerverletzte oder Tote zu verhindern. Mittlerweile haben wir die Sammelstelle mehrere Male umgebaut. Wir wollten verhindern, dass sich so etwas wieder abspielt. Viele Flüchtlinge haben geglaubt, dass sie sich ganz in der Nähe zu Deutschland befinden. Die sind beim Googeln wohl auf Deutschlandsberg gestoßen. Viele sind fort, aber die meisten sind wieder zurückgekommen, als sie gemerkt haben, dass Deutschland weit weg ist. Derzeit ist es ruhiger in Spielfeld, es kommen weniger Flüchtlinge, die Sammelstelle wird umgebaut. Die Arbeit für uns hat sich eingespielt. Es ist tragisch, was man hier sieht, auch wenn man nicht jedes einzelne Schicksal mit nach Hause nehmen kann. Aber man fragt sich schon, wo die Leute hinkommen. Was erwarten sie sich? Was hat man ihnen versprochen? Man weiß ja, dass das nicht erfüllbar sein wird. Es gibt auch schöne Erinnerungen: Wenn da Kinder sind, die mit einem Packerl Schnitten glücklich sind. Da ist man dann froh, dass man ein bisserl hat helfen können.“

Alle Inhalte anzeigen

"Ich drücke meine Kinder mit noch größerer Dankbarkeit"

Saskia Sautner-Schwaiger arbeitet im Tageszentrum am Westbahnhof.
„Es begann am 5. September am Wiener Hauptbahnhof. Wir kamen mit dem Nachtzug aus Split vom Kroatien-Urlaub. Beim Aussteigen sahen wir zweitausend Flüchtlinge, dicht gedrängt in Flipflops am Bahnsteig. Ich hab’ meinem Mann die Koffer in die Hand gedrückt, ihn gebeten, die Kinder mitzunehmen – und fuhr zum Westbahnhof, um zu helfen, zu übersetzen. Ich blieb das gesamte Wochenende – und helfe seit diesem Tag. Das Caritas-Tageszentrum am Wiener Westbahnhof ist so etwas wie mein zweites Wohnzimmer geworden. Hierher komme ich nach dem Büro, bevor ich meine Kinder abhole, manchmal auch wochenends. Ich koche Tee, verteile Brot und Tunfischdosen, helfe bei der Quartiersuche und falte Papierflieger mit Kindern, die warten müssen.

50 bis 70 Männer, Frauen und Kinder sind tagsüber im Zentrum. Sie wärmen sich, bis das Nachtquartier aufsperrt. Viele haben keinen Schlafplatz, obwohl sie im Asylverfahren sind. Manche werden aus Oberösterreich oder Traiskirchen nach Wien geschickt, weil ihnen gesagt wird: ,In Wien gibt’s Schlafplätze, bei uns nicht.‘ Das stimmt zwar nicht, aber trotzdem schläft in Wien niemand auf der Straße. Weil man sich hier anstrengt, dass es nicht dazu kommt; weil es viele Freiwillige mit offenem Herzen gibt, die eine Lösung finden – und sei es die eigene Wohnung.

Glück mit der Sprache

Seit vier Monaten bin ich jetzt Arabisch-Übersetzerin am Westbahnhof. Ich habe die Sprache als Studentin gelernt, das ist 20 Jahre her, mein Zweitfach war Arabistik und Islamwissenschaften. Bis November haben wir täglich bis zu 2000 Transitflüchtlinge betreut. Wir, das sind viele freiwillige Übersetzer. Studentinnen oder Pflegehelfer mit ägyptischen, iranischen oder syrischen Wurzeln. Wir organisieren Notquartierplätze, begleiten zu Asylverfahren, gehen mit den Menschen ins Spital, sind Seelentröster. Natürlich ist es fordernd, manche von uns sind seit vier Monaten täglich ab 7 Uhr früh im Einsatz. Aber man bekommt auch etwas zurück. Wenn ich abends nach Hause komme, dann drücke ich meine Kinder mit noch größerer Dankbarkeit.“

Alle Inhalte anzeigen

"Man hat das Gefühl, man müsste jeden Tag dasein"

Maria und Margit helfen freiwillig im Caritas-Quartier im 19. Bezirk.
„Wir sind von Spenden abhängig, das Bundesheer kommt einmal am Tag mit Suppe fürs Abendessen und Semmeln fürs Frühstück.
Das ist so eine Sache: Man bekommt, sagen wir, 30 Eier und muss die möglichst gerecht verteilen. Das braucht Diplomatie, dass man nicht dem Ersten, der kommt, gleich sechs Eier gibt, sondern schaut, dass alle etwas bekommen. Das ist mitunter sehr frustrierend. Aber es kommt der eigene Gerechtigkeitssinn durch: Wir müssen hier einfach teilen. Und wenn es drei, vier Stunden lang keine Milch gibt, dann nimmt man sein eigenes Geld und geht zum Supermarkt und kauft ein. Man ertappt sich dabei, wie man bei Plastikbechern euphorisch wird. Aber wenn man schon den ganzen Tag sagen muss, Becher sind aus, Eier sind aus, da relativieren sich die Dinge. Die Menschen werden ruhiger, sie kommen langsam hier an. Kritisch ist es, wenn die Kinder nicht raus können. Da kann es schon sein, dass die Stimmung aufbrodelt, dass sie dauernd bei der Essensausgabe sind. Dann muss man sie auch mal rausschicken.

Einige Eltern sind traumatisiert, apathisch. Viele Kinder sind jetzt in der Schule, dadurch werden die Eltern entspannter.

Helfen hat Suchtfaktor

Man muss aufpassen, dass man nicht – so blöd das klingt – süchtig wird. Man hat das Gefühl, man müsste eigentlich jeden Tag da sein. Mir ist es ein inneres Bedürfnis, den Leuten zu helfen. Das beschäftigt mich dauernd: Ich mache einen ganz winzigen Teil – und Millionen Menschen stehen an den Grenzen. Hilflos fühle ich mich trotzdem nicht: Man kann hier etwas bewegen. Ein Bewohner, der schon sehr gut Deutsch spricht, hat zu uns gesagt: „Ihr gebt uns so viel – und wir können euch nichts zurückgeben.“ Viele zeigen uns Videos von ihrer Überfahrt am Handy, erzählen, wie sie gefroren haben, weil sie keine Jacke hatten. Es wäre schön, wenn sich mehr Leute einmal trauen würden, sich das anzuschauen. Über ihre Schatten springen, das einmal auszuprobieren. Dann wären auch viele Vorurteile aus der Welt geschafft.“