Politik/Inland

Heinrich Himmer: "Mehr Mittel für Schulen in sozialen Brennpunkten"

Vor einigen Tagen stand Heinrich Himmer noch als Lehrer in der Klasse. Jetzt er als neuer Präsident des Stadtschulrats und somit quasi Chef der Wiener Lehrer. Gleich zu Beginn machte er klar, dass ihm der Dialog mit seinen ehemaligen Kollegen wichtig ist. In einem eMail an alle Direktoren forderte er sie auf, zu sagen, wo der Schuh drückt. Andrea Walach hat das bereits vor einem Jahr getan, als sie im KURIER mit dem Satz aufhorchen ließ, dass ein Drittel ihrer Schüler niemals einen Job bekommen werde. Jetzt traf sie sich mit ihm in ihrer Schule, der NMS Gassergasse.

KURIER: In Wien gibt es viele Schulen wie die Gassergasse, in denen sich soziale und pädagogische Probleme häufen. Was wäre hier zu tun?

Heinrich Himmer: Mich hat es gefreut, dass das Problem öffentlich gemacht wurde. Als Lehrer hatte ich nämlich oft den Eindruck, dass nicht immer geschaut wird, wo die Bedürfnisse liegen. Als Lehrer einer berufsbildenden Schule bin ich noch kein Experte für Plichtschulen und habe ich auch nicht gleich sofort ein Bündel an Lösungen parat. Was man sich aber vom Stadtschulrat erwarten darf, ist herzukommen, zuzuhören und Maßnahmen auszuarbeiten, die auf die Schulsituation zugeschnitten sind. In der Gassergasse ist seit dem vergangen Jahr schon viel passiert.

Andrea Walach: Stimmt, wir haben Unterstützung bekommen. Das Wesentliche ist, dass man die Kinder in den Mittelpunkt stellt. Viele Kinder in der NMS haben keine Lobby, deshalb müssen wir für sie kämpfen.

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Was braucht es an Hilfe?

Walach: Alles – Sozialarbeiter, Lehrer, Ganztagsbetreuung. Denn alles, was meine Schüler an Hilfe bekommen können, erhalten sie ausschließlich durch die Schule. Wenn wir es nicht tun, passiert es nicht.

Es wurde angekündigt, 100 Unterstützungspersonen in Schulen anzustellen. Was ist aus diesem Versprechen geworden?

Himmer: Bis 2020 sollen diese vollständig im System angekommen sein.

Walach: Es fehlt besonders an ausgebildeten Lehrer. Und die Situation wird nicht besser. Wenn es jetzt für NMS und AHS nur noch eine gemeinsame Lehrerausbildung gibt, werden sich die meisten entscheiden, in der AHS zur unterrichten – so vermute ich. Meine Frage: Wird es Anreize wie in London geben, wo Lehrer in Brennpunktschulen mehr verdienen?

Himmer: Durch das neue Dienstrecht ist das Gehalt zumindest gleich hoch. Aber das wird als Anreiz nicht reichen. Es geht um das Umfeld, das ich schaffe – wenn ich Sozialarbeiter einstelle und die Bürokratie verringere, sodass sich die Lehrer auf ihren Job konzentrieren können, ist schon viel getan.

Sie haben die Entbürokratisierung angesprochen. Was könnte vereinfacht werden?

Walach: 80 Prozent meiner Arbeit ist Administration, was schade ist, weil ich lieber pädagogisch arbeiten würde. Ich muss z.B. Fahrscheine kontrollieren, die Lehrer bei Ausflügen verwendet haben, und eintragen, wie lange dieser gedauert hat. Danach muss ich diese sieben Jahre lang archivieren.

Himmer: Als Lehrer weiß ich, dass Kollegen wegen der Bürokratie sich vieles gar nicht mehr antun, etwa auf Skikurs fahren. Aus diesem Grund sind wir dabei, Erlässe und Verordnungen zu durchforsten. Es gibt z.B. acht Erlässe, die das Fernbleiben regeln. Wenn ich als Direktor erst einmal recherchieren muss, welcher jetzt gilt, ist das frustrierend. Wo es ums Geld geht, wird es schwieriger, weil der Staat wissen muss, wofür es ausgegeben wird. Da stellt sich aber die Frage, ob das der Lehrer machen muss oder ob sich andere Möglichkeiten finden, dass es besser und billiger funktioniert. Das ist das Versprechen als Stadtschulratspräsident – Erlässe durchzuforsten und mit Partnern wie Bund und Land über Erleichterungen zu reden.

Wien wächst. Für immer mehr Schüler gibt es immer weniger Raum.

Himmer: Für das kommende Schuljahr wurden fast 17.500 Schüler neueingeschrieben – das sind 1.000 mehr als im Vorjahr. Campus-Modelle, in denen vom Kindergarten bis zur Unterstufe alles vertreten ist, wären gut, man kann diese aber innerstädtisch schwieriger entwickeln. Dennoch brauchen wir auch dort Schulneubauten, wofür wir die Kommune und den Bund als Partner brauchen. Für neue pädagogische Konzepte wie Ganztagsschulen braucht es zudem mehr Schulraum. Da ist die Frage, wer zahlt. Wir müssen jetzt laut aufzeigen und sagen, dass hier Geld investiert werden muss.

Für Eltern, Schüler und auch Lehrer ist der Übergang von der Volksschule in die AHS bzw. NMS oft nervenaufreibend. Wie könnte man das entkrampfen?

Himmer: Die gemeinsame Schule wäre die Lösung und wird ja auch seit 100 Jahren in Wien propagiert – das werde aber auch ich jetzt nicht sofort lösen können. Wenn am Ende der 8. Schulstufe allerdings alle Schüler die Fähigkeiten und Berechtigungen für eine weiterführende Schule haben, wird die Angst geringer. Eine bessere Durchmischung der Schüler nach Muttersprache ist in Wien rein mathematisch schon fast nicht möglich, weil hier schon jeder zweite ein Migrant ist. Ursachen für Lerndefizite liegen überdies nicht per se an der Umgangssprache, sondern am soziale Hintergrund. Da braucht es Hilfe.

Ein Sozialindex, der Schulen in sozial schwachen Gegenden mehr Ressourcen zuteilt, ist in der Bildungsreform allerdings nicht angedacht.

Himmer: Indirekt schon, nämlich über den Integrationstopf 2, der zur Hälfte nach Wien geht. Wenn ich mich dazu bekenne, dass Bildung wichtig ist, muss ich die Mittel zur Verfügung stellen. Das ist eine Botschaft ans Land Wien, an den Bund und alle Politiker – wir brauchen einen Schulterschluss, dass die Mittel in Schulen wie der Gassergasse ankommen.

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Die Abschaffung der Sonderschulen wird derzeit emotional diskutiert. Die Zauberformel heißt Inklusion, das heißt diese Schüler sollen ins Regelschulwesen integriert werden.

Walach: Im Modell ist das sehr schön, in der Praxis sehr schwierig. Denn jedes Kind braucht etwas anderes, andere Materialien, andere Methoden, anderen Zeitspannen zum Lernen. Nach der Podiumsdiskussion mit dem KURIER habe ich viele Rückmeldungen von Eltern bekommen, die fordern, dass die Sonderschulen erhalten bleiben. Für diese Kinder brauche ich besondere Räume, Personal und Ausstattung. Ohne diese Voraussetzung kann es nicht funktionieren.

Himmer: Ich war gerade einmal zwei Stunden angelobt und schon hatte ich die Mails von betroffenen Eltern im Postfach. Tenor: „Wir fürchten uns vor der Abschaffung der Sonderschulen, weil unsere Kinder eine spezielle Unterstützung benötigen. Man kann aber nicht geschulte Sonderpädagogen über ganz Wien verteilen – da muss man realistisch bleiben und mit Augenmaß herangehen. Es hilft niemanden, wenn Eltern kein Vertrauen ins System haben. Dort wo Inklusion möglich ist, begleiten wir das. Wo nicht, etwa bei basalen Kindern, unterstützen wir das, denn die Sonderschulen haben eine ausgezeichnete Qualität.