Kogler über ÖVP: "Sektenmitglieder des Kanzlerdarstellers"
Um 17 Uhr kannte der Jubel bei den Grünen keine Grenzen mehr. Die erste Hochrechnung, die erst einige Minuten nach 17 Uhr verkündet wurde, brauchte es dazu gar nicht.
Bereits bei der Bekanntgabe der Trends durch die ersten ausgezählten Bezirke gab es in der prall gefüllten Wahlkampfzentrale im Wiener Metropol kein Halten mehr. Und das gleich doppelt: Erst bei der stark nach oben zeigenden Tendenz der Ökopartei selbst. Und dann fast noch mehr beim stark negativen Trend für die FPÖ.
Sunday for Future
Mit frenetischem Jubel wurde Spitzenkandidat Werner Kogler in der Wahlzentrale empfangen. Zu den Klängen von "Don't Stop Me Now" und "Lovely Day" zog er in den knallvollen Saal ein. Dort sprach er von einem "Sunday for Future". In Richtung ÖVP, dem zweiten Sieger der Wahl, zeigte er sich nicht konziliant, ganz im Gegenteil: Er höhnte über die "Sektenmitglieder des Kanzlerdarstellers".
Rede wollte Kogler, wie üblich in blauem Hemd und mit grüner Brille auf der Stirn, eigentlich keine halten. Nachdem die "Werner! Werner! Werner!"-Sprechchöre abgeebbt waren, legte er aber umgehend los. Der Auftrag laute, Österreich zu einem Umwelt-, Klimaschutz-und Naturschutzland Nummer 1 zu machen, und das mit der notwendigen sozialen Absicherung.
Dafür sei man gewählt und gestärkt worden, ebenso wie für große Schritte Richtung Korruptionsfreiheit. "Wir werden das, ganz egal an welcher Stelle, umsetzen." Die Grünen wollten eine "solidarische Gesellschaft freier Menschen in einer intakten Umwelt". Dafür habe man die Partei fast neu gegründet. "Jetzt wollen wir etwas in diese Richtung bewegen. Ja, da haben wir was zu tun." Österreich könne dabei Vorbild für viele sein.
Kogler erinnerte daran, dass man sich innerhalb zweier Jahre vom absoluten Tiefpunkt zurückgearbeitet habe. Nicht nur in Österreich: Auch in ganz Europa sei man nun wieder die stärkste Grünpartei.
Bundesweiter Rekord in Reichweite
14,3 Prozent, das bedeutet nun nicht nur den Wiedereinzug in den Nationalrat. 14,3 Prozent, das übertrifft das bisher beste Nationalratswahlergebnis der Grünen deutlich.
Das waren 12,4 Prozent bei der Wahl 2013. Und selbst das bundesweit beste Ergebnis scheint in Reichweite; legen die Grünen doch bei den Wahlkarten traditionell noch zu.
Dieses waren 14,5 Prozent bei der EU-Wahl 2014. Spitzenkandidatin damals: Ulrike Lunacek. Dieselbe Ulrike Lunacek, die auch Spitzenkandidatin bei der Nationalratswahl 2017 war, als die Grünen ihr bisher traumatischstes Erlebnis hatten und mit 3,8 Prozent aus dem Parlament flogen.
Lunacek im Mittelpunkt
Kein Wunder also, dass bei der Bekanntgabe der Hochrechnung alle Kameras auf die mitten in der Menge wartende Lunacek gerichtet waren - der beim Hochschießen des Grünen Balkens sichtbar ein Stein vom Herzen fiel.
"Alles über 10 Prozent wäre ein Wahnsinn gewesen", sagte sie zum KURIER, "aber das jetzt übersteigt jede Vorstellungskraft".
Damit fasste die langjährige EU-Parlamentarierin die Stimmung im Metropol gut zusammen - wenngleich manche Grüne Fans und Aktivisten ob des enorm starken ÖVP-Ergebnisses auch mit einem weinenden Auge auf das Ergebnis blicken.
Freilich ermöglicht es das starke Abschneiden von Türkis und Grün, dass sich rechnerisch eine türkis-grüne Koalition auch ohne Neos-Beteiligung ausgeht. Und damit die Chancen auf eine Regierungsbeteiligung steigen, hatte ÖVP-Chef Sebastian Kurz doch mehrfach seine Skepsis bezüglich einer Dreierkoalition zum Ausdruck gebracht.
Nicht ohne Ibiza
Vor möglichen Koalitionsverhandlungen wird jetzt jedoch erst einmal gefeiert - und das sicher nicht zu knapp. Natürlich durfte dabei auch der Protest-Sommerhit "We're going to Ibiza" der Vengaboys nicht fehlen, zu dem im Saal bei bester Laune getanzt wurde.
Vor 17 Uhr hatte in der Grünen Zentrale hingegen noch die Zurückhaltung regiert. Die Rückmeldungen aus dem Straßenwahlkampf wären gut gewesen, erzählte ein Aktivist, der auch am Samstag noch bis nach Mitternacht am Gürtel unterwegs gewesen ist.
Und auch, dass der Zuspruch im zehnten Wiener Bezirk, Favoriten - nicht gerade einer klassischen Grünen Hochburg - durchaus ansprechend gewesen sei, hatte zur Hoffnung eines erfolgreichen Wahlabends beigetragen.
"Zurück zu den Grünen", das war das klare Motto des Wahlkampfs der Ökopartei, und es sah schon lange alles danach aus, als würde der Wiedereinzug in den Nationalrat nach dem Supergau bei der Nationalratswahl 2017 gelingen.
Dennoch: Man war vorsichtig. Und darum wollte sich vor den ersten Zahlen um 17 Uhr niemand äußern. Auch, wenn es sehr nach dem deutlichen Wiedereinzug aussah.
Und möglicherweise noch nach deutlich mehr. Die letzten Umfragen versprachen den Grünen konstant über zehn Prozent.
Freilich ließ sich jedoch auch der Ruf der Grünen Umfragekaiser nicht wegdiskutieren. 2017 waren sie in allen Umfragen konstant über der Vierprozenthürde gelegen - mit bekanntem Ausgang.
Grüner Chefmahner
Darum trommelte die Partei, und allen voran Spitzenkandidat Werner Kogler, bis zum Schluss, zuallererst müssten die Grünen zurück in den Nationalrat. Man dürfe "nicht herumspekulieren, nicht taktieren", sandte Kogler beim Wahlkampfabschluss am Freitag eine deutliche Warnung aus.
Und legte Wert darauf, dass es auch alle verstanden: "Die guten Umfragewerte haben uns Grünen noch nie genützt."
Diesmal wurden sie sogar noch übertroffen.