Politik/Inland

Grüne nach Wahlsieg: "Wir gehören in Wirtshäuser und Bierzelte"

Am Abend des 4. Dezember ist nicht nur von Alexander Van der Bellen großer Druck abgefallen. Auch bei den Grünen war enorme Erleichterung spürbar. Ein Jahr lang war im Fokus gestanden, den einstigen Frontmann in die Hofburg zu bringen. Das war nicht nur personal- und zeitintensiv. Auch inhaltlich trat man etwas leiser auf, um den Wahlkampf nicht zu beeinträchtigen. Das gesteht Nationalratsmandatarin Sigrid Maurer durchaus ein: "Man war zurückhaltend. Das ist eine Tatsache."

Terezija Stoisits, die 17 Jahre lang als Grün-Abgeordnete tätig war, formulierte das im ORF-Report schärfer: "Die Grünen müssen angasen und Oppositionsprofil zeigen. Denn eine Oppositionspartei wird bei Wahlen als Oppositionspartei gewählt, um dann in die Regierung zu kommen. Aber man darf sich nicht wie eine Regierungspartei benehmen, so lange man Oppositionspartei ist."

"Unters Volk mischen"

Was also tun? Was sind die Lehren aus dem Wahlkampf? Und worauf sollte man sich nun konzentrieren?

"Unsere Aufgabe ist es, mit einem klaren, linken, sozial- und frauenpolitischen Profil unsere Ideen zu erklären", sagt Maurer. Was heißt das konkret? "Wir müssen etwa bei der absurden Mindestsicherungsdebatte erzwingen, dass man von dem Nach-unten-Treten wegkommt. Denn die Mindestsicherung ist nicht zu hoch, die Löhne sind zu niedrig. Es ist unmöglich, was etwa Frauen für 40 Stunden im Einzelhandel verdienen. Da haben wir einen Auftrag."

Grün-Urgestein Peter Pilz rät den Seinen, sich mehr unter das Volk zu mischen: "Wir gehören in die Wirtshäuser und Bierzelte. Wir müssen die eigenen Milieus verlassen. Ich war im Wahlkampf in vielen Beisln unterwegs, wo keiner je grün gewählt hat. Du musst dort Barrieren überwinden, aber das geht. Ich habe die Menschen etwa gefragt: ,Was meint Ihr? Warum unterstützt (Karl-Heinz) Grasser (Norbert) Hofer?‘ Da hat einer gerufen: ,Weihnachtsamnestie.‘"

Vize-Klubchef Werner Kogler meint auch, man solle mehr unter die Leute gehen: "Der Anteil derer, die das machen, ist sicher steigerbar. Ich predige das seit Langem. Wir müssen auf die Faschingsfeste und Feuerwehrbälle gehen. Wir planen jetzt Betriebsbesuche. Es geht nicht nur um den direkten Kontakt, sondern auch darum, Berührungsängste zu nehmen."

Ist der Draht da, lasse sich herausfiltern, was die Bürger am meisten beschäftige, sagt Pilz. Bei seiner Lokaltour sei das die "Frage nach Gerechtigkeit" gewesen. "Man muss das Gefühl ansprechen, dass die Großen mehr bekommen und die Kleinen mehr zahlen. Das ist ein wahlentscheidendes Motiv. Da wird der SPÖ nicht mehr geglaubt."

Alleinstellungsmerkmal

Stefan Wallner, der scheidende Partei-Manager der Grünen, ortet ein neues Alleinstellungsmerkmal: "Da SPÖ und ÖVP einen Wettlauf – wer kann besser mit der FPÖ – eröffnet haben, haben Menschen, die auf Nummer sicher gehen wollen, nun nur bei den Grünen einen sicheren Hafen für ihre Stimme." Pilz pflichtet bei: "Wir sind die Einzigen, die nicht mit der FPÖ in eine Regierung gehen."

Verlässlich seien die Grünen auch in der Frauenpolitik, lautet der Eigenbefund. Ein Beleg dafür sei, dass fast alle Spitzenpositionen weiblich besetzt seien, sagt Wallner – und zählt "Eva Glawischnig, Astrid Rössler (Landes-Vize/Salzburg) und Ingrid Felipe (Landes-Vize/Tirol)" auf.

Jedenfalls weitergekämpft werde gegen Hass im Netz, der sich ja auch vielfach gegen Frauen richtet (siehe Glawischnig-Interview).

Pilz meint, die Grünen sollten sich höhere Ziele setzen: "Zwölf Prozent (Wahlergebnis 2013) sind zu wenig. Wir müssen um 20 Prozent kämpfen. Nach diesem Wahlkampf habe ich das Gefühl: Das geht." Kogler beziffert das Potenzial mit "25 bis 30 Prozent. Davon müssen wir möglichst viele gewinnen". Wie? "Wir müssen in die Breite gehen, eine echte liberale, grüne Gerechtigkeitspartei mit wirtschaftlicher Vernunft werden." Eines sei aber auch klar: "Jedem aggressiv-mittelalterlichen Dreschflegel-Wähler der FPÖ werden wir nicht hinterherhecheln."

Was bedeutet der fulminante Sieg des ehemaligen Grünen-Chefs für dessen einstige Partei? Der KURIER fragte Frontfrau Eva Glawischnig.

KURIER: Frau Glawischnig, bringt den Grünen Alexander Van der Bellens Sieg Rückenwind?
Eva Glawischnig: Ich betrachte das Ergebnis mit Bescheidenheit und Demut. Die Menschen haben Van der Bellen gewählt. Wir Grünen waren ein Teil der Bewegung.

Anfang Februar steht die Gemeinderatswahl in Graz an. Dort hat Van der Bellen 67 Prozent erreicht. Was sind Ihre Ziele für Graz? Bei der Wahl 2012 waren es 12 Prozent.
In Graz wollen wir Vollgas geben. Wir haben mit Tina Wirnsberger eine neue Spitzenkandidatin, die ich ab Jänner im Wahlkampf persönlich stark unterstützen werde. Ich sehe in der Wahl eine Riesenchance, eine weitere Landeshauptstadt stark zu begrünen.

Wie geht es auf Bundesebene weiter?
Wir bekommen im Jänner einen neuen Bundesgeschäftsführer (Stefan Wallner verlässt die Partei per Jahresende). Ich möchte auch sehr stark daran arbeiten, jüngere Leute in führende Positionen zu bringen, also die Partei personell verjüngen.

Auf welche Themen setzen Sie?
Wir haben immer Frauen gefördert und möchten vor allem Frauen im ländlichen Raum intensiver unterstützen. Ich möchte auch den Kampf gegen Hass im Internet weiterführen. Ich habe bisher 40 Verfahren angestrengt und alle gewonnen. Ein weiteres Thema ist ein Green-New-Deal, das ist in Österreich noch nicht wirklich angekommen. Das ist eine riesen Chance. Da gäbe es viel Potenzial für zukunftssichere Arbeitsplätze. Und ein Thema, das man nicht aus den Augen verlieren darf, ist der Sozialbereich, z. B. die Mindestsicherung.

Die Grünen haben viel Geld in den Van der Bellen-Wahlkampf investiert. Ist noch genug da, falls es zu einer vorzeitigen Nationalratswahl kommen sollte?
Ich glaube, die Wahrscheinlichkeit, dass sehr bald gewählt wird, ist geringer geworden. Wir sind jedenfalls in der Lage einen Nationalratswahlkampf auf gutem Niveau zu führen.

Ihr Ziel für die Nationalratswahl?
Mein Ziel ist, eine progressive Mehrheit jenseits der FPÖ zu bauen.

Wie stark können die Grünen werden? 2013 waren es 12,4 Prozent.
Unser Potenzial liegt bei 15 bis 18 Prozent.