Gesundheitssystem: Forscher orten Schwächen in Qualitätssicherung
Wie es um die Erhebung von und den Zugang zu Gesundheitsdaten bestellt ist, wurde nicht zuletzt im Zuge der Corona-Pandemie zu einem großen Thema in Österreich. Ein Team an der Uni Innsbruck setzt sich bereits seit 2018 mit der Qualitätsmessung im heimischen Gesundheitswesen auseinander. Im Rahmen des Projekts offenbarten sich auch Schwächen etwa hinsichtlich Datenqualität und Transparenz.
Datenlücken
Vermutlich noch nie haben sich derart viele Menschen so intensiv mit Daten aus dem österreichischen Gesundheitswesen auseinandergesetzt wie in den vergangenen Wochen und Monaten. Dabei offenbarten sich auch Datenlücken bzw. Ressentiments bezüglich der Veröffentlichung von Informationen mit Bezug auf die Covid-19-Krise. Dies veranlasste u.a. eine Gruppe namhafter Forscher aus dem Gesundheitsbereich, den Zugang zu Daten in einem Offenen Brief an das Gesundheitsministerium einzufordern. Nun werde an einer Lösung gearbeitet, versicherte daraufhin das Ministerium.
Unabhängig von dieser aktuellen Diskussion arbeitet das Team um die Wirtschaftswissenschafter Silvia Jordan und Albrecht Becker bereits seit eineinhalb Jahren in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt an Fragen zu Qualitätsmessung und -sicherung im Gesundheitssystem. Im Zentrum ihres Interesses steht das A-IQI-Systems (Austrian Inpatient Quality Indicators) in dessen Rahmen aus routinemäßig im Zuge der Leistungsorientierten Krankenhausfinanzierung (LKF) gemeldeten Daten etwa zur Aufenthaltsdauer im Spital oder auf Intensivstationen, erneuten Operationen oder Wiederaufnahmen in der Klinik Rückschlüsse auf die Qualität der in den Anstalten geleistete Arbeit gezogen werden.
Historisch betrachtet, genieße das Thema im heimischen Gesundheitswesen keinen großen Stellenwert, sagte Jordan im Gespräch mit der APA. Das zeige sich etwa im Vergleich zu den USA oder Großbritannien, aber auch in Deutschland werden solche Daten hinsichtlich der Krankheitsbilder detaillierter erhoben und ausgewertet. Das führe etwa dazu, dass Mortalitätsraten zwischen Österreich und Deutschland mitunter nicht vergleichbar sind. Österreichische Experten könnten bei der Analyse mit den Daten - so sie denn darauf zugreifen können - wenig anfangen, "weil sie zu grob sind".
Ampelsystem
Die Krankenhäuser selbst erhalten Rückmeldungen aus dem A-IQI-System nach einem Ampelsystem, mit dem sie pro Indikator im Vergleich zum Österreich-Durchschnitt verortet werden. Wenn die Ampel in einem Bereich rot aufleuchtet, also etwa der Anteil an Herzinfarktpatienten besonders groß ist, die nach einem Eingriff nochmals operiert werden müssen, müssen die Einrichtungen dies zunächst erklären und Vorschläge zur Verbesserung machen. In besonderen Fällen geschieht das in einem zweiten Schritt im Rahmen eines sogenannten Peer Reviews in Zusammenarbeit mit Fachkollegen von anderen Häusern. Eine Erkenntnis aus dem Projekt bisher sei auch, dass dieses System in den Spitälern oft nicht flächendeckend bekannt ist, es aufgrund des Charakters einer "Leistungsmessung" eher abgelehnt wird und defensive Haltungen auslöst. "Das ist aber definitiv nicht, was man vom Ministerium hört", sagte Jordan.
Jene Daten, die etwa in den alljährlichen A-IQI-Bericht des Gesundheitsministeriums einfließen, kämen Patienten bisher kaum zugute, was auch von Patientenvertretern immer wieder bemängelt werde. Auf der Website www.kliniksuche.at lässt sich aber beispielsweise zumindest nachvollziehen, wie oft eine bestimmte Behandlung an einem bestimmten Haus durchgeführt wird. Mortalitäts- oder Komplikationsraten finden sich dort jedoch nicht. "Hier gibt es aber auch Argumente dafür und dagegen. Ich würde es auch nicht uneingeschränkt befürworten, alle Daten zu veröffentlichen", betonte Jordan.
Abseits der Fragen zur Transparenz wurden im Rahmen der Untersuchungen durchaus kritische Stimmen laut, die diesem Qualitätssicherungssystem insgesamt eher Alibicharakter attestieren und Akteuren den Willen zur Veränderung absprechen. Vielfach sei auch zu bemerken, dass unterschiedliche Akteure im Gesundheitssystem zwar "recht starke Meinungen haben", aber wenig miteinander sprechen, sagte Jordan. Hier würden Lernmöglichkeiten vielfach nicht genutzt.
Solche Limitierungen treten im Umgang mit dem neuen Coronavirus mitunter stärker hervor. Die aktuelle Situation und die Aufarbeitung des Geschehens könne aber auch eine Chance für Verbesserungen sein, so die Wissenschafterin. Gerade die dramatisch gestiegene Aufmerksamkeit seitens der Wissenschaft könne etwas bewegen. "Die Fragen sind hier sicher lauter geworden", so Jordan, die etwa Möglichkeiten zum wissenschaftlichen Mitverfolgen von Patientenströmen über das Gesundheitssystem als interessanten Ansatzpunkt nannte. Was zum Beispiel mit jemandem passiert, der eine schwere Covid-19-Erkrankung überstanden hat, sowie längerfristig Analysen zu den Auswirkungen von Vorerkrankungen oder zur Einnahme von Medikamenten "wird mit den momentanen Daten einfach nicht abgebildet. Das gilt aber auch für andere Krankheitsbilder, wo das wichtig wäre".