Faktencheck: Wie es um Flüchtlingsschiffe steht
Im Vorfeld des Treffens der EU-Außenminister in Luxemburg (Montag) und des EU-Gipfels der Staats- und Regierungschefs (Mittwoch und Donnerstag) ließ Bundeskanzler Sebastian Kurz mit heftiger Kritik gegen private Seenotretter aufhorchen: In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) nannte er sie in einem Atemzug mit Schleppern – sie würden Flüchtlinge in die Mitte Europas bringen.
Vorweg: Derzeit ist nur ein NGO-Schiff im Mittelmeer unterwegs. Die „Mare Jonio“ des Projekts „Mediterranea“ ist aber nicht vorrangig zur Rettung, sondern zur Beobachtung im Einsatz. Neben italienischen und spanischen Aktivisten sowie Rettungskräften sind Juristen und Journalisten an Bord, um die Lage vor der libyschen Küste zu dokumentieren.
Die „Aquarius 2“, die von Kanzler Kurz beschuldigt wurde, sie käme absichtlich der libyschen Küstenwache bei der Bergung zuvor, liegt derzeit bei Marseille vor Anker.
Heuer 1778 Menschen ertrunken
Die privaten Seenotretter waren zuletzt in Bedrängnis geraten: Italien ließ sie nicht mehr anlegen, alternativ fanden die Schiffe in Spanien einen Hafen. Dort gab es heuer in Summe mehr als doppelt so viele Anlandungen wie in Italien (45.400 bzw. 21.300) .
Insgesamt ist die Zahl aber stark zurückgegangen. Laut UNHCR, dem Flüchtlings-Hochkommissariat, gab es heuer (mit Stand Freitag) rund 86.600 Ankünfte, die meisten Migranten stammen aus Guinea, Syrien und Mali. Im gesamten Jahr 2017 waren es 172.300; 2016 rund 362.700; und 2015, im Jahr der großen Migrationsbewegung, mehr als eine Million Menschen.
Im Mittelmeer ertrunken bzw. vermisst sind heuer bereits 1778 Menschen; im Vorjahr waren es 3139.
Immer wieder tauchen Vorwürfe auf, dass NGOs in Absprache mit Schleppern agierten. Hinweise will man darin sehen, dass deren Boote oft nur so viel Treibstoff getankt haben, um internationale Gewässer zu erreichen. Angeblich gibt es auch Lichtzeichen zwischen NGO-Schiffen und Schleppern. Ermittlungen ergaben bisher wenig Handfestes.
Fakt ist, dass Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen sich aus humanitären Gründen weigern, Flüchtlinge nach Libyen zu bringen bzw. sie der libyschen Küstenwache zu übergeben. UNHCR sprach zuletzt von einer massiven Verschlechterung in den völlig überfüllten „Internierungslagern“. Auch Ärzte ohne Grenzen warnt: Migranten seien dort „systematischer Gewalt und Ausbeutung“ ausgesetzt.
Kurz setzt auf Kooperation mit Afrika
Mit Libyen und anderen Ländern in Nordafrika ist die EU im Gespräch. Am 12. und 13. November ist eine Libyen-Konferenz in Palermo geplant – für Österreich soll Außenministerin Karin Kneissl teilnehmen.
Die Aussichten für die angedachten „Anlandezentren“ sind bescheiden – das weiß auch Kanzler Kurz: Der Begriff sei mit „negativen Emotionen“ besetzt, sagt er im FAS-Interview. Er setzt auf Kooperationen mit Drittstaaten wie Ägypten, die Flüchtlinge zurücknehmen sollen.
Beim EU-Gipfel am Donnerstag wird über die Fortschritte in der Migrationsfrage gesprochen – und Kurz wird sich Kritik gefallen lassen müssen, dass die österreichische EU-Ratspräsidentschaft bisher nur Absichtserklärungen hervorgebracht hat: Die Rede war etwa von einem stärkeren EU-Außengrenzschutz und dem Kampf gegen Schlepperkriminalität.