Politik/Inland

Abschied von Brigitte Bierlein: "Weltbürgerin und Wienerin"

An den Flanken flackern sechs weiße Kerzen; vorneweg, auf Polstern, hat man die Ehrenzeichen drapiert; und auf dem Sarg, der den ganzen Vormittag  von Ehrenwächterinnen und -Wächtern der Justiz, Verwaltung, von NGOs, Polizisten und Soldaten flankiert war, liegt die Flagge der Republik. 

„Österreich Ist um den Sarg seiner ersten Bundeskanzlerin versammelt“, wird Christoph Kardinal Schönborn später sagen. Und das ist nicht metaphorisch gemeint, sondern wortwörtlich zu nehmen: Vom Bundespräsidenten abwärts ist das gesamte institutionalisierte Österreich vertreten, um der ersten Regierungschefin der Geschichte die Ehre zu erweisen.

Das Interesse am Begräbnis ist beträchtlich: Der Stephansplatz ist großräumig abgesperrt. Und auch im Dom sind die wenigen Sitzplätze für Zaungäste und nicht explizit eingeladene Trauer-Gäste schnell vergeben. 

Die Motive fürs Kommen sind mannigfaltig. Da gibt es die aufrichtigen Fans der Brigitte Bierlein, die sich in eines der Kondolenzbücher eintragen wollen; es gibt die Schaulustigen, auf der Jagd nach einem Foto vom Kardinal oder einem hochrangigen Politiker; und dann gibt es vereinzelt auch die, die  fürs „Event“ kommen. Ein staatliches Begräbnis bietet nicht nur viel Polizei, Pomp und Prominenz, sondern auch fantastische Musik. In Reihe drei bei den Zaungästen sitzt - gut vorbereitet - ein älterer Herr, der jedes Wort und jede Note des Mozart-Requiems in d-moll mitliest; andere schließen einfach die Augen und wiegen sich. 

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Doch zurück zum offiziellen Abschied der Republik: Bemerkenswert an der getragenen Feier ist , dass Brigitte Bierleins formal formidable Karriere nicht einmal das Wichtigste ist. Die Top-Juristin war die erste weibliche Generalanwältin, erste Vizepräsidentin im Verfassungsgerichtshof und auch dessen erste Präsidentin. All das ist weidlich bekannt und wird von den Trauerrednern zwar erwähnt, aber nicht ins Zentrum gestellt. 

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Viel wesentlicher ist allen dreien, also Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Karl Nehammer und auch VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter, all das zu erwähnen und zu erzählen, was nicht sofort auf Wikipedia zu finden ist. 

Die Mutige

Etwa, dass Bierlein jede Menge Mut hatte. Exemplarisch erwähnt der Bundespräsident den Mai 2019: Nach dem Ibiza-Skandal sei die Stimmung im Land höchst „aufgeheizt“ gewesen;  als Hüterin der Verfassung habe er die umsichtige Juristin und VfGH-Präsidentin gebeten, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen und erste Kanzlerin zu werden. Politisch war das nicht nur neu und fordernd für Bierlein, die sich selbst nie als Politikerin empfand. Es war vor allem ein erhebliches Risiko, wie Van der Bellen  hervorhob. „Denn die Regierung hatte keine Mehrheit im Parlament.“

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Vielleicht muss man es noch deutlicher sagen: Brigitte Bierlein war am Ende einer tadellosen Karriere - und hätte an deren Ende auch noch einmal  krachend scheitern können. Aus Verantwortungsbewusstsein und Liebe zum Land habe sie dennoch nicht gezögert, Verantwortung zu übernehmen - Bierlein die Pflichtbewusste, auch das kommt mehrfach.

Kanzler Nehammer verneigte sich vor dem Lebenswerk der „Weltbürgerin und Wienerin“; besonders aber erwähnte er die zwischenmenschlichen Fähigkeiten. „Sie ist unvoreingenommen auf Menschen zugegangen.“ Entschlossen und mit Eleganz habe sie Verantwortung übernommen. Und ihre Stärke sei nicht „in den lauten Worten“ gelegen - Brigitte Bierlein hat anders überzeugt. 

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Bierleins Nachfolger Christoph Grabenwarter gehörte zu denen, die sie am direktesten erlebt haben. Und auch wenn Grabenwarter beinahe die Stimme bricht, schafft er es, in wenigen Minuten die Qualitäten seiner Vorgängerin zu umreißen. Brigitte Bierlein habe im direkten Miteinander immer Respekt bewiesen. Sie sei gesellig gewesen, habe sich bescheiden, demütig und als „Verbinderin“ gegeben. 

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Bestattung in einem Ehrengrab

Nach zwei Stunden läutet die Stephanusglocke zum Auszug. Stück für Stück tragen Soldaten der Garde die Orden und Ehrenzeichen aus dem Dom, gleich hinter dem Sarg versammelt sich - diesmal wortwörtlich - das offizielle Österreich. Bundespräsident und Kanzler gehen ganz vorne. Sie geleiten den Sarg zum Auto, das ihn zum Zentralfriedhof bringt. Am Nachmittag wird Brigitte Bierlein bestattet. In einem Ehrengrab. 

Bierlein hat mehrfach Geschichte geschrieben: Sie wurde 1990 als erste Frau Generalanwältin und 1990 die erste Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs. 2018 folgte sie Gerhart Holzinger als Präsidentin im Verfassungsgerichtshof nach - auch hier war sie die erste Frau, die den Posten bekleiden konnte. Und schließlich ereilte sie 2019 der Ruf des Bundespräsidenten, eine Expertenregierung zu bilden und die erste Bundeskanzlerin der Republik Österreich zu werden.