Diskriminierung verboten
Von Maria Kern
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat am Dienstag ein – vor allem für Österreich – interessantes Urteil gefällt: Homosexuellen Menschen darf die sogenannte Stiefkind-Adoption nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verweigert werden. Österreich diskriminiere homosexuelle Paare, hat der EGMR festgestellt.
Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek ist „hoch erfreut“ über den Richterspruch. Sie strebt die generelle Gleichstellung von homosexuellen und heterosexuellen Paaren in Sachen Ehe und Adoption an. Die ÖVP steht hingegen auf der Bremse – und will lediglich die Stiefkind-Adoption ermöglichen. Experten sehen das Urteil allerdings auch als „richtungsweisend“ an.
Was besagt das Straßburger Urteil konkret? Ab wann hat es Gültigkeit? Der KURIER liefert Antworten.
Was war der Auslöser für das Urteil des Gerichtshofes?
Zwei Österreicherinnen, die in einer Partnerschaft (in einem Haushalt) leben, hatten sich 2007 an den EGMR gewandt: Eine der beiden Frauen hat einen Sohn (heute 17 Jahre alt), ihre Partnerin wollte diesen adoptieren. Der Sohn war unehelich geboren worden. Die Mutter hat das alleinige Sorgerecht. Der Antrag auf Adoption wurde von österreichischen Gerichten abgelehnt. Die Begründung lautete grob umrissen, dass laut Gesetz unter Eltern zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts zu verstehen seien – und dass bei einer Adoption eines Kindes durch eine Frau das Sorgerecht der gleichgeschlechtlichen Person (also der leiblichen Mutter) erlöschen würde. Die Regenbogen-Familie rief den EGMR an. Sie berief sich auf Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das heißt, das Paar fühlte sich durch die Entscheidungen der heimischen Gerichte diskriminiert und in seinem Recht auf Achtung des Familienlebens beeinträchtigt.
Was besagt das Urteil des EGMR in Straßburg konkret?
Die Richter des EGMR haben festgestellt, dass homosexuelle und heterosexuelle Paare in Österreich ungleich behandelt werden – und Österreich habe „keine überzeugenden Argumente zum Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Ungleichbehandlung zum Schutz der Familie oder des Kindeswohls vorgebracht“. Das heißt, weil unverheiratete heterosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen, kann dieses Recht homosexuellen Paaren allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht verwehrt werden. Der Gerichtshof betont allerdings, dass die Menschenrechtskonvention die Staaten nicht verpflichte, nicht verheirateten Paaren ein Recht auf eine Stiefkind-Adoption einzuräumen. In Frankreich gibt es dieses Recht zum Beispiel nur für verheiratete Paare. Das ist aus Sicht des EGMR menschenrechtskonform.
Wann gilt das Urteil?
„Ab sofort. Das Urteil hat die Große Kammer des EGMR gefällt. Es gibt keine weitere Instanz, bei der das Urteil bekämpft werden kann“, erklärt Helmut Graupner, jener Wiener Anwalt, der die beiden Österreicherinnen in Straßburg vertreten hat. Auch der Verfassungsrechtler Heinz Mayer sagt im KURIER-Gespräch: „Das Urteil gilt sofort, weil die Mitgliedsländer verpflichtet sind, der Rechtsauffassung des EGMR Rechnung zu tragen.“
Was bedeutete das Urteil für eingetragene Partnerschaften?
Im Gesetz für eingetragene Partnerschaften für Homosexuelle („Homo-Ehe“), das seit 2010 in Österreich gilt, ist dezidiert ein Adoptionsverbot festgehalten. Das Urteil von Straßburg bezieht sich auf ein nicht-verpartnertes homosexuelles Paar. Anwalt Graupner meint allerdings, dass es auch für andere Fälle richtungsweisend ist. „Es laufen auch zu Stiefkind-Adoptionen von verpartnerten Paaren schon Verfahren.“ Und Graupner ist sicher, dass diese Paare ebenfalls Recht bekommen werden. Das sieht auch Heinz Mayer so: „Der Gerichtshof sagt, was ich heterosexuellen Paaren zugestehe, muss ich auch homosexuellen Paaren zugestehen.“ Auch Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk ist der Ansicht, dass das Straßburger Urteil „richtungsweisend“ ist. Für ihn ist es „evident, dass es in Richtung einer Liberalisierung des Adoptionsrechts gehen wird“.
Dürfen homosexuelle Paare künftig generell Kinder adoptieren?
Derzeit ist das in Österreich nicht erlaubt. Anwalt Graupner ist aber überzeugt davon, dass Österreich künftig auch homosexuellen Paaren erlauben muss, Kinder zu adoptieren. Denn der EGMR habe in seinem Urteil vom Dienstag grundsätzlich festgestellt, dass es dem Kindeswohl nicht schade, wenn ein Kind bei einem homosexuellen Paar lebe. Auch Verfassungsrechtler Mayer meint, dass das Adoptionsrecht für Homosexuelle „nicht verweigert werden kann“. Ebenso sieht das Verfassungsrechtler Funk: „Es ist absehbar, dass es früher oder später darauf hinauslaufen wird, dass gleichgeschlechtliche Paare in Bezug auf Adoptionen heterosexuellen Paaren gleichgestellt werden.“ Wenn Österreich seine Gesetze nicht ändere, werde es zu weiteren Verurteilungen durch den EGMR kommen.
Wie sehen die Konsequenzen aus Sicht von SPÖ und ÖVP aus?
Die SPÖ fordert, wie erwähnt, schon länger, dass homosexuelle Paare heiraten und Kinder adoptieren dürfen. „Es wird höchste Zeit, dass Österreich auf diesen Zug aufspringt und nicht unter den Schlusslichtern in der EU bleibt“, sagt Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek. Sie möchte darüber mit der ÖVP verhandeln. In der ÖVP sieht man das anders. Familienminister Reinhold Mitterlehner sagte gestern, man müsse sich die Sache zwar noch genauer ansehen, aber es gebe keinen Anlass für eine große Reform. Es bleibe weiterhin jedem Staat überlassen, ob er die Adoption für gleichgeschlechtliche Paare öffne oder nicht – und Mitterlehner sieht dafür keinen Anlass. Auch Justizministerin Beatrix Karl will lediglich die Stiefkind-Adoption ermöglichen. Sie hat angekündigt, im Frühjahr einen Gesetzesentwurf vorzulegen. Die reguläre Adoption solle aber weiterhin heterosexuellen Ehepartnern vorbehalten sein, hieß es im Justizministerium.