Politik/Inland

Wo Kinder spielerisch programmieren

Rote Punkte überall. Sie blinken an der Wand, wo Jaanika Lukk mit dem Projektor gerade etwas zeigt; sie leuchten auf den kleinen schwarzen Kästchen, die die Schüler der „Tallinn Secondary School of Science“ an die Laptops angeschlossen haben.

Die kleinen Dinger heißen „micro:bit“. Und mit ihnen lernen Lukk und ihre Volksschüler ein wenig zu programmieren. Bestimmte Muster sollen leuchten – blinken eben. „Wir machen das erst seit zwei Wochen“, sagt Lukk. „Aber am Ende werden die Kinder ein Spiel programmieren können. Sie lieben das. Und der Umgang mit Computern und der Digitalisierung wird zu etwas völlig Normalem.“

 

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In den vergangenen Monaten hatten Lukk und ihre Kollegen reichlich Besuch. Delegationen von überall wollen sehen, wie die Esten das machen mit dem Programmieren und der Digitalisierung. Geografisch ist Estland nur so groß wie die Schweiz. Doch was die Digitalisierung angeht, spielt man weltweit ganz vorne mit.

Während in Österreich die zuständige Wirtschaftsministerin geduldig erklären muss, warum es jetzt aber wirklich die Digitalisierungsoffensive braucht, wird in Estland getan. Seit mehr als zehn Jahren und bemerkenswert kompromisslos.

Digitale Identität

Jeder in Estland hat eine elektronische Identitätskarte. Von der Steuererklärung über die Firmengründung bis hin zum Wählen sind alle öffentlichen Dienstleistungen digital. Eltern können die Schulnoten der Kinder online einsehen; Ärzte greifen online auf Befunde der Patienten zu. Und, und, und.

Wer wissen will, warum die Esten dennoch kaum Angst davor haben, dass Hacker ihre Daten ausheben, verkaufen oder löschen, der muss mit Menschen wie Florian Marcus reden. Der Politikwissenschafter hat im e-Estonia-Showroom angeheuert. Hier zeigt die Regierung, wie die „X-Road“ (so heißt die Vernetzung der 504 Behörden) funktioniert.

„Zum einen sind alle Daten dezentral gespeichert, sprich: die Meldedaten hat nur das Melderegister, die Schulnoten nur die Schule, etc. Selbst wenn ein Server gehackt werden würde, hätte man nie Zugriff auf alle Daten“, sagt Marcus. Vor allem aber werde jeder Zugriff penibel dokumentiert und sei für die Bürger online sichtbar.

 

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Marcus bringt ein Beispiel: „Wenn ein Arzt ein Blutbild von mir abruft, habe ich das gesetzliche Recht, dass er mir zufriedenstellend erklärt, warum er das getan hat.“ Das Interessante daran: Was „zufriedenstellend“ ist, entscheidet der Bürger. „Wenn mir der Arzt also keine schlüssige Antwort liefert, macht er sich strafbar und riskiert seine Lizenz.“

Von der Not zur Tugend

Geht es nach Marcus, hat Estland bei der Staatsgründung 1991 aus der Not eine Tugend gemacht: „Mit 130 Millionen Euro Startkapital war der Staatshaushalt knapp bemessen; zudem wussten die Staatsgründer, dass die 1,3 Millionen Esten – abgesehen von den Ballungszentren – auf vergleichsweise viel Landfläche verteilt waren. Man hatte einfach kein Geld und Personal, um in jedes Dorf ein Gemeindeamt mit Mitarbeitern zu stellen.“

Die Lösung? Das Internet – und die völlige Vernetzung aller staatlichen Services.

 

„Der große Vorteil der Esten war, dass sie das System de facto auf ,die grüne Wiese‘ stellen konnten“, sagt Hanno Lorenz. Der Bildungsexperte der Agenda Austria gehört zu den Besuchern, die sich die Digitalisierung im Baltikum besonders genau ansehen. Bestehende Bürokratie wie die österreichische, sagt er, könne man schwer einfach von heute auf morgen umbauen. „Aber man kann die Digitalisierung dort vorantreiben, wo das Vertrauen der Menschen groß und der Komfort besonders hoch wären.“ Die Geburt eines Kindes ist für Lorenz so ein Fall. „Was wäre, wenn nach einer Geburt alles online zu erledigen wäre, und man nicht aufs Amt gehen müsste, um Meldezettel, Kindergeld, Geburtsurkunde, etc. zu bekommen?“

In Estland ist das längst so. Eltern vergeben den Wunschnamen ihres Babys vergleichsweise bequem. Per Tablet oder PC, von zu Hause oder im Spital – online halt.

Die Reise erfolgte auf Einladung der Agenda Austria.