Ein Jahr voller Erinnerungen
Von Georg Markus
Auch 2014 war ein Jahr des Erinnerns. Doch während uns da 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs das Grauen millionenfachen Todes vor Augen geführt wurde, bietet 2015 erfreulichere Stunden des Gedenkens: 70 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs, 60 Jahre Staatsvertrag, 20 Jahre Österreich als Mitglied der Europäischen Gemeinschaft.
In Schutt und Asche
Es gibt keinen Grund, die ersten Stunden des freien Österreich verklärt zu sehen. Der Krieg war noch nicht einmal beendet, als am 27. April 1945 die Wiederherstellung der Zweiten Republik proklamiert wurde. Österreich lag in Schutt und Asche, Not und Elend waren so groß, dass die Provisorische Regierung Renner tagtäglich bei den Besatzungsmächten um Lebensmittellieferungen betteln musste.
Bei den ersten Wahlen im Herbst 1945 erzielte die ÖVP die absolute Mehrheit, Leopold Figl wurde Bundeskanzler und nahm den Wiederaufbau des zerstörten Landes in Angriff. Der wäre allerdings ohne die Hilfe Amerikas nicht möglich gewesen, das im Jahr zwei nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes mit dem "Marshallplan" eine Finanzspritze beschloss, die Europas darniederliegenden Staaten das Überleben sicherte. Auf Initiative des US-Außenministers George Marshall erfolgte eine großzügige Wirtschaftshilfe, die allein Österreich eine Milliarde Dollar brachte. Mit dieser gigantischen Summe wurden Kraftwerke, Straßen und Schienenwege errichtet, die verstaatlichte Industrie aufgebaut, die Landwirtschaft modernisiert. Privatfirmen erhielten günstige Kredite, Zehntausende Arbeitsplätze wurden geschaffen, Österreichs Industrieproduktion stieg im Jahresdurchschnitt um 31 Prozent.
Der letzte Zeitzeuge
Die Verhandlungen zogen sich über Jahre hin, ehe der damalige Raab-Sekretär Ludwig Steiner "im April 1955 in Moskau erstmals spürte, dass wir dem Durchbruch nahe sind". Steiner, mit 92 Jahren der letzte Zeitzeuge aus dem Verhandlungsteam, sieht heute "vieles anders als damals. Zum Beispiel dachten wir, dass der sowjetische Außenminister Molotow auf unserer Seite stand, dabei war er in Wirklichkeit der große Verhinderer." Steiners Aufgabe war es, "für Raab die vorbereitenden Gespräche zu führen. Es war bewegend, dabei gewesen zu sein. Österreich hat insofern gut reagiert, als wir an unserer Gesinnung festhielten und ohne opportunistisch zu sein, ans Ziel gelangten."
Als Außenminister Figl am 15. Mai 1955 im Wiener Belvedere den Staatsvertrag unterzeichnete, wusste kaum jemand, dass sein größter politischer Triumph mit einer seiner schwersten persönlichen Stunden zusammenfiel: Figl hatte vier Tage davor seine geliebte Mutter zu Grabe getragen.
Der erste Fernsehabend
Tausend TV-Geräte
Es war eine Diskussionssendung österreichischer Chefredakteure mit dem Titel "Wird das Fernsehen der Presse schaden?", wobei kein einziger die Frage mit "Ja" beantwortete, was insofern nahe lag, als die Television damals fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Im ersten Jahr gab es 800 TV-Geräte und die standen meist nicht in Wohnzimmern, sondern in den Auslagen der Radiohändler sowie in Kaffee- und Gasthäusern. Gesendet wurde Montag und Mittwoch jeweils 45 Minuten, meist Tier- und Dokumentarfilme. Dennoch kamen im Jahr eins noch große Aufgaben auf das neue Medium zu, darunter die Live-Übertragungen der Wiedereröffnung des Burgtheaters und der Staatsoper, die beide im Krieg zerstört worden waren.
Zwei Filmstars
Kanzler Raab setzte die wirtschaftliche Konsolidierung des Landes fort, wobei die Verständigung zwischen "Schwarz" und "Rot" mitunter besser funktionierte als innerhalb der Parteien: Karl Renner konnte mit Leopold Figl besser als mit seinem Parteifreund Adolf Schärf. Und Raab war ein enger Freund des Gewerkschaftsbund-Präsidenten Johann Böhm, mit dem er die Sozialpartnerschaft schuf. Als Böhm einmal mit seinen Forderungen für die Arbeitnehmer zu weit zu gehen schien, erwiderte Raab in Anspielung an die Zustände in der Zwischenkriegszeit: "Mei liaber Freund, nur weil’s damals allen gleich schlecht gangen is, kann’s jetzt net allen gleich guat gehen."
Die Große Koalition bewährte sich in der Phase des "Wirtschaftswunders", allerdings blühten Proporz und Packelei, mit deren Hilfe die Parteien bemüht waren, sich größere und kleinere Posten zuzuschanzen. Was zu diesem Kuriosum geführt haben soll: Als in den 1960er-Jahren in den ehemals kaiserlichen WC-Anlagen von Schönbrunn eine "schwarze" Klofrau beschäftigt wurde, musste auch eine mit "rotem" Parteibuch angeheuert werden.Nach rund 20 Jahren Großer Koalition bescherte Josef Klaus der ÖVP den größten Sieg ihrer Geschichte, als sie 1966 die absolute Mehrheit erlangte und die erste Alleinregierung der Zweiten Republik bildete. Auch Klaus traf mit dem Triumph ein schwerer Schicksalsschlag: Eine Woche nach dem Wahlsieg erlag seine 21-jährige Tochter einer Herzerkrankung.
Die Ära Kreisky
Kreisky, dessen 25. Todestag 2015 begangen wird, faszinierte durch seine charismatische Erscheinung und seine Volksnähe. Als Karl Schranz 1972 durch den IOC-Präsidenten Avery Brundage von den Olympischen Spielen in Sapporo ausgeschlossen wurde, empfingen ihn mehr als 100.000 Wiener im Triumphzug. Er fuhr über die (heuer 150-jährige) Ringstraße zum Bundeskanzleramt, wo Kreisky die Gunst der Stunde erkannte und sich mit ihm fotografieren ließ. Der andere alles überragende Skisportler der Nachkriegszeit war der siebenfache Weltmeister und dreifache Olympiasieger Toni Sailer, der heuer 80 Jahre alt geworden wäre.
Noch keine Frauenquote
Das Wort "Frauenquote" gab es noch nicht, als Josef Klaus mit Grete Rehor 1966 die erste Ministerin (für Soziales) und Bruno Kreisky vier Jahre später mit Hertha Firnberg die zweite Ministerin (für Wissenschaften) in ihr Kabinett holten. Kreisky punktete auch mit gleich vier Staatssekretärinnen, darunter die spätere Frauenministerin Johanna Dohnal. Vor 25 Jahren gelangte schließlich Maria Schaumayer als erste Frau an die Spitze der Oesterreichischen Nationalbank .
Vor 650 Jahren
Gründung der Universität Wien im Jahre 1365.
Vor 200 Jahren
Wiens Technische Universität wird 1815 gegründet.
Vor 150 Jahren
Am 1. Mai 1865 eröffnet Kaiser Franz Joseph die Wiener Ringstraße.
Vor 100 Jahren
Auch die prominenten Schauspieler O. W. Fischer (* 1. April 1915) und Curd Jürgens (* 13. Dezember 1915) wären heuer hundert Jahre alt.
Vor 90 Jahren
Am 1. März 1925 wird in Österreich die Schilling-Währung eingeführt.
Vor 80 Jahren
Am 12. Februar 1935 wird der erste Wiener Opernball gefeiert.
Ski-Idol Toni Sailer kommt am 17. November 1935 in Kitzbühel zur Welt.
Vor 60 Jahren
Österreichs Staatsvertrag wird am 15. Mai 1955 in Wien unterzeichnet (Bild).
Das österreichische Fernseh-Versuchsprogramm sendet seit 1. August 1955.
Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Burgtheater wird am 15. Oktober 1955 wiedereröffnet.
Die ebenfalls zerstörte Wiener Staatsoper wird am 5. November 1955 wiedereröffnet.
Vor 50 Jahren
Bundespräsident Adolf Schärf stirbt am 28. Februar 1965 im Alter von 74 Jahren.
Ex-Bundeskanzler und Außenminister Leopold Figl stirbt am 9. Mai 1965 im Alter von 62 Jahren.
Vor 40 Jahren
Robert Stolz stirbt am 27. Juni 1975 mit 94 Jahren.
Vor 25 Jahren
Bruno Kreisky stirbt am 29. Juli 1990 mit 79 Jahren.
Wiens neues Haas-Haus wird am 15. September 1990 eröffnet.
Vor 20 Jahren
Österreich ist seit 1. Jänner 1995 Mitglied der Europäischen Nation.