Politik/Inland

Brauer: "Neuer Antisemitismus wurde mit Flüchtlingen importiert"

KURIER:  Herr Brauer, Sie haben vor kurzem in einem viel beachteten TV-Interview gemeint, dass Sie heute mehr Angst vor dem Antisemitismus muslimischer Einwanderer hätten, als vor dem der Ewiggestrigen und Rechten in diesem Land. Pauschalieren Sie da nicht ein wenig?

Arik Brauer: Nein, das ist für mich ein Fakt. Ein neuer Antisemitismus wurde mit den Flüchtlingen importiert. Natürlich gibt es immer andere, die anders empfinden. Aber ich sage, dass die Mehrheit der arabischen Muslime die Juden hassen. Sie fühlen sich vom Staat Israel gedemütigt. Ich nehme das gar nicht persönlich, die Menschen empfinden das so, sie wurden so erzogen und vielleicht würde ich das an ihrer Stelle auch so sehen. 

Das heißt, Sie fühlen sich als Jude in Österreich nicht mehr sicher?

Nein, persönlich nicht, aber es gibt auch in Europa immer mehr Übergriffe. Das nimmt zu. Als Jude in Israel muss man freilich schon Angst haben. Weil wir mit unseren Nachbarn nicht in Frieden leben, auch wenn es einen Waffenstillstand gibt. Was das Denken der Menschen anbelangt, gibt es keinen Frieden. 

Aber es überrascht doch, dass Sie den Antisemitismus des rechten politischen Spektrums eher verharmlosen. Der Holocaust-Überlebende Marko Feingold sagt zum Beispiel, dass Antisemitismus immer noch tief in katholischen Familien steckt. Hat er Unrecht?

Natürlich war es der Katholizismus, der über 2000 Jahre zum Judenhass verleitet hat. Das wissen wir. Aber es wird doch heute das Wort „Nazi“ zu leicht verwendet. Wer den wirklichen Antisemitismus der Nazis, so wie ich, erlebt hat, der würde dieses Wort nicht so leichtfertig verwenden. Zu einem Nazi gehört viel mehr, ein tieferer Hass, ein völlig anderes Weltbild. Wenn man heute für jeden Blödsinn eines Halbwüchsigen das Wort „Nazi“ verwendet, ist das eine Verkleinerung des Begriffes. 

Aber es ist nicht zu bestreiten, dass Europa nach rechts rückt und rechtspopulistische Parteien nach oben gespült werden.

Ja, es gibt in Europa einen Rechtsruck. Das hat viele kleine Gründe, aber einen Hauptgrund und man müsste blind sein, den zu übersehen. Für mich ist die muslimische Einwanderung schuld daran, dass die FPÖ zu einer Massenpartei werden konnte und in der Regierung sitzt. Die Rechten haben von Anfang an begriffen, dass die muslimische Migration ein Pferd ist, auf dem man vorwärts reiten kann. Sie haben aber nicht begriffen, wie man die Probleme wirklich löst, weil es ihnen ja nur um die Macht gegangen ist.

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Viele Kommentatoren sagen, dass das Klima in Österreich hinsichtlich der Flüchtlinge schon sehr vergiftet sei, und dass hier dringend eine Abrüstung der Worte notwendig wäre. Es handelt sich bei der Mehrheit der Flüchtlinge immer noch um Kriegsflüchtlinge. 

Ja, aber man darf die Wahrheit nicht unter den Tisch kehren. Und natürlich bin ich auch gegen Hetze, man muss komplizierte Dinge mit größter Vorsicht behandeln. Und Muslime sind ja keine schlechteren Menschen, sie nehmen ihre Religion halt ernster als Sie oder ich. Wir müssen aber aufpassen, dass es hier nicht zu Gettos kommt und dass sich Muslime nicht abwenden und hier Parallelgesellschaften entstehen. Wir dürfen in Europa den mühsam errungenen Humanismus nicht aufs Spiel setzen, da dürfen wir keinen Millimeter abweichen. 

Was wäre die Lösung?

Die Lösung auf lange Sicht kann für den Islam nur von innen kommen. Genau wie sich das Christentum in einer qualvollen, jahrhundertelangen Entwicklung zu einer Religion entwickelt hat, die im 21. Jahrhundert akzeptiert werden kann und mit der man leben kann, wird das mit dem Islam letztendlich auch passieren. Das sind ja dieselben Menschen. Was wir konnten, könnten die auch. Aber ich befürchte, es wird noch dauern.

Ist der Arabische Frühling, der ja nicht nur gegen die Diktatoren gerichtet, sondern auch ein Aufstand gegen die gesellschaftlichen Konventionen war, Ihrer Meinung nach noch im Gange?

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Ja, das ist noch lange nicht vorbei. Die ägyptischen Jugendlichen zum Beispiel werden es nicht vergessen, dass sie Hand in Hand mit den Mädchen demonstriert haben. Und es kommt sehr auf die Frauen an, die werden sich befreien müssen. Es wird etwas in diesen Ländern passieren müssen. Die Menschen sind es ja, die in diesen furchtbaren Kriegen sterben. Europa muss alles daran setzen, jenen Kräften zu helfen, die hier eine Veränderung anstreben.

Aber die Menschen flüchten ja genau vor diesen Kriegen und vor diesen Umständen. 

Ja, und denen muss man auch helfen. Aber die meisten können ja gar nicht zu uns kommen. Jene, die in Syrien in den Ruinen sitzen und Gras essen müssen, haben ja gar nicht die Möglichkeit, zu flüchten. Die Waisenkinder, die Verletzten und die Halbtoten, die müsste man alle mit Flugzeugen abholen. Für Menschen, die in ihrer Heimat verfolgt werden, darf es in Europa keine Obergrenze geben. Aber das Potential darf nicht von Wirtschaftsflüchtlingen ausgeschöpft werden. 

Denen gestehen Sie nicht zu, dass sie ihr Leben einfach verbessern möchten?

Doch natürlich, ich würde es wohl auch so machen und Europa ist ja zum Teil Mitschuld am Elend in diesen Ländern. Aber die Probleme in Marokko, Tunesien, Afghanistan und wo auch immer müssen von jenen Menschen gelöst werden, die heute zu uns kommen. Da sind ja oft die Besten dabei. 

Zu einem anderen Thema: 2018 ist auch ein Gedenkjahr, vor 80 Jahren kam es zum Anschluss, wie empfinden Sie als Opfer des Nationalsozialismus die zahlreichen Veranstaltungen dazu? 

Veranstaltungen im kleinen Rahmen, wo alle gleicher Meinung sind, halte ich für überflüssig. Aber wenn die Diskussionen dahin führen, dass Strache sagen muss – vielleicht auch unter politischen Zwang, aber immerhin – dass jemand, der „antisemitisch denkt, nach Hause gehen soll“, dann bewirkt das schon etwas. Das hätte es vor fünf Jahren nicht gegeben. Man muss aber schon aufpassen, dass diese Veranstaltungen wirklich gut besetzt sind und in die Tiefe gehen. Sonst können sie schnell kontraproduktiv werden. Dann heißt es: "Wie oft soll ich mir das noch anhören, dass mein Opa ein Verbrecher war?" und "Schon wieder ein Jud, der seine Geschichte beweint".  

Sie haben als Kind dieses furchtbare Nazi-Regime miterlebt, ihr Vater wurde ermordet. Sie haben aber trotzdem die meiste Zeit weiter in Österreich gelebt. Wie hat sich die Gesellschaft verändert in den letzten 50, 60 Jahren?

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Das kann man alles nicht vergleichen. Es hat sehr lange gedauert, bis die Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert hat, dass hier ein Verbrechen an den Juden begangen wurde. Und die heutigen Jugendlichen  das ist schon ein enormer Unterschied zu früher, ich habe ja viel in Schulen gesprochen. Aber man darf nicht aufhören zu reden und man muss gegen das Vergessen angehen. Oft ist es schon abenteuerlich, wenn man hört, dass die Juden ja immer noch die Weltherrschaft anstreben, und man dann fragt, ob sie überhaupt wissen, wie viele Juden es überhaupt weltweit gibt. Da kommen schon astronomische Zahlen raus. Dass in Österreich nicht einmal 10.000 Juden leben, weiß ja fast niemand.

Stört es Sie gar nicht, dass in der Regierung so viele deutschnationale Burschenschafter sitzen?
Das ist für mich als Österreicher schon ein Problem, das ist schädlich für das Image. Aber noch mehr stört mich, dass wir eine Regierung haben, und das wird sich bald herausstellen, die nicht so auf die kleinen Leute schaut, wie sie vor der Wahl versprochen hat. Aber mich stört noch mehr, dass ein Teil der Regierung keine klare Meinung zu Europa hat. Oder besser gesag, sie haben eine bremsende Meinung. Sie wollen, dass sich dieses Europa verkleinert. In meinem Weltbild ist es aber unumgänglich, dass Europa letztendlich zu einem Staat wird.

Zur Person:

Arik Brauer wurde 1929 in  Wien  geboren. Sein Vater, ein Schuhmacher, stammte ursprünglich aus Litauen. Brauer wurde als Maler, Grafiker und Sänger bekannt, er gilt als einer der  Hauptvertreter der Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Sein Vater wurde während der NS-Zeit  ermordet, er selbst überlebte in einem Versteck.  Nach dem Krieg studierte Brauer an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Zwischen 1951 und 1954 reiste er mit dem Fahrrad durch Europa und Afrika. Zwischen 1956 und 1964 lebte Brauer mit seiner Frau in Paris, sie traten dort auch als Gesangsduo auf. Brauer, der nächstes Jahr 90 Jahre alt wird, pendelt heute zwischen seinen Wohnsitzen in Wien und  Israel.