Politik/Inland

"Berliner Modell": Viel Qualm, wenig Kontrolle

Aha, das "Berliner Modell" wollt ihr – also, jeder macht, was er will, stellt Steff Jungen amüsiert fest. Dass Österreich das Rauchverbot kippt und sich eine Stadt zum Vorbild nimmt, in der vieles nicht funktioniert, aber alles irgendwie weiterläuft, amüsiert ihn. Er sitzt in seiner Stammkneipe in Schöneberg, nippt am Bier. 30 Jahre lang hat er geraucht, seit zwei Jahren und fünf Monaten ist er Nichtraucher, dennoch kommt er gerne in die Bar. Aber er hätte nichts dagegen, wenn hier nicht mehr gequalmt wird.

Erlaubt ist es, weil das "Honeypenny" weniger als 75 Quadratmeter groß ist, dort kein Essen zubereitet wird und nur Über-18-Jährige rein dürfen – so steht es an der Türe und seit 2009 im Rauchergesetz. Es sieht zwar vor, dass in öffentlich zugänglichen Räumen nicht geraucht werden darf, für Gaststätten gelten aber Ausnahmen. In abgetrennten Nebenräumen von Speiselokalen ist Rauchen erlaubt, ebenso in den Einraumkneipen (kleiner als 75 Quadratmeter) - davon gibt es in Berlin laut Deutschem Hotel- und Gaststättenverband zirka 500, wobei viele nicht erfasst, angemeldet oder als Verein getarnt sind. Für einen Euro wird man Mitglied und darf legal qualmen. So kreativ sind die Hauptstadtbewohner, die laut "Tabakatlas Deutschland" so viel rauchen wie in keinem anderen Bundesland (35 Prozent bei Männern, 24 Prozent bei Frauen). Für Gesundheitsexperten ist es unverständlich, warum sich Österreich daran orientiert, ein umfassendes Rauchverbot wie in Bayern wäre sinnvoller, sagt Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

Ob man in Österreich auch auf die Auflagen des "Berliner Modells" setzt, ließen die Koalitionsverhandler ÖVP/FPÖ bisher offen.

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Sinan Gültekin begrüßt das liberale Gesetz und ließ in seiner 74-Quadratmeter-Bar in Kreuzberg, ursprünglich eine über 160 Jahre alte Apotheke, eine Belüftungsanlage für 19.000 Euro einbauen. Aber, das zahle sich aus, denn zu seinen Stammgästen gehören auch viele Nichtraucher: "Die Kreuzberger sind in der Hinsicht lockerer", sagt er. Bisher kam es nur einmal vor, dass sich ein Gast unwohl fühlte, berichtet er. "Aber umgekehrt, wäre hier plötzlich Rauchverbot, würde ich viele Gäste verlieren", ist Gültekin überzeugt. Was er in seiner Raucherbar jedenfalls nicht darf: kochen. Seit kurzem bieten sie aber Fingerfood an, das geliefert wird. Denn das sei erlaubt, selbst abgepackte Sandwiches oder Pizzen vom Lieferservice dürfen in Berliner Raucherkneipen verkauft werden. Sorge, dass Minderjährige in seine Bar kommen, hat er nicht. Das hohe Preisniveau ziehe keine Jugendlichen an - und im Zweifelsfall kontrolliere man den Personalausweis.

Vorschriften ignoriert

Doch nicht alle Lokal-Betreiber halten sich an die Vorschriften. Wer abends durch Friedrichshain oder Neukölln geht, merkt schnell: Auch wo es nicht erlaubt ist, wird gequalmt, in Clubs, größeren Bars oder Bistros. Selbst der Kellner steckt sich zu später Stunde eine Zigarette an. Thomas Lengfelder findet das nicht korrekt, es müsste mehr kontrolliert werden, sagt der Geschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes dem KURIER – doch die Kontrollen obliegen den jeweiligen Bezirken. Und in manchen wird ab 22 Uhr nicht mehr kontrolliert, berichtete etwa der Nichtraucherbund Berlin.

Besser funktioniert die Regelung in Restaurants, meint Lengfelder. Zwar dürfen dort Gäste in abgetrennten Räumen rauchen, doch viele Inhaber haben nicht umgebaut, sondern setzten gleich aufs Rauchverbot. "Das Nichtraucherschutzgesetz hat sich gut eingespielt. Sie haben erkannt, dass es nicht mehr zeitgemäß ist, beim Essen am Tisch zu rauchen." Die anfangs befürchteten Umsatzeinbußen haben sich nicht bewahrheitet, räumt Lengfelder ein.

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Totti Topra kann dies bestätigen. In seiner Osteria am Helmholtz-Platz, Prenzlauer Berg, wird nicht geraucht, die Gäste kommen trotzdem, berichtet der Wirt, der seit 23 Jahren in der Gastronomie arbeitet. Er ist selbst Nichtraucher und würde es Gästen und Mitarbeitern nicht zumuten wollen: "Niemand soll in einem Restaurant unter einer Rauchwolke sitzen" - und Raucher seien heute so respektvoll, dass sie selbstverständlich, nach draußen gehen.

Selbst an Berlins bekanntester Adresse, dem Café Einstein, wo sich Politiker, Promis und Touristen tummeln, gilt mittlerweile ein Rauchverbot. Dass es sich aber einmal in ganz Berlin durchsetzt, glaubt Kneipenbesucher Steff nicht. "Die Kontrollen sind so lax und die Sanktionen sind lächerlich", sagt er – die Höchststrafe von 1000 Euro zahlen manche aus der Portokasse.