Beamten-„Wurschtigkeit“ höhlt Bürgerrechte aus
Von Daniela Kittner
Stellen Sie sich vor, Sie brauchen etwas von einer Behörde. Dazu müssen Sie der Behörde Auskünfte erteilen. Sie sammeln die geforderten Unterlagen zusammen und bringen sie hin. Doch die Behörde lässt Ihr Anliegen so lange unbehandelt liegen, bis die Gültigkeitsdauer der von Ihnen erbrachten Informationen gerade noch nicht abgelaufen ist und fordert ergänzende Unterlagen an. Bis Sie diese herbei schaffen, sind die Erst-Informationen ungültig geworden. Sie müssen von vorn beginnen.
Oder: Unterschriftsreife Akten bleiben den gesamten Sommer wegen Urlaub der Beamten liegen, und im Herbst muss wieder alles neu gemacht werden, weil die Gültigkeit der Auskünfte abgelaufen ist und/oder neue Referenten Ihre Angelegenheit übernehmen und von vorne aufrollen.
Anwälte berichten
Vorfälle wie die geschilderten gehören zu den „grundsätzlichen Methoden der MA 35“, steht im „Wahrnehmungsbericht 2016/17“ der Rechtsanwaltskammer. Dieser alljährliche Bericht wird von Rechtsanwälten verfasst, die darin ihre Berufserfahrungen schildern.
Die MA 35 ist die Wiener Magistratsabteilung für Staatsbürgerschaften. Sie wird in dem Rechtsanwaltskammer-Bericht besonders zerzaust. „Beamte sollten sich im Klaren sein, dass es um den Rechtsstaat geht. Es kann nicht sein, dass Leute, weil sie mittellos oder Fremde sind, nicht zu ihrem Recht kommen. Ich will nichts verallgemeinern, aber es gibt immer mehr Wurschtigkeit unter Beamten im Umgang mit rechtsstaatlichen Prinzipien“, sagt Michaela Krömer, eine junge, engagierte Anwältin. Gegenüber Fremden oder deren Anwälte würde auch oft ein herablassender Ton angeschlagen, bis hin, dass sich die Behörden nicht einmal die Mühe geben, ausländische Namen richtig zu schreiben.
Beamter wirft Manager raus
Krömer ist nicht die einzige, die von solchen Missständen erzählt. Der Spitzenmanager einer Fluglinie berichtet verdattert, dass er als Begleitperson in einem Fremdenrechtsverfahren von einem österreichischen Beamten einfach rausgeworfen wurde.
Von den Inländern sind es die Mittellosen oder Niedrigverdiener, deren Rechte oft unter die Räder kommen. Beispielsweise, wenn Gerichte keine Amtssachverständigen haben. Dann müssen die Bürger Sachverständige bezahlen, obwohl eigentlich der Staat ihnen beweisen muss, dass sie schuldig sind, und nicht sie dem Staat ihre Unschuld beweisen müssen. Ein Rechtsanwalt aus der Steiermark schreibt: „Es gehört zu einem fairen Verfahren, dass Verteidigungsmaßnahmen nicht derart hohe Kosten verursachen, dass der Beschuldigte aus wirtschaftlichen Überlegungen de facto gezwungen wird, eine Strafe zu akzeptieren.“
Richter nicht erreichbar
Nicht nur im Strafverfahren geht’s mitunter ungerecht zu. Die Rechtsanwaltskammer befundet: „Die Berichte der Rechtsanwälte lassen speziell in verwaltungsrechtlichen Verfahren eine zunehmende Distanzierung der Gerichte von der Rechtsschutz suchenden Bevölkerung erkennen.“ Richter seien nicht erreichbar, auch nicht für Anwälte. Die Mitarbeiter von Richtern seien oft angewiesen, weder Telefonklappen noch Mailadresse herzugeben. Stattdessen werde beschieden, man möge über die „Einlaufstelle eine Eingabe unter der Aktenzahl machen“. Die Rechtsanwaltskammer merkt dazu an, dass „die Kontaktaufnahme mit Richtern für eine erfolgreiche Verfahrensabwicklung essenziell“ sei, und dass eine Kontaktaufnahme durch Gesprächsverweigerung verunmöglicht werde.
Während betuchte Beschuldigte wie Grasser & Co alle Möglichkeiten des Rechtsstaats nutzen können, sind Mittellose auf Verfahrenshilfe angewiesen. Diese Pflichtverteidiger bekommen Null bezahlt. Krömer: „Man kann sich vorstellen, wie hoch die Motivation ist, solche Fälle bis zu den Höchstgerichten durchzufechten und auf diese Weise Grund- und Bürgerrechte des mittellosen Teils der Bevölkerung zu wahren.“ Es gibt in Österreich keine NGO, die Bürgerrechtsverfahren bis zum Verfassungsgerichtshof betreibt und so die Rechtssprechung mitgestaltet.
Bürgerrechtsunion
In den USA existiert seit 1920 die ACLU (American Civil Liberties Union, Amerikanische Bürgerrechtsunion). Sie wird von prominenten Stiftungen wie Rockefeller und Carnegie gesponsert. Auch in Österreich zirkulieren in Juristenkreisen Überlegungen, eine NGO für Bürgerrechte zu gründen.
Eine besondere Willkür leistete sich der Staat übrigens, als 2015 die vielen Flüchtlinge kamen. Es galt die Dublin-Verordnung der EU, wonach ein Flüchtling in jenem EU-Land Asyl beantragen muss, in dem er EU-Boden betritt. Die Flüchtlinge kamen aus Ungarn. Bei jenen, die nach Deutschland weiter reisten, setzten Österreichs Behörden Dublin aus. Sie durften rein – und nach Deutschland raus. Bei solchen, die hierzulande um Asyl ansuchten, galt Dublin plötzlich wieder – die Behörden leiten die Rückstellung nach Ungarn ein. Kommentar im Anwaltsbericht: „Es kann nicht sein, dass sich Beamte, Gerichte oder Politiker nach Opportunitätserwägungen aussuchen, ob Recht angewandt wird.“