Politik/Inland

Arbeitszeit: Jetzt geht es um die Macht des ÖGB

Ein Kanzler ist kein Haudrauf, oder besser: Er sollte sich nicht als solcher geben.

So gesehen war es völlig klar, dass Sebastian Kurz am Wochenbeginn zum Streit-Thema Nummer eins, dem 12-Stunden-Tag, vorzugsweise Diplomatisches von sich gab. Der letztgültige Gesetzesentwurf sei ein guter; man habe das Gesetz „präzisiert“. Und wenn überhaupt, dann gibt es aus Sicht des Regierungschefs nur ein Problem im Zusammenhang mit der Gesetzesnovelle: „Es gibt noch sehr viele Falschinformationen.“

Der Satz ist vorrangig an den Gewerkschaftsbund gerichtet. Denn an ihm und seiner groß angelegten Demonstration am Wiener Heldenplatz hat die Regierungsspitze so manches auszusetzen. Nicht an der Demo an sich; aber an der „Propaganda von der 60-Stunden-Woche“, um es mit ÖVP-Parteimanager Karl Nehammer zu sagen.

In den Reihen der FPÖ ist man nicht nur über die „fehlende Sachlichkeit“ erbost; die blaue Regierungsmannschaft attestiert dem Gewerkschaftsbund, nicht die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten – und das sagt man bei den Freiheitlichen auch durchaus laut.

Eine der ersten war diesbezüglich Beate Hartinger-Klein. Die blaue Sozialministerin hatte schon vor einer Woche via Kleine Zeitung provokant in Frage gestellt, dass Funktionäre und Gewerkschaftsvertreter zuvorderst die Interessen der Mitarbeiter vertreten: „Es ist ja oft so, dass der Betriebsrat etwas anderes will als der einzelne Arbeitnehmer, oder?“

Noch deutlicher wurde am Vorabend der ÖGB-Demonstration FPÖ-Klubchef Johann Gudenus im Parlament. Dieser erklärte unumwunden, dass ein wesentlicher Aspekt der Arbeitszeitflexibilisierung die Entmachtung der Betriebsräte sei. Denn in den Betriebsräten gibt es, so Gudenus, „noch vorhandene Machtstrukturen“ der Sozialdemokratie – und die müssten „minimiert“ werden.

„Keinen Fuß am Boden“

Zusammengefasst heißt das: Die Gewerkschaft ist Handlanger der SPÖ – und als solche gehört ihre „Macht“ in den Betrieben beschnitten.

Einer der Hauptadressaten der Attacke, der leitende ÖGB-Sekretär Bernhard Achitz, will den Grund für das distanzierte Verhältnis der Freiheitlichen zur organisierten Arbeitnehmervertretung kennen. „Die haben bei Wahlen einfach nie einen Fuß auf den Boden bekommen, deshalb wollen sie den Einfluss der Betriebsräte so weit es geht minimieren.“

Was stimmt ist: Die FPÖ hat bei den Betriebsräten noch sehr viel Luft nach oben. So beläuft sich der Anteil der blauen Arbeitnehmervertreter laut einer ÖGB-internen Auflistung österreichweit auf nicht einmal ein Prozent.

Das ist zumindest ein Motiv für eine Entmachtung der Arbeitnehmervertretung. Aber was ist mit der ÖVP?

Hier geht vorerst niemand soweit, die Arbeitnehmervertretung als Ganzes in Frage zu stellen – zumindest nicht zitabel und zugespitzt wie die FPÖ.

Doch als ÖGB-Vertreter am Wochenende zum Sturz der Regierung aufriefen, da waren Kanzleramtsminister Gernot Blümel und andere ÖVP-Funktionäre hörbar empört –Aufrufe wie dieser seien eine „massive Grenzüberschreitung“.

Hinter vorgehaltener Hand heißt es, Teile des ÖGB würden die 12-Stunden-Debatte parteipolitisch instrumentalisieren.

Ganz offen sagt das etwa Georg Kapsch. Der Präsident der Industriellenvereinigung ist im KURIER-Gespräch nicht nur entsetzt darüber, dass er bei den ÖGB-Protesten als Person an den Pranger gestellt wurde („Es würde mir nie einfallen, Vertreter der AK oder des ÖGB persönlich zu attackieren“). Der Unternehmer-Vertreter glaubt zudem, dass der Protest der Gewerkschaften vornehmlich politisch motiviert ist: „Einigen ÖGB-Funktionären scheint es darum zu gehen, die Regierung in Schwierigkeiten zu bringen.“