Amnesty kritisiert Eingriffe in Menschenrechte - auch in Österreich
Amnesty International kritisiert Eingriffe in die Menschenrechte gerade in der Corona-Pandemie, auch in Österreich. "Polarisierende Politikstrategien, fehlgeleitete Sparmaßnahmen und mangelnde Investitionen in die Gesundheit und das Wohl der Menschen haben dazu geführt, dass weltweit viel zu viele Menschen unverhältnismäßig stark unter den Auswirkungen von Covid-19 leiden", schrieb die Menschenrechtsorganisation in ihrem Jahresbericht 2020, der am Mittwoch präsentiert wurde.
Auch in Österreich sieht Amnesty "weitreichende und zum Teil problematische Eingriffe in die Menschenrechte".
Genannt wurden vor allem Corona-Schutzmaßnahmen. So kritisiert Amnesty etwa "unnötige und unverhältnismäßige" Einschränkungen von Versammlungen, obwohl die Veranstalter entsprechende Vorkehrungen zum Schutz der Gesundheit getroffen hätten, oder auch "überschießende Ausgangsregelungen, die gesetzlich nicht gedeckt waren". Konkret bemängelt die NGO Betretungsverbote während des ersten Lockdowns ab März 2020 sowie die Beschränkung der Teilnehmerzahl bei Demonstrationen wie bei einer "Fridays for Future"-Klimakundgebung im September in Linz.
"Politische Entscheidungsträger*innen haben die Aufgabe, Eingriffe in unsere Menschenrechte stets auf das Nötigste zu reduzieren und mit besonderem Augenmaß vorzugehen", sagte die Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, Annemarie Schlack, in einer Stellungnahme. "Wir fordern die Behörden in Österreich mit Nachdruck auf, dass jede Maßnahme einem konsequenten Menschenrechtscheck unterzogen werden muss." So sollten etwa alle Covid-19-Maßnahmen ein festgelegtes Ablaufdatum haben und auch während der Laufzeit überprüft und gegebenenfalls abgeändert werden. Wichtig seien außerdem ein umfassendes Recht auf Zugang zu Informationen, Unterstützung für Schutzbedürftige sowie effektiver Rechtsschutz. Amnesty fordert die Einführung eines Eilverfahrens beim Verfassungsgerichtshof.
"Welt ist aus den Fugen geraten"
Die Coronakrise verschärft laut Amnesty weltweit bestehende Ungleichheiten. "Unsere Welt ist völlig aus den Fugen geraten: Covid-19 hat bestehende Ungleichheit sowohl innerhalb als auch zwischen den Ländern auf brutale Weise offengelegt und verschärft", sagte Agnès Callamard, die neue internationale Generalsekretärin von Amnesty International. "Statt Schutz und Unterstützung zu bieten, haben Entscheidungsträger*innen weltweit die Pandemie instrumentalisiert und verheerende Schäden für Menschen und ihre Rechte angerichtet."
Ethnische Minderheiten, Geflüchtete, ältere Menschen und Frauen seien unverhältnismäßig stark von den Folgen der Pandemie betroffen. Gerade die "Helden und Heldinnen" der Coronakrise - die Beschäftigten im Gesundheitswesen sowie Arbeiter und Arbeiterinnen in systemrelevanten Bereichen - wurden "am schlechtesten geschützt". In Bangladesch etwa verloren Beschäftigte im informellen Sektor aufgrund von Lockdowns und Ausgangssperren ihr Einkommen und jeglichen Sozialschutz. In Nicaragua wurden Gesundheitsdienstleister entlassen, nachdem sie ihre Sorge über fehlende persönliche Schutzausrüstung und staatliche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung geäußert hatten. Der Bericht unterstreicht zudem einen erheblichen Anstieg der Fälle von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, auch in Österreich.
Untergrabung der Menschenrechte
Amnesty kritisierte darüber hinaus die Instrumentalisierung der Pandemie zur Untergrabung der Menschenrechte. In Ungarn etwa sei die Arbeit von Journalisten bedroht. In den Golfstaaten Bahrain, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten hätten die Behörden die Corona-Pandemie zum Vorwand genommen, das Recht auf freie Meinungsäußerung weiterhin einzuschränken. Auf den Philippinen sagte Präsident Rodrigo Duterte, er habe der Polizei die Anordnung gegeben, jeden Menschen zu "erschießen", der während der Quarantänemaßnahmen demonstriert oder "Unruhe stiftet". In Nigeria seien Menschen getötet worden, weil sie auf der Straße für mehr Rechte und Rechenschaftspflicht demonstrierten. Und in Brasilien eskalierte die Polizeigewalt: Zwischen Jänner und Juni 2020 habe die Polizei im ganzen Land mindestens 3.181 Personen getötet - das sind durchschnittlich 17 Tötungen pro Tag.
Kritisiert wurde außerdem, dass die Staaten Egoismus statt internationaler Zusammenarbeit an den Tag legten. So hätten Regierungschefs reicher Länder einen Großteil des global verfügbaren Covid-Impfstoffvorrats aufgekauft und damit nur wenig für andere Länder übrig gelassen. Diese reichen Länder hätten zudem nicht dafür gesorgt, dass Pharmaunternehmen ihr technisches Wissen weitergeben, um so den weltweiten Vorrat an Corona-Impfstoffen zu erhöhen. Und China habe Beschäftigte im Gesundheitswesen und Journalisten zensiert und verfolgt, die in der Anfangsphase der Pandemie vor deren Gefährlichkeit warnten. "Die Pandemie hat auf unangenehme Weise aufgezeigt, dass die Welt in Zeiten schwerer globaler Not nicht besonders wirksam zusammenarbeitet. Wir können diese Schwierigkeiten nur überwinden, indem wir international zusammenarbeiten", betonte Callamard.