Politik/Inland

Häuserkampf rot vs. blau

Freundschaft“ – auf der Stiege 100! Im dritten Stock schickt sich jemand an, seine Tür zu öffnen. Nach einem längeren Blick durchs Guckloch. Man weiß ja nie. Einbrecher? Die Zeugen Jehovas? Die Leute, die die Rundfunkgebühr einfordern wollen? Gar der Gerichtsvollzieher?

Die Stiege 100 eines Floridsdorfer Gemeindebaus an der Siemensstraße ist symptomatisch. Hier wohnen Menschen, die es finanziell alle nicht sehr dick haben.

Der Fall der Hochburg

Bis vor wenigen Jahren war auch dieser Bau eine Hochburg der Sozialdemokratie. An die 70 Prozent der Wahlberechtigten haben hier traditionell SPÖ gewählt. Doch bei der letzten Gemeinderatswahl 2010 verkehrten sich die Verhältnisse: Jeder Zweite, der sich in der nahen Volksschule zur Wahlurne bemühte, stimmte für die FPÖ.

Das wollen die beiden Herrschaften von der Sektion XI in Großjedlersdorf nicht auf sich sitzen lassen. Der Jüngere der Beiden eröffnet in der 100er-Stiege höflich: „Guten Abend, mein Name ist Ronald Schlesinger, und das ist der Herr Herbert Schweiger. Wir unterstützen die SPÖ im Wahlkampf. Ihre Meinung würde uns interessieren.“

Schlesinger ist einer von rund 700 Freiwilligen, die es mit ihren Hausbesuchen für die SPÖ in Wien richten sollen. Auf dem Weg vom dritten in den zweiten Stock erklärt er dem KURIER: „Mit ihrer Von-Tür-zu-Tür-Kampagne haben unsere Kärntner Parteifreunde die Landtagswahlen für sich entschieden.“ Wie viele Hausbesucher in den anderen Bundesländern unterwegs sind, konnte oder wollte ein Sprecher der Bundes-SPÖ nicht verraten.

Herbert Schweiger, tagsüber Direktor einer Volkshochschule, ist indes überrascht, wie viele Menschen der SPÖ auch heute die Türe öffnen und sich ein paar Minuten Zeit nehmen. Nur ein einziger Mieter meint, dass ihn die Politik nicht interessiert und dass er am 29. September nicht wählen geht.

„I wähl’ euch eh“

Die beiden Fragen „Soll sich die SPÖ für eine Reichensteuer einsetzen?“ und „Soll Wohnen weiterhin leistbar bleiben?“ sind hier im Gemeindebau aufgelegt. Es gibt sogar Zustimmung von jenen, die sagen, dass sie eine andere Partei wählen wollen.

Schweiger gibt zu: „Ich war erst skeptisch, ob das gut gehen wird. Jetzt bin ich froh, dass wir mit den Leuten ins Gespräch kommen.“

Kollege Schlesinger, Angestellter im Wohnservice-Büro von Stadtrat Michael Ludwig, ist ebenso beeindruckt: „Ich habe viele interessante Lebensgeschichten gehört.“ Der Wähler, das unbekannte Wesen, von dem sich seine Partei in den vergangenen Jahren stillschweigend verabschiedet hatte.

Auffallend auf der 100er- und auch auf der 101er- und 102er-Stiege: Es gibt für die beiden SPÖler mehr Sympathiebekundungen als sie sich erhofft haben. Öfters sagt jemand: „I wähl’ euch eh.“

Wohltuend: Das Ausländerthema ist zumindest an diesem Abend kein Thema (die Berichte anderer SP-Sympathisanten, die in dichter verbauten Anlagen unterwegs sind, sind weniger fein.) Interessant: Menschen mit Migrationshintergrund öffnen in der Tendenz eher die Tür als die, die hier geboren wurden. Erstaunlich : Für den einen oder die andere ist die Meldung, dass in einer Woche gewählt wird, brandneu.

Bis zur ZiB 1

Um Punkt 19.30 Uhr beenden Schlesinger und Schweiger ihre Mission. Einer ehernen Regel folgend: „Weil da wollen die Leute Nachrichten schauen – und etwas essen.“

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