Politik/Inland

Ein Jahr nach dem Wahltag: Türkis feierte, Rot revoltiert

ÖVP: Aus für „Streit und Stillstand“

Von der Schulreform bis zum Messerverbot für Asylwerber: es sind große, weitreichende, bis kleine, breitenwirksame Themen, mit denen Türkis-Blau zuletzt auf sich aufmerksam machte. Nun kann man von den Vorhaben halten, was man will – aber untätig ist die (jetzt nicht mehr ganz so) neue Regierung nicht.

Und heute, knapp ein Jahr nachdem die ÖVP bei der Nationalratswahl mit 31,5 Prozent der Stimmen auf Platz 1 schnellte, wurde feierlich Bilanz gezogen: Kanzler Sebastian Kurz lud 365 Unterstützer seiner „Bewegung“ ein. Aus dem Wahlkampf-Slogan „Zeit für Neues“ wurde „Die Veränderung hat begonnen. Österreich in Bewegung“. 

Was genau sich verändert hat bzw. in Veränderung begriffen ist, führte der Kanzler in seiner Rede aus. Da wäre das „Ende der Schuldenpolitik“ durch das Doppelbudget 2018/’19; dann das viel zitierte „Sparen im System“ etwa durch die Krankenkassen-Fusion – auch wenn die Opponenten das wohl etwas anders sehen.

Beim Stichwort „Entlastung“ nannte Kurz den Familienbonus, der ab 2019 gilt. Das türkise Großprojekt, die Bildungsreform, erwähnt er ebenso wie den angepeilten „Stopp der Zuwanderung in Sozialsystem“ durch eine Reform der Mindestsicherung.

Mit der rot-schwarzen Vergangenheit („Streit, Stillstand, schlechter Stil“), von der auch er Teil war, hielt sich Kurz in seiner Rede nicht lange auf, sondern schaut nach vorne: Er will Österreich an die Spitze bringen – nicht in irgendwelchen Rankings, sondern so, dass „die Menschen in Österreich ein glückliches und gelungenes Leben führen können“.

Auf der türkisen Agenda stehen etwa eine Steuerreform in Höhe von „mehreren Milliarden Euro“, eine Senkung der Arbeitslosigkeit „in Richtung 300.000“ (derzeit gibt es rund 345.000 Arbeitslose), eine „nachhaltige Lösung der Pflegefrage“ und – als europäisches Thema  –  „die Verteidigung gegen Gefährdungen der Grundfreiheiten“. Am Ende gibt Kurz ein Versprechen: Solange er Kanzler ist, wird er „nicht nur in Österreich, sondern auch in Europa mit vollem Einsatz für Demokratie und Rechtsstaat kämpfen“.

FPÖ sieht sich als "treibende Kraft in der Regierung"

Auch Vizekanzler Heinz-Christian Strache ( FPÖ), wandte sich mit einer Bilanz via Facebook an seine Unterstützer. Die FPÖ sei heute die "treibende Kraft in der Regierung" und könne drei Viertel ihrer Vorhaben umsetzen, so der Parteichef. Er strich insbesondere ein "Plus von über 42 Prozent bei den Abschiebungen" hervor. Sozialmissbrauch werde gestoppt, abgelehnte Asylwerber konsequent abgeschoben.

"Wir sorgen für mehr Fairness und soziale Gerechtigkeit für die österreichische Bevölkerung und wir haben die unkontrollierte Zuwanderung unter dem Deckmangel des Asyls gestoppt", so Strache: "Rot-Schwarzer Stillstand, Chaos, Belastungen und Streit sind endlich überwunden."

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SPÖ: Vom Dialog zum „Arbeitskampf“

Was tut man als designierte SPÖ-Chefin ein Jahr nach einem bitteren Wahltag?

Pamela Rendi-Wagner entschied sich dem Kanzler einen Brief zu schicken – korrekt und höflich im Ton, sie kennt Sebastian Kurz, man duzt einander. Es sei ihr wichtig, „einen guten Dialog mit allen im Parlament vertretenen Parteien zu pflegen“, schrieb Rendi-Wagner. Immerhin gebe es viele Themen, die man „gemeinsam ohne Scheuklappen“ beackern könne und solle.

Dass die Regierung bei dem von Rendi-Wagner besonders hervorgehobenen „Don’t smoke“-Volksbegehren noch relevanten Verhandlungsbedarf ortet, muss eher bezweifelt werden – zu deutlich und einhellig waren die entsprechenden Absagen der Regierungsparteien.

Wohl auch deshalb veröffentlichte die SPÖ am Freitag eine „Einjahresbilanz zu Schwarz-Blau“. Und die fällt, wie nicht anders zu erwarten war, alles andere als schmeichelhaft aus. Unter „Gebrochene Versprechen & böse Überraschungen“ werden allerhand Maßnahmen und Vorhaben zusammengefasst, die den Sozialdemokraten an der neuen Regierung missfallen.

Sehr prominent, nämlich gleich am Beginn der „Bilanz“, wird von der SPÖ die Frage der direkten Demokratie thematisiert: „Versprochen wurde mehr direkte Demokratie – nun gibt es auch bei 881.560 Unterschriften keine Volksabstimmung“, heißt es da. Zudem wettert die größte Oppositionspartei gegen die Kürzung der Mindestsicherung bei Asylberechtigten sowie gegen den Sparkurs beim Arbeitsmarktservice, der AUVA und den Gebietskrankenkassen.

Prominent vermerkt wird in der roten Negativ-Bilanz auch der 12-Stunden-Tag. Und damit ist man schon am Wiener Schwarzenbergplatz, wo am Freitag der ÖGB und führende SPÖ-Funktionäre sprichwörtlich vor der Haustür der Industriellenvertretung gegen die 60-Stundenwoche und den 12-Stundentag demonstrierten. „Die Gesetzesnovelle zum 12-Stundentag ist eine Entrechtung!“, donnerte FSG-Boss Rainer Wimmer. Er forderte eine „Kurskorrektur“, sprach vom „Arbeitskampf“. Und dabei klang er so gar nicht mehr wie die SPÖ-Vorsitzende in ihrem höflichen Brief an den Kanzler.