Politik

Helmut Schüller: "Gott ist auf keiner Seite, er steht drüber"

Probstdorf, eine Gemeinde im Marchfeld, die kaum über die Grenzen des Bezirks Gänserndorf hinaus bekannt wäre. Hätte sie einen anderen Pfarrer. Schon an der Ortseinfahrt sieht man Pfarrer Schüller auf einem Transparent: "Helmut, wir unterstützen euren Ungehorsam!" Darauf angesprochen, antwortet er später, als wir im Schatten alter Bäume im Garten des Pfarrhofs sitzen: "Ja, die Aktionsgruppe hat zugeschlagen" – mit einem eigenen Lächeln aus Stolz und Verlegenheit.

Im Pfarrhof rufen derzeit deutsche Reporter an und wollen den "Priesterrebellen" sprechen. Seit der Spiegel auf eineinhalb Seiten berichtet hat, Schüller werde beim Deutschen Katholikentag auftreten, nimmt die Aufregung kein Ende. Boulevardmedien schrieben sogar von einem "Einreiseverbot" für Schüller. Der lächelt nur milde und erklärt, dass er kommenden Donnerstag nach der Probstdorfer Erstkommunion nach Deutschland reisen werde: "Am Freitag besuche ich den Katholikentag und für Samstag ist eine Veranstaltung geplant, bei der ich über unsere Aktivitäten als Pfarrerinitiative sprechen soll." Im Alternativprogramm zum Katholikentag, wohlgemerkt.

Pünktlich zur Sonntagsmesse ist er daheim.

KURIER: "Monsignore" – ist das noch die korrekte Anrede? Sie haben ja angekündigt, dem Papst Ihr Ernennungsdekret zurückzuzuschicken.

Helmut Schüller: Damit warte ich noch ein bisschen. Ich schaue mir erst an, ob in der Kirche doch noch Bewegung zustande kommt.

In Deutschland bewegen Sie dieser Tage heftig: Ihr geplanter Auftritt am Rande des Deutschen Katholikentags sorgt für Aufregung.

Ich bin eingeladen, über die Aktivitäten der Pfarrerinitiative zu berichten. Wen das aufregen soll, weiß ich nicht. Mich regt es nicht auf.

Sind Sie wirklich so cool?

Naja ... diese ganze Dramatisierung hat doch damit zu tun, dass es ein Tauziehen um die Zukunftsrichtung der Kirche gibt.

Tauziehen? Sie und Ihre Mitstreiter werden eher als Aufständische betrachtet.

Wir haben ein System, in dem es keine geordnete Einflussnahme auf Entscheidungen gibt. Da muss es zum Aufbegehren kommen.

Und Sie stellen sich als Sprecher vor jene, die aufbegehren. Sind Sie mutiger als andere?

Ich weiß nicht, ob das so mutig ist für einen Pfarrer. Ein kleiner Bankangestellter, der sich dem Vorgesetzten widersetzt, ist mutiger.

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Ein kleiner Bank-Austria-Angestellter würde sich kaum dem UniCredit-CEO widersetzen.

Das ist ja unser Problem: Alles wird sofort zum Widerspruch gegen den Papst, auch wenn’s nur der kleinste Ober­ministrant sagt. Bei uns gibt es keine Zwischenebenen ...

... und deshalb kämpfen Sie auf höchster Ebene. Warum tun Sie sich das an?

Ich kann Ihnen sagen, was mich und meine Freunde von der Pfarrerinitiative antreibt: Die Sorge um die Zukunft unserer Gemeinden, die Frage, ob es unsere Pfarren nach uns noch geben wird. Uns treibt auch um, dass wir täglich mit Menschen und Lebenssituationen konfrontiert sind, auf die unser Kirchenrecht einfach nicht mehr passt.

Das sind die sachlichen Gründe. Auf der emotionalen Ebene vermuten manche ein Fernduell SchönbornSchüller, weil der Kardinal Sie 1999 ohne persönliches Gespräch – per Brief – als seinen Generalvikar abgesetzt hat.

Meine Lieblingsstory (er lacht gezwungen). Ich würde aber empfehlen, sie – so nett sie auch ist – beiseite zu lassen. 1999 war meine Absetzung. Nach dieser Theorie hätte ich also sieben Jahre nachgedacht, dann einen Verein gegründet und nach 13 Jahren endlich die Idee gehabt, was ich mache: Revanche! Das ist ja lächerlich. Die Realität ist, dass den Pfarrern zu 80 Prozent alles bis daher steht (macht eine Handbewegung auf Augenbrauenhöhe).

"Wir sind Gott gegenüber gehorsam", sagen Sie. Ist der liebe Gott auf Ihrer Seite?

Nein, er ist auf keiner Seite. Er steht drüber. Wir können nur vermuten, dass wir manchmal das tun, was er von uns erwartet.

Was müsste geschehen, damit Sie sagen: "Da haben wir uns verrannt"?

(Er überlegt) Wenn Menschen, die wissen, worum es geht, immer häufiger sagen würden: "Du, das geht so nicht." Oder wenn ich den Eindruck hätte, da ist etwas entstanden, das wir der Kirche, den Gemeinden nicht antun dürfen. Hier darf man aber Kirche und Amtsinhaber nicht verwechseln, die Amtsinhaber müssen sehr wohl etwas aushalten.

Sie betonen, dass sich der Umgang mit Autoritäten stark verändert. Inwiefern?

Autorität wird nicht mehr geschluckt. Sie wird entweder nicht akzeptiert oder beiseite geschoben. Da glaube ich, dass wir mit unserem Widerspruch mehr Respekt vor der Autorität haben, als die, die sagen: "Ist eh wurscht."

Wie leben Sie Autorität? Als Pfarrer sind Sie auch Autoritätsperson für Ihre Schäfchen.

"Schäfchen" sag ich ungern, weil ich glaube, dass sich das Bild von Jesus nur auf den Hirten bezieht. Es geht nicht um die Hirnlosigkeit der Herdentiere, sondern um die Haltung des Hirten. Der palästinensische Hirte geht interessanterweise in der Mitte, er rennt nicht voraus und sagt: "Mir nach!", die Tiere wissen, er führt sie. Psalm 23: "Dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht ..." Da fließt etwas zwischen den Geführten und dem Führenden.

Ich wollte Sie nach Ihrem Lieblingspsalm fragen. Ist er das, der Psalm vom guten Hirten?

Ja. Bei Psalmen tu’ ich mich sehr schwer, in meiner Oberliga spielen mindestens 20 ... aber geben wir dem 23er mal den Vorzug ...

... dicht gefolg von ...

... dem 88er. Das ist ein Psalm, der eigentlich mit Vorwürfen gegen Gott endet, formuliert aus einer tiefen, tiefen Verzweiflung: "... Du hast mir meine Freunde und Gefährten entfremdet, mein Vertrauter ist nur noch die Finsternis." (Sein Blick verändert sich, er schweigt kurz) Das zeigt das Riesenspektrum der biblischen Botschaft, von freudig glauben können bis hin zur größten Gottesverzweiflung.

Kennen Sie beides?

Ich kenne beides.

Hadern Sie manchmal mit Ihrem Gott?

Ja ...wobei ... so wichtig nehme ich mich nicht. Ich fühle mich von ihm ziemlich gut getragen (lacht). Aber ich habe andere Lebenssituationen gesehen, bei denen ich mir dachte: "Wieso gibt es das in seiner Welt?"

Gibt es etwas, wovor Sie Angst haben?

Ja ... an meiner Berufung vorbeizuleben. Ich will mein Leben nicht mit Dingen verbringen, die nicht dafürstehen.

Sie werden heuer 60. Viele Menschen fragen sich: "Warum lebt er nicht sein Leben und sein Amt so, wie er will?" Andere Pfarrer tun das auch, ohne es an die große Glocke zu hängen.

Diesem Gedanken kann ich nicht nahe­treten, bei allem Respekt.

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren, mit 70?

Das hängt von meiner Konstitution ab. Irgendetwas werde ich sicher tun für meine Gemeinde. Vielleicht werden sie mir aber gar nicht mehr zuhören. Ich weiß es nicht.

Wäre es schlimm für Sie, wenn Ihnen keiner mehr zuhört?

Ja. Leicht ist es sicher nicht. Aber man muss damit leben lernen. Für mich ist der Humor die Zwillingsschwester des Glaubens; dass der uns nicht ausgeht, halte ich für entscheidend.

Worüber können Sie herzlich lachen?

Über mich selbst ... oft auch darüber, wie wir uns als Kirche so vor uns hin benehmen.

Wir kennen jetzt Ihren Lieblingspsalm. Haben Sie auch einen Lieblingswitz?

Ich warte immer auf den noch besseren.

Wenn Sie in Interviews zum Thema Zölibat gefragt werden, ob Sie je verliebt waren, sagen Sie: "Ja." Mit dem Zusatz: "Aber für eine Familiengründung hat es nie gereicht." Wann waren Sie verliebt?

In meiner Studienzeit. Aber dann habe ich entschieden: Ich gehe diesen Weg. Der Beruf nimmt einen ganz in sich auf und man wird ein bisschen zum Einzelgänger. Das sind nicht tagtäglich heroische Entscheidungen, das sind eher Lebensweichenstellungen.

Heißt das, sobald die Weichen gestellt waren, haben Sie sich nie wieder verliebt?

Nein ... aber man muss sich, wenn so eine Situation kommt, immer überlegen: Was wird aus dem anderen Menschen? Was wird aus einer Frau, wenn ich die Entscheidung dann nicht treffe? Ich möchte es niemandem antun, eine Nicht-Entscheidung zu leben.

Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie allzu weltliche Themen diskutieren, statt die Mystik und das Glaubensgeheimnis zu betonen.

Die übersehen, dass sich der Großteil der Kirche nicht im Bereich der Hochglanzmystik abspielt, sondern an der Basis. Mystik ist etwas anderes als weihrauchschwingende Lateingesänge. Es sei denn, jemand findet es mystisch, wenn er eine Sprache nicht versteht, das ist aber dann eher mysteriös. Mystik heißt, darauf zu vertrauen, dass der Geist Gottes uns führt, uns dabei hilft, zueinander zu kommen.

Kirche ist für Sie nicht nur Wandlung und Geheimnis des Glaubens?

Wandlung ist etwas ganz Spannendes! Aber wenn einer kommt und sagt: "Die Kirche muss sich wandeln!", werden alle blass.

Sie sind über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt. In den Schlagzeilen sind Sie der "Priesterrebell" und werden mit Martin Luther verglichen. Sind Sie ein Rebell?

Rebellen sehen anders aus (schmunzelt).

Wie geht es Ihnen mit dem Luther-Vergleich?

Ich erinnere mich daran, dass Luther eigentlich keine neue Kirche wollte, sondern Reformen innerhalb der Kirche. Ich denk mir, das Drama war, dass er damals keine Gesprächspartner gefunden hat. Die Kirche kam übrigens 500 Jahre später zu ähnlichen Einsichten wie Martin Luther. Im Zweiten Vatikanischen Konzil "luthert" es ein bisschen.

Würde es Sie freuen, wenn jemand prophezeit: "In 500 Jahren ,schüllert" es ein bisschen?"

Nein, nein, nein. Das würde mich nicht freuen! Ich glaube, wir haben heute viel bessere Voraussetzungen. Wir können Dinge in Bewegung bringen, ohne damit übrig zu bleiben.

Sie glauben, dass sich bald etwas bewegt?

Oh ja!

Chronologie: Ungehorsam und Protest

Pfarrerinitiative 2006 gründete Schüller mit Pater Udo Fischer die Initiative, vor allem, um vor der Zusammenlegung von Pfarren zu warnen.

Aufruf zum Ungehorsam 2011 veröffentlichte die Initiative einen Aufruf, in dem unter anderem die Zulassung von Frauen und Verheirateten zum Priesteramt, die Missachtung des Predigtverbots für Laien sowie die Zulassung zur Eucharistie "für alle gutwilligen Gläubigen" gefordert wurden.

Brief an den Papst Im Februar 2012 wurde die Fortsetzung des Aufrufs, der "Protest für eine glaubwürdige Kirche" , veröffentlicht. Derzeit formuliert die Initiative, die mittlerweile zahlreiche Unterstützer aus anderen Ländern hat, einen Brief an den Papst und bittet um ein Gespräch. Der Pressesprecher des Papstes hat bereits im Vorfeld angekündigt, es werde kein Gespräch geben.

www.pfarrer-initiative.at