Eine Woche in Gletscherspalte überlebt
Von Gertraud Walch
Ich bin Bayer, und am liebsten wäre mir jetzt eine Halbe Radler", erklärte der 70-jährige Bergsteiger, als er nach sechs Tagen in einer schulterbreiten Gletscherspalte in der Innsbrucker Klinik nach seinem ersten Wunsch gefragt wurde.
"Ich fragte, warum er keine Maß will", berichtet Volker Wenzel, der stellvertretende Direktor der Anästhesie. "Da meinte er: Das wäre zu viel."
Vermutlich war es auch diese mentale Stärke, die dem Alpinisten aus Schmidmühlen (Kreis Amber-Sulzbach) das Überleben in 20 Metern Tiefe und Eis ermöglichte, bis Bergsteiger am Dienstag gegen 12.15 Uhr seine Hilferufe aus der Spalte am Längentalferner in der Schrankogelgruppe hörten.
"Als passionierter Bergsteiger war er gut trainiert, gut ausgerüstet und konnte sich gut organisieren", sagt Anästhesist Wenzel. So hatte sich der 70-Jährige sofort seine Tafel Schokolade rationiert, jeden Tag nur ein Stückchen gegessen und Gletscherwasser getrunken. "Und er hat nie die Hoffnung aufgegeben, dass er seine Familie wiedersieht."
Abgrund
Abgrund Der Bayer war auf einer Bergtour unterwegs gewesen. "Am 6. August kam er von der Franz-Senn-Hütte bei uns an", berichtet Rinaldo De Biasio, der Hüttenwirt des Westfalenhauses. Von dort aus brach er am 8. August in Richtung Amberger Hütte auf. Doch am Längentalferner gab plötzlich der Boden unter ihm nach, und er stürzte in die Spalte.
Sein Leben verdankt er wohl den drei deutschen Bergsteigern, die am Dienstag zufällig dieselbe Route zur Amberger Hütte nehmen wollten – und die Retter alarmierten. Gegen 14 Uhr wurde der Alpinist mit dem Helikopter C1 in die Klinik gebracht.
Wie er die Tage und Nächte dort unten verbrachte? "Er sagte, er hat gewartet und gedöst. Sitzend, stehend oder sich auf ein Podest stützend. Und er wusste, wenn er einschläft, wacht er im Jenseits wieder auf", gibt Wenzel die Schilderungen seines Patienten wieder.
Auch über seinen Tod dachte er unten im Eis nach – und kam zum Schluss: "Wenn es denn so ist, dann ist es so." Auf die Frage, wie viel Glück der Alpinist hatte, meint Wenzel: "110 Prozent. Die Umstände waren extrem günstig."
Denn er hatte beim Absturz nur leichte Verletzungen an der Hüfte erlitten und wurde nicht durchnässt. Noch bis Donnerstag wird er auf der postoperativen Intensivstation versorgt. Abzuklären ist auch, ob unfall- oder gefäßchirurgische Operationen nötig sind. Denn die Füße des Deutschen, der mit 34 Grad Körpertemperatur geborgen wurde, waren sehr kalt. Zudem sind die Nieren vom mineralienarmen Gletscherwasser überlastet.
Dass der 70-Jährige tatsächlich seit 8. August in der Spalte gefangen war, bestätigt auch sein Eintrag im Hüttenbuch des Westfalenhauses. "Weil er allein und ohne Anmeldung unterwegs war, ist er niemandem abgegangen", erklärte De Biasio.
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