Der Retter mit der kalten Schnauze
Von Niki Nussbaumer
Es knirschte und krachte, klirrte und knallte. Das Geräusch von splitterndem Glas und berstendem Holz zerriss die Stille. 100 Meter war Roland Wieser mit seinem Auto im „Sautobel“ bei Frastanz in Vorarlberg einen Abgrund hinuntergestürzt; der Wagen überschlug sich mehrmals, riss Bäume mit und blieb in einem Bachbett liegen.
Hoffnungslos
„Ich habe mir gedacht: Jetzt ist es aus. Hier unten im Graben findet mich keiner“, erinnert sich Roland Wieser im Gespräch mit dem KURIER. Dass er gefunden wurde und noch am Leben ist, verdankt er nur seiner siebenjährigen Golden-Retriever-Hündin Shira.
Rückblick: Es ist Donnerstag, der 12. Jänner; vier Tage zuvor hat Roland Wieser seinen 64. Geburtstag gefeiert. Der leidenschaftliche Wanderer ist mit Shira auf dem Heimweg von seiner Hütte im Samina-Tal in Richtung Frastanz. Plötzlich, mitten auf einem kaum befahrenen Forstweg in 900 Meter Höhe, kann er Arme und Beine nicht mehr bewegen. „Das Auto ist auf den Abgrund zugerollt und ich konnte nichts machen. Nicht lenken, nicht bremsen, nicht Gas geben.“
Er hatte einen Hinterwandinfarkt erlitten, erfährt er später im Spital. Als sein Geländewagen in der nächsten Kurve über den rechten Fahrbahnrand hinausfährt, verliert er die Erinnerung. „Ich bin erst zu mir gekommen, als der Jeep gegen einen Baum gekracht ist. Mich hat es zurück in den Kofferraum geknallt.“ Durch die zertrümmerte Heckscheibe zieht er sich mit letzter Kraft aus dem Auto – aus Angst, es könnte Feuer fangen und explodieren.
Hilflos
Schwer verletzt liegt Wieser im Bachbett und ruft um Hilfe. Doch keiner hört seine verzweifelten Schreie. Er ist zu schwach, um aufzustehen oder sich den Hang hinaufzurobben. Von der Straße aus ist sein Auto nicht zu sehen. Und er weiß: Bald wird es dämmern. Dann ist die Chance, dass er gefunden wird, noch geringer. „Da hat sich jede Minute angefühlt wie eine Stunde.“
Außerdem fehlt von Shira jede Spur; Wieser befürchtet, dass die Hündin aus dem Jeep geschleudert wurde und jetzt unter dem Wagen liegt. Tatsächlich ist der Golden Retriever wohlauf und läuft durch dichten Wald instinktiv ins zwei Kilometer entfernte Bergdorf Amerlügen. „Er kennt den Ort und die Menschen.“
Dort sitzt gerade Ulli Raich, Chefin des Feldkirchner Hotels „Bären“, mit Freunden vor dem Gartenhäuschen und genießt die Sonne. „Auf einmal ist ein Hund auf uns zugelaufen“, erzählt die 37-Jährige. „Ich habe mir noch gedacht: Wer hat in Amerlügen einen Golden Retriever?“ Als dieser näher kommt, sieht sie: „Das ist der Hund vom Roland.“
Ulli Raich ist eine Freundin der Familie Wieser und kennt Shira von klein an. Sofort merkt sie, wie nervös die Hündin ist. „Da habe ich gewusst, es ist etwas passiert.“ Sie versucht Roland Wieser auf dem Handy anzurufen, doch es meldet sich nur die Mobilbox – im „Sautobel“ gibt es keinen Empfang. Raich alarmiert einen Bekannten; der macht sich auf die Suche und entdeckt zuerst Fahrzeugspuren im Schnee und dann das Auto.
Seit einer Stunde liegt Wieser schon im Bachbett und ruft um Hilfe. Er ist nass, unterkühlt und steht unter Schock, als ihn die Einsatzkräfte erreichen. „Ich habe am ganzen Körper gezittert.“
Die Feuerwehr Frastanz ist mit drei Fahrzeugen und 30 Mann ausgerückt, auch Bergrettung und Notarztteam sind im Einsatz. Ein Hubschrauber bringt den Schwerverletzten mittels Tau-Bergung ins Spital nach Feldkirch. Eine Stunde länger im Freien und er wäre erfroren, sagt die Notärztin. Wieser hat ein Schädel-Hirntrauma und einen offenen Unterarmbruch erlitten, weiters sind neun Rippen, das Jochbein und das Schulterblatt gebrochen und die Schulterbänder gerissen. „Und ich hatte 1000 blaue Flecken und Schürfwunden.“ 18 Tage lang liegt er auf der Intensivstation, insgesamt muss er einen Monat lang das Spitalsbett hüten.
Schlaflos
Nun ist der 64-Jährige wieder daheim. Noch schmerzt die Schulter, noch ist der linke Arm unbeweglich, noch braucht der Körper Medikamente, um Schlaf zu finden. Doch der Vorarlberger weiß: „ Wäre der Hund nicht in den Ort gelaufen und hätte die Ulli nicht so schnell reagiert, wäre ich jetzt tot.“
Auf ein kleines „Dankeschön“ für die Rettung wartet Shira aber bis heute noch. Roland Wieser winkt ab: „Die ist schon dick genug.“
Wenn Hunde Leben retten
Immer wieder schlagen Vierbeiner bei Bränden mittels Bellen Alarm und retten so ihre Besitzer vor dem Verbrennen. Im Juni 2008 stürzte in Oberösterreich ein Jäger von einem Hochstand fünf Meter in die Tiefe und blieb bewegungsunfähig auf dem Rücken liegen. Also befahl er seinem Jagdhund, ihm das Handy aus dem Rucksack zu apportieren – was der folgsame Vierbeiner auch tat.
Ebenfalls im Jahr 2008 verhinderte ein Schäfer-Dackel-Mischling in Jenbach in Tirol eine Vergewaltigung. Er biss einem Mann, der eine 14-Jährige im Park zu Boden gerissen hatte, ins Gesicht und ins Ohr, bis dieser von seinem Opfer abließ.
In OÖ kam 2002 ein Landwirt in die Häckselmaschine, wobei ihm der Vorderfuß abgetrennt wurde. Daraufhin lief sein Schäferhund der Schwägerin, die 15 Minuten zuvor den Hof mit dem Fahrrad verlassen hatte, zwei Kilometer hinterher. Durch lautes Bellen konnte er sie zum Umkehren veranlassen.