Politik/Ausland

Zentralafrika: Frankreich will Religionskrieg stoppen

Frankreich, Uno, wer auch immer, helft uns, sonst überlebt hier keiner“. Diese verzweifelte Bitte von Clément, einem Familienvater in der Republik Zentralafrika, wurde kürzlich von einem französischen Radiosender übertragen. Aus Angst vor brandschatzenden und mordenden Banden war der Mann aus seinem Dorf in den Urwald geflüchtet, wo Krankheit und Hunger einen Teil seiner Verwandten bereits hingerafft haben.

So wie Clément sind schon eine halbe Million der insgesamt 4,6 Millionen Einwohner des frankophonen Staats im Herzen Afrikas auf der Flucht. Humanitäre Organisationen schätzen, dass 1,5 Millionen Zentralafrikaner Nothilfe brauchen würden. Dabei sind es nur rund 15.000 Mann, die auf Geheiß rivalisierender Warlords das Land terrorisieren.

Christen üben Vergeltung

Aber daraus kann ein Massenmorden entlang religiöser Bruchlinien werden: die marodierenden Milizen, die im vergangenen März in der Hauptstad Bangui einen Staatsstreich unterstützten, bestehen aus Angehörigen der muslimischen Minderheit (30 Prozent der Zentralafrikaner) und Söldnern aus muslimischen Nachbarstaaten (Tschad und Sudan). Ihre Opfer sind vornehmlich Christen. Woraufhin sich Angehörige der christlichen Bevölkerungsmehrheit ihrerseits zu Verteidigungsgruppen zusammengeschlossen und stellenweise Vergeltung geübt haben.

Frankreich hat schon seit mehreren Monaten im UN-Sicherheitsrat sowohl diese Gefahr eines ausufernden Religionskriegs in Zentralafrika geltend gemacht, als auch die Chance, diese Gefahr zum jetzigen Zeitpunkt noch mit vergleichsweise geringem militärischem Aufwand abzuwenden. Eine entsprechende, von Frankreich vorgelegte Resolution dürfte voraussichtlich kommenden Montag von der UNO beschlossen werden. Demnach sollen die bereits vor Ort stationierten aber bisher nur mangelhaft ausgerüsteten pan-afrikanischen Sicherheitstruppen aufgestockt und von der UNO offiziell zur Friedenserhaltung beauftragt werden. Die französische Armee, die schon bisher den afrikanischen Friedenstruppen zur Seite stand, erhält Auftrag die künftige UN-Intervention maßgeblich zu unterstützen.

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Gleich nach der Beschlussfassung der UNO in der nächsten Woche soll eine Blitzaktion der Franzosen in Zentralafrika starten, so verlautet aus Kreisen um den französischen Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian. Fest steht, dass Frankreich sein bisheriges Kontingent von 450 Soldaten, das vor allem den Flughafen von Bangui sicherte, auf insgesamt 1000 Militärs erhöhen wird. Das unmittelbare Ziel lautet, die marodierenden Haufen von den wichtigsten Straßenverbindungen zu verjagen und die Rückkehr der Geflüchteten in ihre Dörfer zu ermöglichen.

Die französische Öffentlichkeit stellt sich natürlich die Frage, ob Frankreich nicht dabei sei, sein militärisches Potential zu überdehnen: Paris kann mit keiner nennenswerten Unterstützung vor Ort durch Einheiten aus den USA oder EU-Partnerstaaten rechnen, insgesamt sind bereits 8500 französische Soldaten auf internationalen Krisenherden stationiert, die französische Armee wird gerade einer scharfen Spar-Kur unterzogen.

Krieg in Mali geht weiter

Erst zu Jahresbeginn hatte eine französische Intervention in Mali den Vormarsch von Dschihadisten-Verbänden auf die Hauptstadt Bamako gerade noch abwehren können. Die Angreifer wurden anschließend auch aus ihren ursprünglichen Aufmarschgebieten im unwegsamen Norden Malis vertrieben. Der Norden des Landes bleibt aber instabil, französische und afrikanische Truppen kämpfen weiterhin mit islamistischen Freischärlern, die sich die Rivalitäten zwischen örtlichen Volksgruppen zu Nutze machen.

Verteidigungsminister Le Drian sieht allerdings einen „fundamentalen Unterschied“ zwischen Mali, einem komplett muslimischen Land, und Zentralafrika: „In Mali hatten wir es mit dem Angriff von Dschihadisten zu tun, die einen Terroristen-Staat errichten wollten. In Zentralafrika haben wir den Zusammenbruch des Staats und eine Tendenz zum konfessionellem Konflikt“. Der französische Einsatz sei nur auf sechs Monate bemessen, anschließend würden die afrikanischen Verbündeten die Hauptlast der Stabilisierung tragen.

Diese Argumentation hinkt freilich, weil Auflösungstendenzen und Umstürze das Staatswesen Zentralafrikas chronisch heimsuchen, woran eine schnelle Intervention nicht viel zu ändern vermag. Außerdem unterhält die Bevölkerung logischerweise ein ambivalentes Verhältnis zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, die ihrerseits auch den Rohstoff-Reichtum des Landes (Uran, Kupfer, Diamanten) im Auge hat und die längste Zeit mit korrupten Putschisten im Verbund stand. Andererseits ist Frankreich zurzeit die einzige Militärmacht, die willens und vielleicht imstande ist, eine absehbare humanitäre Katastrophe und einen kompletten Zerfall des Landes etwa in der Art Somalias zu verhindern.

Erschrockener Präsident

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Der jetzige Präsident Zentralafrikas, Michel Djotodia, gibt selber zu, dass ihm die Kontrolle über die Milizen entglitten ist, die ihn ans Ruder brachten (er löste dabei übrigens einen anderen, vormaligen Putschisten ab): „Manchmal schrecke ich auf und frage meinen Sicherheitsminister, was da los ist“, gestand Djotodia. Der von ihm befragte Minister, Josue Binoua, kann auch nicht viel ausrichten, weil der Staat keine Beamten mehr zahlen und keine Steuern einzuheben vermag, während die Warlords den Diamantenhandel an sich gerissen haben.

Schon Ende August war ein erster Anlauf von Präsident Djotodia, die Milizen zumindest in der Region um die Hauptstadt durch die Polizei zu entwaffnen, gescheitert. Sicherheitsminister Binoua hatte damals der französischen Zeitung Le Mondeerklärt: „Unsere Polizei verfügt nur über vier Fahrzeuge, von denen zwei gerade defekt sind“.

Im Hintergrund leidet eine Bevölkerung, die sich bisher gegen religiösen Zwist immun gezeigt hatte. Das Pariser Blatt „Libération“ zitiert einen landesüblichen Witz: „In Zentralafrika gibt es 70 Prozent Christen, 30 Prozent Muslime und 100 Prozent Animisten. Neben Islam und Christentum wirken die vormaligen Naturreligionen weiter, Ehen zwischen Christen und Muslimen sind üblich. Mit dem jetzigen Konflikt steht diese erprobte Koexistenz aber erstmals auf dem Spiel.