Zeltstadt des Protestes in Chisinau
Von Elke Windisch
Hunderte haben sich bereits auf Dauer in der Zeltstadt auf dem Platz vor der Nationalversammlung in Moldawiens Hauptstadt Chişinău eingerichtet. Tausende stoßen allabendlich dazu. "Wir", sagt Natalja Morar, Bloggerin und Aktivistin der Massenproteste, "gehen nicht eher nach Hause, bis unsere Forderungen erfüllt sind": Rücktritt von Regierung, Parlament und Präsident sowie vorgezogene Neuwahlen bis März.
Es ist der größte Massenprotest seit April 2009, der die bis dahin regierenden Kommunisten zum Rücktritt zwang. Koordinator ist die Bewegung DA. Das Kürzel setzt sich aus den rumänischen Anfangsbuchstaben der Worte "Würde" und "Wahrheit" zusammen. Doch unter den Protestlern sind auch viele Angehörige der russischen Volksgruppe. Mit Europa-Fahnen attackieren sie zusammen eine pro-europäische Regierung. Eine Regierung, die von Anfang an auf schwachen Füßen stand.
Mehrheit bröckelt
Nur wegen der Uralt-Fehde von Kommunisten und Sozialisten wurde die Dreier-Koalition bei den Wahlen im November 2014 im Amt bestätigt. Ihre dünne Mehrheit bröckelt. Hinterbänkler suchen das Heil inzwischen nicht in der EU, die im letzten Jahr ein Assoziierungsabkommen mit Moldawien unterzeichnete, sondern in der Eurasischen Union Moskaus. Russland ist noch immer wichtigster Handelspartner und größter Arbeitgeber: Gut die Hälfte der Moldawier arbeitet dort als Gastarbeiter.
Beobachter ziehen bereits Parallelen zum Maidan 2014 in Kiew. Und wie dort verorten Verschwörungstheoretiker die Drahtzieher in den USA – um Moldawien im Einfluss des Westens zu halten. Andere vermuten pro-russische Oligarchen wie Renato Usaty als Drahtzieher.Die Mär hätten regierungsnahe Medien in Umlauf gebracht, um die Bewegung zu diskreditieren, sagt Morar. Der Maidan-Vergleich hinke. Die Protestler wollten auch keinen Machtwechsel wie in der Ukraine, sondern neue Gesichter an der Macht. Den Linken wie Rechten werfen die Protestler Inkompetenz, Unfähigkeit zu Reformen und zur Lösung des Konflikts um die abgespaltene Region Transnistrien sowie Korruption vor. Zu Recht: Spätestens seit dem Banken-Skandal, der für die Notenbank mit einem Nettoverlust von einer Milliarde US-Dollar endete, sieht auch Europa den einstigen Musterschüler des Programms für östliche Partnerschaft als dessen Schlusslicht.
Dabei fehlt es der Protestbewegung an einem Programm. Konkrete Forderungen fehlen. Zum Rücktritt ist Präsident Nicolae Timofti nicht bereit. In das Machtvakuum, so ließ er wissen, würden Kräfte stoßen, die versuchen, Moldawien zu destabilisieren. Die Bewegung DA reite bisher nur die Welle von Frust, der sich seit Jahren angestaut habe, glaubt auch Anatol Țăranu von der Consultingfirma Politicon. Ein Rücktritt der derzeitigen Führung könne daher jene an die Macht spülen, die die Protestler dort auf keinen Fall sehen wollen: Lobbyisten Moskau-freundlicher Oligarchen.