„Wir müssen das gesamte System überdenken“
Von Armin Arbeiter
„Seit drei Monaten gibt es nur noch wenig zu essen, täglich sterben Menschen“, berichtet Peter auf der „African Youth and Migration“-Konferenz in der ugandischen Hauptstadt Kampala. Sein Gesicht ist schmal, seinem Blick ist anzusehen, dass er Grauenhaftes erlebt hat. Vor einem Jahr ist Peter aus dem Südsudan geflüchtet – dort herrscht seit Jahren ein blutiger Bürgerkrieg, mehr als zwei Millionen Menschen mussten ihr Land verlassen, die meisten davon flohen nach Uganda. Dort gilt die wohl liberalste Flüchtlingspolitik weltweit: Flüchtlinge bekommen bei ihrer Ankunft ein lebenslanges Bleiberecht und 900 Quadratmeter Grund, den sie selbst bewirtschaften können.
„Niemand wird bei uns eingesperrt, jeder kann sich frei bewegen. Es ist unsere Pflicht, diesen Menschen zu helfen“, sagt Musa Ecweru, der ugandische Minister für Katastrophenschutz und Flüchtlinge zum KURIER. 1,3 Millionen Menschen hat das Land bisher aufgenommen, beinahe 300.000 von ihnen sind im Lager Bidi Bidi im Norden des Landes untergebracht – auch Peter wohnt dort. „Wir haben zwar unsere Grundstücke, die Gegend ist aber sehr felsig. Es ist schwierig, dort etwas anzubauen. Wir sind also nach wie vor auf Lebensmittellieferungen angewiesen. Die Lage wird immer schlechter“, sagt er.
Diese Lebensmittellieferungen kommen zu einem großen Teil vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und anderen Hilfsorganisationen, doch schon allein die UNO musste ihr Budget im Juni um die Hälfte kürzen. 420 Millionen Euro bräuchte das UNHCR für 2017, lediglich 15 Prozent davon gingen bis dato ein. Die großen Geldgeber aus dem Westen legen ihren Fokus auf Länder wie Syrien und Nord- und Westafrika, beziehungsweise auf Flüchtlingsunterkünfte im eigenen Land. Für Ecweru, der nach wie vor an der Politik der offenen Grenzen festhalten will, bedeutet der Einbruch der Hilfslieferungen eine Katastrophe: „Würde die Internationale Gemeinschaft ihre Hilfen einstellen, würde es unermessliches Leid für die Flüchtlinge bedeuten. Es ist die Pflicht der Welt, diesen hilfsbedürftigen Menschen zu helfen“, sagt er.
In westafrikanischen Ländern wie Ghana oder Nigeria herrschen andere Flüchtlingspolitiken: „Wir haben Flüchtlinge aus sehr vielen Nachbarländern, bei uns dürfen sie jedoch nicht arbeiten und müssen in Camps leben“, sagt Delali Badasu, eine Flüchtlingsforscherin aus Ghana. Wenn auch nicht unter den größten Fluchtländern, machen sich trotzdem tausende Ghanaer auf, Europa zu erreichen. Badasu sieht das skeptisch: „Wir müssen das gesamte Flüchtlingssystem überdenken – gib einem Menschen in Afrika 100 Dollar und er kommt damit lange aus. In Europa ist das Leben nicht so günstig. Auch der Migrationsexperte Sergio Carciotto ist der Überzeugung, dass die EU ihre Pläne, Asylzentren in Afrika möglich zu machen, verfolgen wird.
„Das Flüchtlingssystem in Europa wird verschwinden. Vor allem deswegen, weil es nicht mehr möglich ist, zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten zu unterscheiden. Tatsächlich sind 85 Prozent der afrikanischen Flüchtlinge Wirtschaftsmigranten.“ Entwicklungshilfe vor Ort findet er wichtig, jedoch unter anderen Bedingungen: „Die EU gibt Unsummen an Geld aus, das dann in Korruption versickert. Die Menschen, die das Geld und die Mittel wirklich brauchen, bekommen es in sehr vielen Fällen nicht. Entwicklungshilfe sollte nur gegeben werden, wenn man weiß, dass sie auch ankommt“, sagt er.
Auch umfassende Bildung für Flüchtlinge sei wichtig, da diese dann bereits in Afrika Arbeit finden könnten: „Die Afrikanische Union möchte schon bald eine Visafreiheit am Kontinent etablieren, dann könnte sich tatsächlich einiges für die Arbeitssuchenden verbessern“.
In Bidi Bidi wird jedoch das Bildungssystem infolge der Einsparungen immer schlechter: „Es gibt eine Einrichtung und dort sitzen hunderte Menschen. Es ist beinahe unmöglich, dem Unterricht zu folgen“, berichtet Peter.