Willkommen in der Hate-Culture
Von Barbara Kaufmann
Foltern, auspeitschen, anzünden. Vierteilen, aufhängen, verbrennen. In Säure auflösen, Gliedmaßen ausreißen, enthaupten. Im Netz tobt eine Materialschlacht. Die Gerätschaft ist der menschliche Körper. Der weibliche wird penetriert, seziert, die Falten und Fettpolster bespuckt, das Gesicht mit Körperflüssigkeiten bespritzt. Urin, Sperma, Kot. Der männliche wird zerschlagen, die Knochen gebrochen, angezündet, angeschossen, in mehrere Teile zerschnitten. Ein Splattermovie in der Endlosschleife.
Frauen, Minderheiten, Flüchtlinge, Homosexuelle, Transsexuelle. Jeder wird zerstört.
Es ist nichts mehr Besonderes, zu hassen. Jeder tut es. Wer es besonders tabulos tut, wer Grenzen überschreitet, der wird belohnt. Durch Likes, durch Teilen, durch Anfeuerung. Wer den meisten Applaus bekommt, wird vom Algorithmus ganz nach vorne gereiht. Immer und immer wieder erscheint sein Beitrag vor allen anderen. Die weniger Beachtung finden. Die stiller sind und nachdenklicher und weniger grausam. Bis sie ganz vom Bildschirm verschwinden. Nicht mehr auftauchten. Bis sie verstummen.
In den Sozialen Netzwerken gibt es keine Ambivalenzen. Keine Grautöne, die man im Leben so schwer aushält. Die dazu gehören. Zum Erwachsen sein. Zum Ende der Kindheit. Es gibt nur einfache Botschaften. Und meistens Zustimmung. Weil man nur Menschen um sich versammelt hat, die gleicher Meinung sind. Das Netz lässt uns wieder Kind sein. Ein Kind, das immer recht bekommt. Dem niemals widersprochen wird. Falls doch, reagiert es kindlich. Grausam, rachsüchtig, verantwortungslos.
Die sozialen Netzwerke sind deshalb auch die Lieblingsspielplätze der Populisten. Der Kind-Männer. Hier können sie sich austoben, hier können sie wüten, aufstampfen, nach Vergeltung schreien. Oder die eigene Großartigkeit loben. Je nach Laune. Hier konnte Donald Trump punkten, Millionen hinter sich versammeln, die mit ihm wüteten und tobten. Spielkameraden mit Wahlrecht. Hier konnte er Menschen diffamieren, bedrohen, beschimpfen.
Alles nicht so gemeint, beschwichtigte man schon vor Monaten aus dem Trump-Lager. There's no business like showbusiness. Alles nur gespielt. Angenommen es war so. Musste Trump den Hass spielen, um überzeugen zu können? Beherrscht er die Regeln der Hasskultur besser, perfekter als seine Gegner? Weiß er, dass Hass zieht? Dass Medien sich ihm nicht entziehen können? Dass sie über jede seiner Beleidigungen, über jede Ausfälligkeit, über jede Grenzüberschreitung berichten werden?
"Eine pornographische Freude am Skandal", nannte die Journalistin Carolin Emcke, Autorin von „Gegen den Hass“, in einem Interview auf der Republica den Mechanismus, der Medienvertreter dazu bewog, Mitglieder der AfD lange vor ihren Wahlerfolgen in ihre Talkshows einzuladen und für ihre Sonntagsbeilagen zu porträtieren. Und so den Weg für ihren Erfolg erst zu ebnen. Hat Trump die Journalisten ausgetrickst? Weil er wusste, dass Hass zieht? Dass Hass Quote bringt? Weil er Empörung und Gegenhass produziert? Weil Onlinemedien und Politik Ping Pong spielen und sich gegenseitig anfeuern. Solange bis es wirklich brennt. Dann wird kurz innegehalten und weitergemacht.
Soziale Netzwerke sind narzisstische Räume, sagte mir eine Psychoanalytikerin unlängst. Ich-Fixierung wird belohnt. Weil es jeder so macht. Das beste Bild vom Abendessen, das beste Foto von der Hochzeit, die beste Version von sich selbst. Das wird akzeptiert, belohnt, geradezu gefordert. Das Ich als Marke, jubelt die Arbeitswelt. Als Ereignis. Als eigenes Medium. Alles in einer Person. Zuviel für eine Person, sagt die Analytikerin kritisch. Früher nannte man das Persönlichkeitsspaltung, heute das unternehmerische Selbst.
Narzissten sind leicht kränkbar. Jeder Widerspruch wird als Angriff empfunden. Andere Meinungen werden unerträglich. Wenn wir eifrig Tag und Nacht an der perfekten Version des Ichs basteln, darf dieses Kunstwerk von uns selbst keine Kratzer bekommen.
Trump hat das vorgemacht wie kein anderer. Er war der König der digitalen Narzissten. Trump war öffentlich gekränkt, hat in seinem Schmerz gebadet, hat öffentlich Rache geschworen und zum Angriff geblasen. Als Tondokumente auftauchten, in denen er sich der sexuellen Belästigung von Frauen rühmte, empfanden offenbar viele - auch weibliche! - Wähler die Kränkung über die öffentliche Blamage stärker als die verbalen Verletzungen von Trump. Sie fühlten mit ihm. Die Scham des Ertapptwerdens schien ihnen grausamer als der Einblick in Trumps Weltbild.
In Zeiten der exzessiven Selbstentblößung will man selbst entscheiden, für welche Geschichte man sein Privatleben verkauft. Wenn Reality TV uns irgendetwas beigebracht hat, dann das. Das hat auch Donald Trump gelernt.
Der Hass hat gewonnen. Selbst wenn er nur Pose war, Überspitzung, Mittel zum Zweck, hat er für Trump funktioniert. Als Aufmerksamkeitsgenerator. Als Identifikationsmodell. Als Mittel zur Wähler-Mobilisierung. Wir gegen die und kein Pardon! Andere werden sich daran ein Beispiel nehmen. Die Populisten in Europa beherrschen das Spiel in einigen Ländern schon jetzt sehr gut. Sie werden besser werden.
Es wird härter werden, brutaler, die Gegnerschaften unerbittlicher. Daran werden auch verschärfte Gesetze und tausende Forenmoderatoren nichts ändern. Willkommen in der Amtszeit des 45. Präsidenten der USA. Willkommen in der Hate-Culture.
Barbara Kaufmann ist freie Autorin und Filmemacherin. Sie schreibt für Medien wie Der Standard, NZZ.at, Datum und Falter und wurde jüngst als Medienlöwin ausgezeichnet.