Politik/Ausland

Wie Terroristen die Balkanroute als Tor nach Europa nutzten

[Update: Der gefasste Mann ist laut jüngsten Angaben nicht der gesuchte Attentäter]

Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere erklärte heute zunächst, dass der mutmaßliche Attentäter von Berlin über die Balkanroute - und damit auch über Österreich - nach Deutschland eingereist sei. Er soll in der Silvesternacht 2015 bei Passau die Grenze überquert haben. Laut jüngsten Angaben wird aber bezweifelt, dass der Pakistani der gesuchte Attentäter ist.

In der Vergangenheit kamen aber bereits Terroristen als Flüchtlinge getarnt nach Europa. Ein Überblick:

Thalys-Anschlag

Am 21. August 2015 verhinderten zwei US-Soldaten in letzter Minute einen Anschlag im Thalys-Schnellzug zwischen Brüssel und Paris. Der Täter Ayoub El Khazzani gelangte nach eigenen Angaben mit dem Drahtzieher der späteren Anschläge von Paris und Brüssel, Abdelhamid Abaaoud, über die Balkanroute nach Ungarn, wo er am 1. August 2015 erstmals registriert wurde. Am 4. August reiste Abaaoud laut einem Bericht der Zeitung "Le Monde" mit dem Auto weiter nach Wien, El Khazzani folgte einen Tag später mit dem Zug. Die Grenzen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht für Flüchtlinge offen, dennoch gelangten beide nach Österreich. In Wien traf El Khazzani Bilal Chatra alias "Hamza", sie machten sich gemeinsam auf den Weg nach Köln. Chatra, der als Informant über mögliche Einreisemöglichkeiten für Abaaoud gedient haben soll, wurde im Juli 2016 in Deutschland verhaftet.

Pariser Anschläge

Am 13. November 2015 eröffneten Islamisten nahezu zeitgleich das Feuer im Pariser Konzertsaal Bataclan sowie auf mehrere Restaurants, drei Selbstmordattentäter sprengten sich zudem vor dem Stade de France im Norden der französischen Hauptstadt in die Luft. Insgesamt starben 130 Menschen.

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Die Bataclan-Attentäter Omar Ismail Mostafa, Samy Amimour und Foued Mohammed Aggad reisten nach Angaben der ungarischen Behörden im September 2015 über die Balkanroute ein. Am 17. September trafen sie in Budapest Salah Abdeslam, der sie nach Belgien brachte. Dass der Weg dabei über Österreich und Deutschland führte ist naheliegend, offiziell jedoch nicht bestätigt.

Abdeslam selbst, der laut bisherigem Ermittlungsstand vorwiegend als "Chauffeur" für die Attentäter von Paris und Brüssel fungierte, wurde erstmals am 30. August 2015 in Ungarn registriert. Dort traf er nach Angaben der ungarischen Behörden die bereits wenige Tage zuvor über die Balkanroute eingereisten Marrokaner Chakib Akrouh und Bilal Hadif. Alle drei machten sich mit einem Mietwagen auf den Weg in Richtung Belgien, wohl erneut über Österreich und Deutschland. Akrouh eröffnete später das Feuer auf Pariser Restaurants und sprengte sich am 18. November während eines Polizeieinsatzes selbst in die Luft. Bilal Hadif gehörte zu den Selbstmordattentätern vor dem Stade de France.

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Auch die beiden weiteren Stade de France-Attentäter, Ahmad al-Mohammed und Mohammad al-Mahmoud, benutzten die Balkanroute. Sie wurden nach Angaben der ungarischen Behörden von Ungarn nach Österreich transportiert. Angekommen waren beide gemeinsam mit den im Dezember 2015 in einer Flüchtlingsunterkunft in Salzburg festgenommenen Adel H. und Muhammad U. im Oktober 2015 auf der griechischen Ägäis-Insel Leros. Letztere wurden mittlerweile an die französische Justiz überstellt.

Brüsseler Anschläge

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Am 22. März 2016 sprengten sich zwei Männer am Brüsseler Flughafen in die Luft, ein weiterer wenige Minuten später in einem U-Bahnwaggon nahe dem Europaviertel, dabei starben 32 Menschen. Einer der beiden Flughafen-Attentäter, Najim Laachraoui, war in Begleitung Abdeslams am 9. September im oberösterreichischen Grieskirchen kontrolliert, jedoch aufgrund fehlender Einträge im Schengen-Informationssystem nicht festgenommen worden. Begleitet wurden die beiden von Mohamed Belkaid, der als Logistiker der Pariser Anschläge gilt und am 15. März von der Brüsseler Polizei erschossen wurde.

Vereitelte und verübte islamistische Anschläge in Deutschland

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel hat bei ihrer Ansprache am Dienstag die Vermutung bestätigt: Der mörderische Angriff auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin war nach derzeitigem Wissen ein terroristischer Anschlag. Die Hintergründe blieben zunächst unklar. Seit langem haben Islamisten Deutschland im Visier. Eine Chronologie tatsächlicher und vereitelter Anschläge:

Dezember 2016: Im süddeutschen Baden-Württemberg werden ein 17-Jähriger aus Mannheim und ein 15-Jähriger aus dem Kreis Aschaffenburg festgenommen. Sie sollen einen Anschlag auf eine öffentliche Einrichtung geplant haben. Laut Staatsanwaltschaft Karlsruhe waren die Pläne islamistisch motiviert. Die möglicherweise psychisch kranken Jugendlichen wollten sich den Angaben zufolge Schusswaffen beschaffen.

Dezember 2016: Die Staatsanwaltschaft Köln erhebt Anklage gegen einen 16 Jahre alten syrischen Kriegsflüchtling. Der im September festgenommene Jugendliche soll einen Anschlag geplant haben. Er soll von einem Chatpartner im Ausland mit Verbindungen zur Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) Anleitungen zum Bombenbau erhalten haben.

November/Dezember 2016: Ein Zwölfjähriger steht im Verdacht, einen Anschlagsversuch auf einen Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen verübt zu haben. Der Bub hatte möglicherweise Kontakt zu radikalen Islamisten. Er soll laut Magazin "Focus" zunächst am 26. November versucht haben, ein mit Sprengpulver gefülltes Konservenglas auf dem Weihnachtsmarkt zu zünden. Am 5. Dezember soll er es dann in einer Tasche in einem Gebüsch nahe dem Rathaus deponiert haben, wo es entdeckt wurde. Die deutsche Bundesanwaltschaft ermittelt.

Oktober 2016: Die deutsche Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen einen seit März in Untersuchungshaft sitzenden 19-jährigen Syrer. Er soll Anschlagsziele für den IS in Berlin ausgekundschaftet haben.

Oktober 2016: Der Syrer Jaber al-Bakr wird in Sachsen festgenommen. Er soll einen Anschlag auf einen Berliner Flughafen geplant haben. Der 22-Jährige erhängt sich in seiner Zelle.

September 2016: In Schleswig-Holstein nehmen Sicherheitskräfte drei Syrer wegen Terrorverdachts fest. Die deutsche Bundesanwaltschaft wirft den Männern im Alter zwischen 17, 18 und 26 Jahren vor, im Auftrag des IS nach Deutschland gekommen zu sein, "um entweder einen bereits erhaltenen Auftrag auszuführen oder sich für weitere Instruktionen bereitzuhalten". Konkrete Aufträge gab es nach bisherigen Ermittlungen nicht, das Trio sitzt in Untersuchungshaft.

Juli 2016: Im bayerischen Ansbach sprengt sich ein 27-Jähriger auf einem Platz vor einem Musikfestival in die Luft, 15 Menschen werden verletzt. Der syrische Flüchtling stand nach einer mehrfach verlängerten Duldung kurz vor einer Abschiebung nach Bulgarien. Er war wiederholt in psychiatrischer Behandlung. Der IS beansprucht den Anschlag für sich.

Juli 2016: Ein 17-Jähriger geht - mit Axt und Messer bewaffnet - in einer Regionalbahn bei Würzburg auf Fahrgäste los. Fünf Menschen werden verletzt. Polizisten erschießen den Attentäter, der sich in einem Video als Kämpfer des IS bezeichnete. Er kam als Flüchtling nach Deutschland und gab sich als Afghane aus.

Juni 2016: Spezialkräfte der Polizei nehmen drei mutmaßliche IS-Anhänger in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Brandenburg fest. Sie sollen einen Anschlag in der Düsseldorfer Altstadt geplant haben.

April 2016: Nach einer indischen Hochzeit verüben zwei junge mutmaßliche Salafisten aus Gelsenkirchen einen Bombenanschlag auf ein Gebetshaus der Sikhs in Essen. Drei Menschen werden verletzt. Der Prozess gegen die beiden Verdächtigen und einen Komplizen begann im Dezember in Essen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem versuchten Mord vor.

Februar 2016: Bei einer Kontrolle am Hauptbahnhof Hannover verletzt eine 15 Jahre alte Deutsch-Marokkanerin einen Bundespolizisten lebensgefährlich mit einem Messer. Laut Bundesanwaltschaft war die Attacke eine "Märtyreroperation" für den IS. Seit Oktober muss sich das Mädchen vor dem Oberlandesgericht in Celle für die Tat verantworten.

Februar 2016: Die Polizei kommt einer mutmaßlichen Terrorzelle auf die Schliche und schlägt zeitgleich in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zu. Die vier verdächtigen Algerier sollen einen Anschlag in Berlin geplant haben. Der sei jedoch im Frühstadium durchkreuzt worden, heißt es.

März 2013: Die Polizei fasst vier Verdächtige aus der Bonner Islamisten-Szene, die einen Anschlag auf den Chef der rechtsextremen Splitterpartei "Pro NRW" geplant haben sollen. Der Kopf der Gruppe soll zudem im Dezember 2012 einen Sprengsatz im Bonner Bahnhof deponiert haben. Der Prozess in Düsseldorf dauert an.

April 2011: Ermittler nehmen in Düsseldorf drei mutmaßliche Al-Kaida-Mitglieder fest, die einen Sprengstoffanschlag in Deutschland geplant hatten. Im Dezember 2011 wird in Bochum ein viertes mutmaßliches Mitglied der "Düsseldorfer Zelle" gefasst. Die vier Männer werden Ende 2014 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

März 2011: Ein junger Kosovo-Albaner erschießt auf dem Flughafen Frankfurt/Main zwei US-Soldaten und verletzt zwei weitere schwer. Der Mann gilt als extremistischer Einzeltäter. 2012 wird er zu lebenslanger Haft verurteilt.

September 2007: Die islamistische "Sauerland-Gruppe" wird gefasst. 2010 werden die vier Mitglieder wegen geplanter Terroranschläge auf Diskotheken, Flughäfen und US-Einrichtungen in Deutschland zu bis zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt.

Juli 2006: Im Kölner Hauptbahnhof platzieren zwei Männer in Koffern versteckte Sprengsätze in Regionalzügen nach Hamm und Koblenz. Die Zeitzünder-Bomben explodieren jedoch nicht. Im Dezember 2008 wird einer der "Kofferbomber von Köln" zu lebenslanger Haft verurteilt.

April 2002: Die Polizei nimmt Anhänger der zum Al-Kaida-Netzwerk zählenden Terrorgruppe Al-Tawhid fest. Die Männer planten Angriffe auf das jüdische Gemeindezentrum in Berlin und jüdische Gaststätten in Düsseldorf. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht verurteilt sie zu mehrjährigen Gefängnisstrafen.