Politik/Ausland

Was den untergetauchten Prism-Enthüller erwartet

Für die einen ist er zu einem heldenhaften Bürgerrechtsverfechter avanciert. Seine Widersacher schimpfen ihn dagegen einen der größten Verräter in der Geschichte der Vereinigten Staaten und fordern, dass er büßt.

Die ganze Welt fragt sich: Wer ist Edward Snowden? Welche Dokumenten hat er weitergegeben? Wo hält er sich auf? Und: Welche Strafe könnte ihm drohen?

Der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Snowden, der den amerikanischen Spionage-Skandal aufgedeckt und sich nach Hongkong geflüchtet hat, ist in der chinesischen Sonderverwaltungsregion vorerst sicher. Wie Rechtsexperten erläuterten, wäre Snowden durch das Justizsystem in Hongkong vor einer schnellen Auslieferung an die USA geschützt. Das Verfahren könnte Monate dauern. Noch liegt aber kein Antrag vor.

Aus Hongkonger Hotel ausgecheckt

Der 29-Jährige hatte sich vor drei Wochen von Hawaii nach Hongkong geflüchtet. Ein Gast namens Edward Snowden wohnte vorübergehend im Mira Hotel im Stadtviertel Tsim Sha Tsui, ist aber am Montag ausgezogen, berichteten Mitarbeiter.

Snowden selbst findet nicht, dass er es verdient hat, bestraft zu werden. Er glaube nicht, dass er ein Verbrechen begangen habe. "Ich denke, es wird sich ganz klar zeigen, dass es politischer Natur war", sagte der Ex-CIA-Mitarbeiter den Reportern des britischen Guardian, als er sich dazu entschloss, seine Identität zu offenbaren. Wenige Stunden später checkte er aus seinem Hongkonger Hotel aus. Wo er sich seitdem aufhält ist unbekannt. Mehr zu seiner Person lesen Sie unten.

Snowden hat laut einem beteiligten Reporter tausende Dokumente an die Medien übergeben. Davon seien Dutzende berichtenswert, sagte der Journalist und Datenschutz-Aktivist Glenn Greenwald der New York Times von Dienstag.

Patriot oder Verräter?

Jeder, der geheime Informationen preisgibt, sollte im vollen Umfang des Gesetzes bestraft werden, fordert der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im US-Repräsentantenhaus, Mike Rogers. Ausschlaggebend wäre wohl das Spionagegesetz von 1917, das für jeden einzelnen Anklagepunkt bis zu zehn Jahre Gefängnis vorsieht. Allerdings: "In keinem einzigen Fall wurde das maximale Strafmaß verhängt", sagt Geheimdienstexperte Steven Aftergood. Auch versuchten die Staatsanwälte einen Prozess zu vermeiden aus Angst, noch mehr geheimes Material könne an das Licht der Öffentlichkeit geraten.

Das autonom regierte Hongkong hat - anders als China - zwar ein Auslieferungsabkommen mit den USA, doch könnte sich Snowden unter Hinweis auf politische Verfolgung dagegen wehren und zudem drei Berufungsinstanzen durchlaufen.

Eine Auslieferung könnte am Ende auch durch die chinesische Regierung verhindert werden, falls Peking seine nationalen Interessen beeinträchtigt sehen sollte. Snowden könnte in Hongkong auch politisches Asyl beantragen, was ihm ebenfalls viel Zeit schenken würde.

Russland erwägt Aufnahme Snowdens

Die russische Regierung würde ein Asyl-Gesuch des Enthüllers des US-Spähprogramms PRISM, Edward Snowden, prüfen. "Falls wir solch einen Antrag erhalten, werden wir ihn einer Prüfung unterziehen", zitierte die russische Tageszeitung "Kommersant" am Dienstag den Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dimitri Peskow. Der Vorsitzende des Ausschusses für Internationale Beziehungen in der Duma, Alexej Puschkow, rechnete bei einer Aufnahme Snowdens in Russland mit einer heftigen Reaktion Washingtons.

"Wenn Moskau Snowden Asyl gewährt, setzt es sich für die Verteidigung politisch Verfolgter ein", schrieb Puschkow im Kurznachrichtendienst Twitter. "Das wird hysterische Reaktionen in den Vereinigten Staaten hervorrufen, die dieses Recht ja nur sich selbst zugestehen."

Wikileaks-Gründer Julian Assange riet Snowden am Montag dazu, Asyl in Lateinamerika zu beantragen (Details siehe unten).

Debatte in Europa

Das deutsche Innenministerium will den Enthüllungen über die massenhafte Datensammlung durch US-Geheimdienste auf den Grund gehen. In seinem Ressort werde derzeit ein Fragenkatalog an die Amerikaner ausgearbeitet, sagte Innenminister Hans-Peter Friedrich am Dienstag bei der Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichts in Berlin. Dabei gehe es unter anderem darum, in welchem Umfang in den USA Daten gesammelt worden seien und nach welchen Gesetzen oder Vorschriften dabei vorgegangen wurde.

EU-Justizkommissarin Viviane Reding hofft auf eine Belebung der Debatte über die EU-Datenschutzverordnung. "Die Angelegenheit zeigt, dass ein klarer rechtlicher Rahmen zum Schutz persönlicher Daten kein Luxus oder eine Randnotiz ist, sondern ein Grundrecht der Bürger", sagte sie dem "Handelsblatt" (Dienstag). Seit 18 Monaten lägen die Vorschläge für die Reform der Datenschutzverordnung auf dem Tisch. "Es wird Zeit, dass der Rat demonstriert, dass er in der Lage ist, mit hoher Geschwindigkeit und Nachdrücklichkeit ein Vorhaben zur Stärkung der Bürgerrechte abzuschließen." Mit der neuen EU-Datenschutzverordnung will Reding die Rechte der Bürger an ihren persönlichen Daten stärken. Auch die Erhebung von Daten durch Drittstaaten will die Kommission an einen verlässlichen Rechtsrahmen koppeln.

Unterdessen räumte Kanada ein, selbst schon seit Jahren ein ähnliches Schnüffelprogramm zu betreiben (siehe unten).

Namen von Undercover-Agenten der CIA auf der ganzen Welt, private Daten aller US-Geheimdienstmitarbeiter, Abhörprotokolle von Bürgern Dutzender Staaten: Für einen 29-jährigen Privatangestellten mit bescheidenem Schulabschluss war Edward Snowden mehr als gut informiert. Der Amerikaner, dessen Enthüllungen über die Datensammelwut des US-Geheimdienstes NSA weltweit für Empörung sorgen, hatte fast unbeschränkten Zugang zu dessen Servern. So konnte er nach Belieben Einblick in dessen Arbeit, aber auch die der anderen US-Geheimdienste nehmen. Während Snowden, der ja von Hawaii nach Hongkong geflohen war, in der asiatischen Metropole untergetaucht ist, haben seine Enthüllungen zu Hause eine heftige öffentliche Debatte entfacht. Es geht um die Erfassung, aber auch um den Umgang mit privaten oder sogar geheimen Daten durch die Geheimdienste. Diese erledigen einen Gutteil des durch den Anti-Terrorkrieg angewachsenen Arbeitsaufwands nicht mehr selbst, sondern haben diesen an private Firmen ausgelagert.

Eine der wichtigsten davon ist Snowdens Arbeitgeber, die Technologie- und Managementberatung Booz Allen Hamilton. Die Firma ist seit den Terroranschlägen des 11.September rasant gewachsen, und ihr fast alleiniger Arbeitgeber ist der Staat, darunter vor allem das Verteidigungsministerium, die Armee und die Geheimdienste. Wie private Söldner auf Kriegsschauplätzen wie dem Irak erledigen die Technologie-Firmen heikelste Aufgaben im Sicherheitsbereich, etwa das Verwalten von Verhördaten.

Eng mit Militär verflochten

Seine Pole-Position hat Booz Allen-Hamilton auch durch engste personelle Verflechtungen mit den Behörden. Wie im Fall des Ex-CIA-Angestellten Snowden wirbt man gezielt ehemalige Mitarbeiter dieser Behörden an. Diese nehmen oft nicht nur ihre guten Kontakte zum neuen Arbeitgeber mit, sondern - wie auch Snowden – ihren Zugang zu geheimen Daten. Was aber die Firmen tatsächlich mit diesen Daten anstellen, sei oft schwer zu durchschauen, wie Kritiker des Systems behaupten: „Es ist einfach schwierig zu erfahren, was diese Vertragsfirmen wirklich machen und unter welchen Bedingungen sie diese Arbeiten eigentlich machen dürften.“

Zwar durchlaufen die Mitarbeiter der beauftragten Firmen Sicherheitskontrollen, doch sind die einmal bestanden, stehen ihnen auf Dauer die Türen zu den heikelsten Daten offen. „Die Untersuchung muss sich darauf konzentrieren, zu klären, wie dieser Typ Zugang zu so einer erschreckenden Menge an Informationen hatte“, warnt ein ehemaliges Mitglied der NSA-Führung gegenüber der US-Zeitung Washington Post: „Oft sind die besten Spione, die man in ein System einschleust, genau die EDV-Experten, die irgendwo im Keller sitzen, weitreichenden Zugriff haben und so Spionage-Software ins System einschleusen können.“kurier.at/auslandMehr über das Datensammelprogramm Prism und Whistleblower Edward Snowden finden Sie online.

Wikileaks-Gründer Julian Assange hat dem Ex-US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden geraten, nach dessen Enthüllungen im US-Abhörskandal Asyl in Lateinamerika zu beantragen. "Lateinamerika hat gezeigt, dass es bei den Menschenrechten vorankommt und eine lange Asyl-Tradition hat", sagte Assange, der selbst in der ecuadorianischen Vertretung in London Asyl erhalten hat, am Montagabend in einem Interview des US-Senders CNN. Snowden hatte sich vor drei Wochen nach Hongkong abgesetzt. Seit Montag ist sein Aufenthaltsort unbekannt.

Das vom Snowden aufgedeckte weltweite US-Ausspähprogramm für Internet- und Telefonverbindungsdaten habe keine rechtliche Grundlage, sagte Assange. Auch dürfe man den Beteuerungen von US-Präsident Barack Obama keinen Glauben schenken, dass keine Gespräche mitgehört würden. "Man kann überhaupt keinen Erklärungen trauen, die das Weiße Haus abgibt", sagte Assange. "Niemand hat Obama den Auftrag für eine weltweite Überwachung erteilt."

Die von Assange gegründete Enthüllungsplattform Wikileaks hatte 2010 tausende vertrauliche und geheime Dokumente des US-Militärs und US-Diplomatendepeschen veröffentlicht. Der 41-jährige Australier, der von Schweden in Zusammenhang mit Vergewaltigungsvorwürfen per Haftbefehl gesucht wird, hatte sich vor einem Jahr in die Botschaft Ecaudors geflüchtet. Er fürchtet, von Stockholm in die USA gebracht zu werden, wo ihm lebenslange Haft droht.

Die Mehrheit der US-Bürger unterstützen einer am Montag veröffentlichten Umfrage zufolge die großflächige Telefonüberwachung durch die NSA. Wie die Washington Post berichtete, bezeichneten 56 Prozent der Befragten das Programm angesichts der weltweiten Terrorgefahren als "akzeptabel". 45 Prozent wären demnach mit noch weitreichenderen Vollmachten zur Überwachung der gesamten Internetaktivitäten aller Bürger einverstanden.

Allerdings unterstützten US-Bürger eine Petition an das Weiße Haus, in der eine Begnadigung Snowdens gefordert wird. Bis Dienstag kamen dort mehr als 40.000 Unterzeichner zusammen. Kommen innerhalb von 30 Tagen mindestens 100.000 Unterschriften zusammen, muss das US-Präsidialamt das Gesuch beantworten.

Die kanadische Regierung hat eingeräumt, dass der Geheimdienst des Landes Internet- und Telefonverkehr im Ausland abfängt. "Das passiert seit Jahren", sagte Verteidigungsminister Peter MacKay am Montag vor dem Parlament. Er bestätigte damit Berichte der Zeitung "Globe and Mail". Demnach unterhält der kanadische Nachrichtendienst CSE ein Programm, um verdächtige Aktivitäten aufzuspüren. "Der CSE überwacht nicht die Kommunikation von Kanadiern", betonte MacKay. Es handle sich um "Geheimdienstaktivitäten im Ausland."

Der Minister lehnte eine Antwort auf die Frage ab, ob sich Kanada an dem jüngst aufgedeckten US-Überwachungsprogramm Prism beteiligt. Oppositionspolitiker kritisierten sein Schweigen. Die kanadische Datenschutz-Kommissarin Jennifer Stoddart zeigte sich besorgt und kündigte eine Untersuchung an, ob Kanadier von Prism betroffen seien. Kanada arbeitet eng mit den anderen angelsächsischen Staaten USA, Großbritannien, Australien und Neuseeland beim Geheimdienstnetzwerk Five Eyes zusammen.

Ohnehin ist bisher zwar einiges an biografischen Details über den 29-Jährigen herausgekommen, aber nur wenig darüber, was für ein Mensch er ist. Seine Eltern und seine Schwestern sowie eine 28-Jährige, die mit Snowden in Maryland und Hawaii zusammengelebt haben soll, reagierten nicht auf Anfragen. Eine ehemalige Nachbarin beschreibt ihn als ruhigen und schüchternen Menschen, der stets mit gesenktem Haupt herumgelaufen sei.

Snowden brach die Schule ab, beendete nach vier Monaten vorzeitig eine Militärausbildung, nachdem er sich - wie er selbst sagt - bei einer Übung beide Beine gebrochen hatte.

Nach Stationen als IT- und Sicherheitsexperte beim CIA landete er bei der Beraterfirma Booz Allen Hamilton, die dem Geheimdienst NSA nahesteht. So gelangte er an die Informationen über Prism, die er an Medien weiterleitete.