Politik/Ausland

Wie Frankreich wählt: Ganz rechts, ganz links oder doch ganz Mitte?

Der 56-jährige Michel, seines Zeichens Hausmeister und Gärtner einer adretten Pariser Wohnbau-Anlage, gehört zu jenen über 30 Prozent der Franzosen, die auch noch vier Tage vor dem ersten Durchgang der anstehenden Schicksalswahlen unentschlossen sind. Er schwankt zwischen Marine Le Pen, die ihn anfänglich mehr oder weniger überzeugt hatte, dem liberalen Zentrumskandidaten Emmanuel Macron, der eine Zeit lang als strahlender Favorit gehandelt wurde, und dem Linkstribun Jean-Luc Mélenchon, der neuerdings stark aufgeholt hat.

In jüngeren Jahren, als Michel noch in seiner Heimatregion, dem nordfranzösischen Pas-de-Calais, auf dem Bau arbeitete, war er, der Familien- und Lokaltradition entsprechend, sozialistischer Stammwähler. Bei den Präsidentenwahlen 2007 scherte er ein erstes Mal aus, es kam zum Krach mit den Eltern: Damals hatte es ihm der bürgerlich-populistische Draufgänger Nicolas Sarkozy angetan. "Speedy Sarko", wie man ihn nannte, bestach Michel mit seiner frenetischen Umtriebigkeit, seinem Hohn für "laxe Richter" und "überkluge Technokraten", seinen zuweilen nationalistischen Schlenkern und einer Maßnahme, die dem Hausbesorger noch heute als Leitfaden dient: die Nicht-Besteuerung von geleisteten Überstunden.

Genau das ist jetzt, aus der Sicht von Michel, auch ein Pluspunkt für den liberalen Reformer Macron, weil er (in Frankreich unüblich) den nicht zu seinem Lager gehörenden Ex-Präsidenten Sarkozy für diese Maßnahme ausdrücklich gelobt hat und sie wieder einführen möchte.

Lockangebot

Le Pen und Mélenchon locken Michel wiederum mit der Rückkehr zum Pensionsantritt ab 60 (derzeit 62 Jahre mit Ausnahme der Personen, die sehr früh zu arbeiten begonnen haben).

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Den konservativen Kandidaten François Fillon, obwohl von Sarkozy unterstützt, hat Michel hingegen abgeschrieben. Der Skandal um den parlamentarischen Scheinjob seiner Frau spielt dabei eine Rolle. Vor allem aber ist Fillon der einzige Kandidat, der zugibt, dass er den Pensionsantritt auf 65 Jahre anheben möchte.

Deswegen ist Michel noch lange kein Naivling und fragt sich, wie Le Pen oder Mélenchon die Rente ab 60 für alle überhaupt finanzieren wollen. Und wenn man schon so ins Grübeln kommt, ergibt ein Wort das andere. Und am bitteren Ende, man kann es nicht vermeiden, nachdem alle anderen Sorgen des Alltags ausgiebig erörtert wurden, taucht doch noch jene knifflige Frage auf, die das restliche Europa und so nebenher auch die Weltöffentlichkeit beschäftigt: "Die Sache mit dem Euro und der EU" – das gibt Michel zu, ist ihm bei Marine Le Pen nicht geheuer.

Beruhigung

Dabei hatte es die Nationalistin eine Zeit lang geschafft, Michel diesbezüglich zu beruhigen: In einem Radio-Interview hatte Marine Le Pen erklärt, dass es unter ihr zwar in Frankreich wieder ein eigenes "nationales Geld" geben werde, die Unternehmer würden aber weiterhin in einer europäischen Gemeinschaftswährung – eigentlich eine "Währungsschlange" wie sie vor dem Euro bestanden habe – ihren Außenhandel betreiben können. Warum also die ganze Aufregung? "Die Franzosen werden nichts verlieren", hatte Marine Le Pen damals versichert: Für jeden Euro werde es einen – wiedereingeführten – "Franc" geben, beide wären gleich viel wert.

Michel – und ich auch – hatten diese Erklärungen von Le Pen zwar nicht genau verstanden. Ich fragte mich: Wozu den Euro verlassen, wenn man dann im Außenhandel wieder eine Gemeinschaftswährung benützt und folglich auf den beabsichtigten Wettbewerbsvorteil verzichtet? Und wie kann umgekehrt eine neue, schwächere National-Währung, die Frankreichs Ausfuhrgüter dopen soll (das erklärte Ziel von Le Pen), gleichzeitig ebenso viel Wert haben, wie der vormalige Euro? Aber Michel wollte das gar nicht so genau wissen, und so mieden wir eine Zeit lang das Thema dank eines unausgesprochenen Einverständnisses.

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Auch das "Ausländer-Problem" wurde höflich umschifft: Nur gelegentlich hatte sich Michel für seinen Hang zu Le Pen verpflichtet gefühlt, sich mit der allseits strapazierten Formel zu rechtfertigen: "Ich bin kein Rassist, aber… Sie müssen mal meinen Sohn hören, der ist Polizist, und was der zu sehen bekommt." Ansonsten verträgt sich Michel prächtig mit den vielfach afrikanisch-stämmigen Tagelöhnern der Paketdienste und Handwerkern, die tagsüber in der Wohnanlage auftauchen. Jedenfalls besser als mit etlichen der wohlsituierten Hausparteien. Kann das den Zuschlag für den Linken Mélenchon bringen, der Marine Le Pen eine "Hass-Raspel" schimpft?

Oder wird dann doch noch die Sorge vor dem EU- und NATO-Austritt, den Le Pen und Mélenchon erwägen, abschreckend wirken? Vielleicht nicht: "Mal sehen. In fünf Jahren können wir sie ja wieder abwählen", gibt sich Michel zuversichtlich.