Videogipfel: Biden droht Putin mit Megastrafen
Von Dirk Hautkapp
In seiner zehnmonatigen Amtszeit hat Joe Biden schon viele außenpolitische Baustellen besucht. Ein Video-Duell, das ausgerechnet am 80. Jahrestag des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor potenziell über Krieg und Frieden in der Ukraine entscheiden könnte, war bis Dienstagnachmittag 16.07 Uhr nicht darunter. Ab diesem Zeitpunkt tauschten der amerikanische Präsident und sein russisches Gegenüber Wladimir Putin ihre in der Sache kilometerweit voneinander abweichenden Vorstellungen aus. Ergebnis nach zwei Stunden: offen. Bis auf den Austausch von Höflichkeiten zur Begrüßung und kurzzeitiger technischer Pannen (Bidens Mikro war aus) wurde zunächst nichts bekannt.
Für Biden war der virtuelle Meinungsaustausch die digitale Fortsetzung von Genf mit verschärften Mitteln. Bei der Face-to-Face-Premiere zwischen den beiden Staatsmännern im Juni in der Schweiz wollte der US-Präsident die Tonlage präzisieren, mit der er künftig in geopolitischen Streitfragen auf Moskau zu reagieren gedenkt. Biden verspricht sich davon Berechenbarkeit, Klarheit und das Vermeiden von Missverständnissen. Am Dienstag zog der Amerikaner rhetorisch die Zügel extrem an.
Sollte Putin, was US-Geheimdienste und Militärs für sehr wahrscheinlich halten, nach 2014 einen zweiten Truppen-Einmarsch in die Ukraine befehligen, werde Russland dafür einen „enormen ökonomischen und politischen Preis bezahlen", sagte Biden sinngemäß nach Angaben aus Regierungskreisen.
Stopp von Nord Stream 2
Konkret: Neben verstärktem Nato-Engagement an der Westflanke Russlands sowie im Baltikum und Waffenlieferungen an die Ukraine müsse Moskau in diesem Fall mit der Verbannung aus dem internationalen Zahlungssystem Swift rechnen, was die russische Wirtschaft massiv in Mitleidenschaft ziehen würde.
Wie am Dienstagabend bekannt wurde, sind die USA sind einem Insider zufolge mit Deutschland übereingekommen, im Falle einer russischen Invasion der Ukraine die umstrittene Nord Stream 2 Pipeline zu schließen. Dies hätten US-Regierungsvertreter Abgeordneten gesagt, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag von einem Kongressmitarbeiter.
Biden betonte zuvor beim Videogipfel dem Vernehmen nach, dass er bei seinem Vorgehen den Rückhalt entscheidender Partner in Europa habe. Der US-Präsident hatte sich zuvor mit der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsident Mario Draghi und Englands Premierminister Boris Johnson abgestimmt. Er wollte noch am Dienstag letztere über den Austausch mit Putin informieren.
Garantien
Bereits vor dem ersten Wortwechsel, den Biden aus dem „Situation Room” im Weißen Haus über eine besonders gesicherte Video-Telefon-Leitung mit seinem in Sotschi weilenden russischen Gegenüber einleitete, hatte Washington eine ultimativ klingende Kernforderung Putins zurückgewiesen.
Schriftliche und juristisch wasserdichte Garantien der USA, einer weiteren Osterweiterung der Nato abzuschwören und der Ukraine den Zutritt zum westlichen Verteidigungsbündnis ein für alle Mal zu verweigern, werde es nicht geben. „Ich akzeptiere niemandes rote Linien”, hatte Biden gesagt. Er erinnerte daran, dass nach dem Ende des Kalten Krieges zwischen der Sowjetunion und dem Westen festgelegt wurde, dass Länder wie die Ukraine ihre Bündnis-Zugehörigkeit frei wählen dürfen.
Panikmache
Nach Informationen von US-Geheimdiensten und Militärs könnte Russland bis Januar 175 000 Soldaten und 100 000 Reservisten in drei strategisch wichtigen Sektoren an der ukrainischen Grenze kampffähig in Stellung gebracht haben. Bisher ist von 100 000 Soldaten, darunter Scharfschützen-Teams, und auffälligen Panzer-Bewegungen die Rede. Bis zuletzt hatte der Kreml beteuert, keinen Einmarsch in die Ukraine zu planen. Dem Westen wurde Panikmache vorgeworfen. Gleichwohl betonte Putins Sprecher, die USA und die Nato dürften Russlands „rote Linien” nicht überschreiten.
Die amerikanische Seite räumte vor dem Video-Gipfel ein, dass man über Moskau Entscheidungstand nicht exakt im Bilde ist. „Wir wissen nicht, ob Russland Präsident Putin entschieden hat, die Ukraine anzugreifen oder die dortige Regierung zu entmachten”, sagte Victoria Nuland, Nr. 3 im US-Außenministerium, im Senat, „aber wir wissen, dass er die Fähigkeiten aufbaut, um das zu tun.” Julianne Smith, US-Botschafterin bei der Nato, hatte mit Blick auf massive digitale Desinformation-Kampagnen Russlands beklagt, dass Moskau die Ukraine „von innen heraus destabilisieren will”.
Unklar blieb zunächst, ob Biden gegenüber Putin die Gretchenfrage beantwortet hat: Würden sich die Vereinigten Staaten militärisch einmischen, falls Russland in die Ukraine einmarschiert? In US-Regierungskreisen wie bei der Nato hieß es in den vergangenen Tagen: wahrscheinlich nein.