Diese fünf Fragen können die US-Wahl entscheiden
Von Peter Temel
Selten ging es bei einer Präsidentschaftswahl in den USA so hin und her. Vor gerade einmal elf Tagen, nach der letzten TV-Konfrontation im Spielermekka Las Vegas sah Hillary Clinton noch wie die sichere Siegerin aus. Trump schien schwer angeschlagen, brachte nach den vielen Sexismus-Vorwürfen kein Bein mehr auf den Boden.
Jetzt kann "The Donald" wieder lachen, bringt bei seinen Wahlkampfreden die Menge wieder zum Kochen. "Lock her up!", also "Sperrt sie ein!" skandieren seine Anhänger. Mit der Ankündigung neuer Untersuchungen in Clintons E-Mail-Affäre hat FBI-Chef James Comey das Rennen wieder spannend gemacht.
Um diese fünf Fragen geht es im Wahlkampf-Finish:
1. Kann Clinton die E-Mail-Affäre entscheidend schaden?
Mit der Nachricht, dass das FBI 650.000 weitere E-Mails aus ihrem Umfeld prüfen will, erlebt Hillary Clinton doch noch eine späte "October Surprise", wie es in den USA genannt wird. Juristisch hat sie so knapp vor der Wahl wohl keine Konsequenzen mehr zu fürchten, aber politisch sind die Entwicklungen äußerst unangenehm für die Kandidatin. Die E-Mail-Affäre kocht wieder hoch und der Fokus in der (Negativ-)Berichterstattung liegt klar auf Clinton. Gerade das wollte die Demokratin vermeiden, sie hätte lieber ihren klaren Vorsprung sicher ins Ziel gebracht. Aktuelle Umfragen (siehe unten) zeigen wieder Tendenzen zu einer Annäherung der beiden Kontrahenten.
Unter den Wählern gibt es aber nicht mehr so viele Unentschlossene wie noch vor ein paar Wochen. Bei jenen Sympathisanten, die kein volles Vertrauen in Clinton haben, könnte sie allerdings noch ein Mobilisierungsproblem bekommen.
Derzeit sind die Informationen über die neu entdeckten Mails noch vage. Sollten vor der Wahl am 8. November tatsächlich noch unangenehme Details bekannt werden, könnte sich dies noch auf die Wahl auswirken. Ansonsten dürfte Clinton ihren Vorsprung ins Ziel bringen. Sie wird hoffen, dass Anthony Weiner, auf dessen Computer die neuen Mails gefunden wurden, bis zur Wahl schweigt. Nach seinem "Sexting"-Skandal bereits schwer beschädigt, hat ihn Huma Abedin, Clintons engste Mitarbeiterin, im Sommer verlassen. Der Demokrat Weiner hat kaum noch etwas zu verlieren und könnte mit einer nachträglichen "Oktober-Überraschung" noch viel anrichten - wenn er das denn möchte.
2. Hat sich FBI-Chef Comey korrekt verhalten?
Clintons Parteifreunde und selbst manche Republikaner schießen gegen den Chef der Bundespolizei. Mit seinem Schreiben an den Kongress so kurz vor der Wahl habe Comey möglicherweise gegen Gesetze verstoßen, erklärte der einflussreiche Anführer der Demokraten im Senat, Harry Reid. Reid bezog sich auf den "Hatch Act" - ein Gesetz aus dem Jahr 1939, das dem FBI ausdrücklich die Beeinflussung von Wahlen verbietet. Er warf dem als unabhängig geltenden Republikaner Comey "parteipolitisch motiviertes Vorgehen" vor. "Kaum kamen Sie in Besitz von vagen Unterstellungen gegen Hillary Clinton, haben Sie diese in einem maximal negativen Licht an die Öffentlichkeit getragen."
FBI-Ermittler sollen die neuen E-Mails, deren Brisanz noch nicht feststeht, schon vor Wochen entdeckt haben. Der Washington Post zufolge wurde Comey selbst erst am vergangenen Donnerstag über die neue Entwicklung unterrichtet. CNN zufolge war er aber bereits Mitte Oktober vage über die neue Entdeckung von E-Mails informiert.
In der E-Mail-Affäre ging es um die Frage, ob Clinton in ihrer Zeit als Außenministerin durch die Nutzung eines weniger gut gesicherten privaten Servers die Sicherheit des Landes gefährdet habe. Eigentlich hatte das Justizministerium im Sommer auf Basis der FBI-Empfehlung auf eine Anklageerhebung verzichtet. Einmal gewählt, würde Hillary Clinton als Präsidentin Immunität genießen.
3. Was sagen die Umfragen?
In den Umfragen war Clintons zunächst großer Vorsprung schon vor Bekanntwerden der neuen E-Mail-Angelegenheit kleiner geworden. Eine ganz aktuelle Erhebung im Auftrag der Washington Post vom Sonntag sah sie mit 46 Prozent nur noch knapp vor Trump, der auf 45 Prozent kam.
Der vom Umfrage-Portal The Upshot errechnete aktuelle nationale Mittelwert liegt aber noch immer bei 45,8 zu 40,7 für Clinton (es gibt noch zwei weitere unabhängige Kandidaten, Anm.). Die Wahrscheinlichkeit für einen Clinton-Sieg wird immer noch mit deutlichen 90 Prozent angegeben, wobei die Kurve wieder leicht nach unten zeigt. Auf RealClear Politics werden die Umfrageergebnisse auf die politische Landkarte der USA umgelegt. Demnach habe Clinton bereits 263 "Wahlmänner" gut abgesichert. 270 "Wahlmänner" (ihre Anzahl wird die durch die einzelnen Staatenergebnisse bestimmt, Anm.) sind für den Wahlsieg notwendig.
Clinton könnte zu Gute kommen, dass dieses Jahr außergewöhnlich viele Menschen vom "Early Voting" Gebrauch gemacht haben. Insgesamt werden 34 bis 40 Prozent Frühwähler erwartet. 12,5 Millionen haben ihre Stimme bis 28. Oktober abgegeben, also bereits vor Bekanntwerden des FBI-Briefs. Da die Registrierung der jeweiligen Wähler in vielen Bundesstaaten einsehbar ist, lassen sich gewisse Rückschlüsse ziehen. Demnach liegen die Republikaner hier knapp vorne, aber wesentlich weniger weit als bei der Wahl 2012. In Florida haben bereits 20 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, auch hier stand es vor dem 29. Oktober nur 40,8 zu 40,1 für Trump.
4. Wie ist die Situation in den "Swing States"?
Wenn Clinton Florida gewinnt, ist sie Präsidentin. Der Bundesstaat hatte bereits beim Rennen Bush jun. gegen Gore entscheidende Bedeutung. Florida ist einer jener Staaten, die nicht klar demokratisch oder republikanisch geprägt sind. Derzeit liegen die beiden laut zusammengezählter Umfragen komplett gleichauf (44,4 Prozent zu 44,4 Prozent). Eine aktuelle Umfrage der New York Times sieht Trump sogar um 4 Prozentpunkte vorn.
Das Politikportal Politico wertet alle elf "Battleground States" aus. Dazu gehören neben den Genannten noch Colorado, Nevada, New Hampshire, North Carolina, Pennsiylvania und Virginia. In dieser Rechnung liegt Clinton mit 46,2 Prozent noch klar vor Trump mit 41,9 Prozent. Clintons "Firewall" sei aber verwundbarer geworden, schreibt Politico.
5. Wie sieht das Restprogramm von Trump und Clinton aus?
Donald Trump hat wieder Lunte gerochen und thematisiert ununterbrochen die FBI-Untersuchungen. In einem Tweet schreibt er: "Wir führen in einigen Staaten, und viele dieser Umfragen wurden sogar vor den FBI-Ankündigungen durchgeführt."
Beide Kandidaten nutzen die letzte Woche, um noch einmal die "Swing States" zu bearbeiten. Die Trump-Pence-Kampagne hat mehrere Events pro Tag geplant. Auch Trumps Ehefrau Melania tritt noch einmal vor das Wahlvolk, am Donnerstag spricht sie in einem Vorort von Philadelphia. Mit ihrer bisher letzten Rede, beim Nominierungsparteitag der Republikaner, war sie ja spektakulär unter Beschuss geraten, weil der Text teils von Michelle Obama abgekupfert war.
Nachdem es Hillary Clinton mit ihrer Kampagne zwischendurch etwas ruhiger angehen ließ, wird jetzt noch einmal ordentlich getrommelt: Sie selbst tritt in Ohio, North Carolina und sogar in Arizona vor die Mikrofone. In Florida gibt sie alles: Am 1. November hat sie gleich drei Auftritte an einem Tag geplant: In Tampa Bay, Orlando und Fort Lauderdale. Präsident Barack Obama wirft sich für sie in Ohio, North Carolina und Florida ins Zeug. Außerdem auf Tournee: klarerweise Vize-Kandidat Tim Kaine, Ehemann Bill Clinton und Tochter Chelsea, Vorwahlen-Rivale Bernie Sanders, Senatorin Elizabeth Warren und Vizepräsident Joe Biden, dem bei einem Clinton-Sieg Chancen aufs Außenministerium eingeräumt werden.