Politik/Ausland/US-Wahl

Kennesaw: Die Stadt, in der Waffenpflicht herrscht

„Es ist absolut lächerlich“, sagt die junge Frau im Visitor Center. „Und keine Sorge, es wird nicht exekutiert.“ Sie spricht von etwas, das bereits 1982 beschlossen wurde und sie trotzdem noch aufregt: Jeder Bürger in Kennesaw im US-Bundesstaat Georgia, ist verpflichtet, eine Waffe im Haus zu haben - um sich verteidigen zu können. „Es sagt schon einiges aus, wenn sogar Menschen aus Österreich deshalb Kennesaw kennen“, sagt sie und verdreht die Augen.

Atlanta ist nur knapp 30 Meilen entfernt, aber trotzdem liegen Welten zwischen der demokratisch regierten Metropole und Kennesaw mit seinen rund 30.000 Einwohnern. Zwischen fast einem Dutzend Kirchen können die Bewohner wählen, in der United Methodist Church erzählt die Pastorin von den Schicksalsschlägen, die sie erleiden musste, und wie sie sich deshalb von Gott abwandte und nach Hollywood ging, um Karriere zu machen. Wie sie einmal 400.000 Dollar in einer Woche verdiente, aber nicht mehr in den Spiegel schauen konnte, bis sie Gott wieder in ihr Herz ließ. Hollywood ist hier ein Synonym für das Böse, und Probleme lassen sich am Besten mit Beten lösen.

Im Bürgerkrieg wurde in Kennesaw eine Schlacht geschlagen, der Norden siegte und nahm kurz darauf Atlanta ein. Nicht alle haben das überwunden; mitten auf der Main Street steht Dent Myers Ramschladen, vor dem gleich mehrere Konföderiertenflaggen hängen. Auf einem Schild wird das „white history year“ ausgerufen, ein anderes fordert „Secede“, also die Abspaltung von den USA, am dritten steht immerhin: "home of the kennesaw village idiot". Im Geschäft finden sich Bücher von David Duke, einem bekannten Antisemiten und Ku-Klux-Klan-Führer (der Donald Trump unterstützt), gleich daneben hängt ein T-Shirt mit dem Aufdruck eines Ku-Klux-Klan-Mitglieds, eines brennenden Kreuzes und der Aufschrift „The Original Boys in the Hood“. Obwohl der Shop offen ist, fehlt vom Dorfdeppen jede Spur. Myers ist bekannt dafür, stets zwei geladene Colts zu tragen, vermutlich würde sich also schon allein deshalb niemand trauen, etwas zu klauen.

Apropos, die Sache mit der Waffenpflicht: Craig Graydon ist nicht nur Lieutenant beim Kennesaw Police Department, sondern auch der führende Stadthistoriker, was die Waffenpflicht anbelangt. Im Grunde, erzählt er, war die Einführung der Waffenpflicht erstmal ein politisches Statement. Die Stadt Morton Grove in Illinois hat 1981 ein Verbot von Handfeuerwaffen eingeführt, also beschlossen die Politiker in Kennesaw, genau das Gegenteil zu tun – eine Waffenpflicht für jeden Haushalt einzuführen. „Das war aber nicht die einzige Überlegung, die Region um Atlanta ist damals ziemlich gewachsen und man dachte sich, es wäre eine gute Möglichkeit, die Kriminalität zu reduzieren“, erzählt Graydon.

In der Verordnung selbst stehen viele Gründe, um sich dieser Pflicht zu entziehen, von ethischen Bedenken bis dazu, dass man sich schlicht keine Waffe leisten kann und kontrolliert wurde die Verordnung auch nie. „Aber ich glaube trotzdem, dass sie einen Effekt hatte, wir haben immer noch eine der niedrigsten Kriminalitätsraten der Region – wenn man davon ausgehen muss, dass eine Person bewaffnet ist, überlegt man sich vielleicht zweimal, ob man einbricht.“ Wie viele Menschen in Kennesaw wirklich eine Waffe zu Hause haben, weiß niemand. „Ich schätze, es wird die Hälfte sein“, sagt Graydon.

"Meine Waffe ist auch aus Österreich"

Ein paar Meilen weiter in der Nachbarstadt Marietta steht Winston, 27, Vollbart, freundliches Lächeln, vor mehreren dutzend Gewehren, auch ein kleines pinkes für die Jüngsten ist dabei. Winston arbeitet bei GA Firearms und er lebt für seinen Job - „oh man, ich liebe es über Waffen zu reden!“ Überhaupt mit einem Besucher aus Österreich. Er zieht sein T-Shirt hoch und sagt: „Meine Waffe ist auch aus Österreich" - eine Glock. Winston weiß auswendig, welche Schritte es braucht, damit auch ich mit meinem „work visa“ zu einer Waffe komme. Am besten, sagt er, sollte ich mich um ein „carry permit“ bemühen, damit ich die Waffe gleich mit mir herumtragen kann. „Das macht alles einfacher." Seit er 21 ist, hat er seine Waffe immer bei sich, benutzt hat er sie noch nie. „So soll das auch sein", sagt er.

Will man die Waffenverliebtheit der US-Amerikaner verstehen, muss man auch verstehen, dass sie nicht alle schießwütige Verrückte sind. Winston hält Sicherheitskurse; er trainiert sogar Polizisten. Der Umgang mit der Waffe ist für ihn „Empowerment“: Wer mit einer Waffe umgehen kann, kann sich selbst schützen. Die Menschen, die zu GA Firearms kommen, werden immer mehr, sagt er. Warum? „Sie schauen fern. Alle diese Terroranschläge. Es ist ein bisschen paradox, die Kriminalitätsraten gehen zurück, aber die Menschen fühlen sich weniger sicher und sie wollen sich schützen“, sagt Winston. Nicht dass ihn das stören würde. „Ich finde es toll, wenn sich mehr Menschen für unsere Waffenkultur interessieren“, sagt er.

In Georgia sei die Rechtslage ziemlich zufriedenstellend, es gäbe keine Registrierungspflicht und auch, wann wirklich geschossen werden darf, sei gut geregelt: „Wenn du in der Nacht einen Einbrecher überraschst, der deinen Fernseher klaut, lass ihn den Fernseher klauen. Das ist es nicht wert. Aber wenn er mit einem Messer auf dich losgeht, darfst du schiessen.“ In Deutschland erzählt Winston, sei sogar Notwehr verboten, man dürfe sich dort einfach nicht wehren, „das ist doch verrückt“. Wahr ist es auch nicht, aber ein Kunde, der daneben steht, schüttelt traurig den Kopf. Was muss das für ein seltsames Land sein. In seinen Händen hält er eine Shotgun.