Ungarn: Neuer Skandal um Orbán im Wahlkampf-Finale
Von Konrad Kramar
Die ganz große Bombe komme erst zuletzt, das hatte Lajos Simicska schon seit Wochen in seinen Zeitungen und TV-Stationen angekündigt. Einst engster Vertrauter und Jugendfreund von Viktor Orbán ist der lange als „Orbáns Oligarch“ gehandelte Unternehmer inzwischen der wichtigste Widersacher des Premiers. In seinen Medien schießt Simicska aus allen Rohren gegen die ohnehin als korrupt verrufene Orbán-Regierung. Doch der Skandal, den seine Tageszeitung Magyar Nemzet am Donnerstag aufdeckte, bringt tatsächlich erschreckende Dimensionen von Missbrauch öffentlicher Gelder und Geldwäsche ins Spiel.
Bis zu vier Milliarden Euro aus EU-Fördergeldern, aber auch aus Gewinnen durch überteuerte öffentliche Aufträge, sollen Orbán und einige seiner engsten Vertrauten auf die Seite gebracht und aus dem Land geschafft haben. Das Geld soll teilweise in Form von Diamanten, aber auch als Bargeld in Richtung arabischer und asiatischer Konten geschleust worden sein. Als eine Zwischenstation für die Transfers wird auch Wien genannt. Hier sollen Handlanger des Geldwäscheunternehmens in einer Wohnung Millionen geparkt haben.
„Für Orbán eine ungewöhnliche Methode, um EU-Gelder zu missbrauchen“, gibt sich Istvan Toth, Experte für Korruption, gegenüber dem KURIER skeptisch: „Man verwendet sonst viel raffiniertere und effizientere Strategien.“ Auch scheint Toth die Geschichte mit wenigen Fakten untermauert. Der Soziologe, der in Budapest den Think tank „corruption research center“ leitet, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem System Orbán und vor allem dem Netzwerk, mit dem der Premier seine engsten Vertrauten mit lukrativen öffentlichen Aufträgen versorgt.
Dass man von Orbáns Oligarchen spricht, trifft nach Ansicht des Experten das System nur ungenau. Oligarchen im eigentlichen Sinne seien mächtige Spieler in Politik und Wirtschaft eines Landes, im heutigen Ungarn aber „gibt es nur einen Mann, der Entscheidungen trifft, und das ist Orbán.“ Der Premier, so die Analyse ungarischer Politikexperten, habe mit Simicska gebrochen, weil der ihm zu mächtig geworden sei. Seither umgebe er sich mit einer ganzen Gruppe von Günstlingen, um so auch die Kontrolle über diese zu behalten. „Orbán ist ein moderner Diktator“, urteilt Istvan Toth, „und zwar im eigentlichen Sinn dieses Wortes. Er diktiert, was zu geschehen hat.“
Kontrollierte Medien
Einer der wichtigsten Säulen des Systems Orbán sind die Medien, die er gerade in den vergangenen Jahren zunehmend unter Kontrolle gebracht hat. Über Umwege – auch über Österreich – gelangten etwa wichtige Regionalzeitungen in die Hände eines engen Vertrauten. Skandale wie der nun enthüllte werden daher in den staatlichen Medien und in jenen, die dem Orbán-Netzwerk zuzurechnen sind, verschwiegen oder kleingeredet.
Dort inszeniert man im Gegenzug umgehend Affären, in deren Mittelpunkt die Lieblingsfeinde Orbans stehen: Menschenrechtsorganisationen und NGOs, bevorzugt jene, die sich mit Flüchtlingen beschäftigen. Sie alle, so die ständig strapazierte Anschuldigung, seien Teil eines Netzwerks, das nichts anderes plane, als Ungarn mit illegalen Einwanderern zu überfluten. Zentralfigur dieser Verschwörung ist der aus Ungarn stammende US-Milliardär George Soros. Der unterstützt mit seiner „Open society foundation“ tatsächlich auch zahlreiche ungarische Menschenrechts- und Sozialhilfegruppen. Um die anzuschwärzen, sind in Medien aus dem Orbán-Netzwerk sogar Aufnahmen aus Abhöraktionen aufgetaucht mit vermeintlichen Gesprächen über die Vergabe von Wohnungen an Flüchtlinge.
Der Wahlkampf in Ungarn endet noch schmutziger, als er begonnen hat. Ob Orbán die Affären am Sonntag schaden werden, daran zweifeln Experten wie der Politikwissenschaftler Andras Schweitzer gegenüber dem KURIER: „Die Leute wissen, dass es Korruption gibt, aber sie denken, das ist der Preis, den sie für Stabilität zahlen müssen.“