Verwirrspiel um russischen Hilfskonvoi
Von Stefan Schocher
Mittwochabend war nur eines klar: Da rollen 262 Lkw in Richtung Ostukraine – und weiß sind sie. Laut russischen Angaben transportierten die Lastwagen, die am Dienstag in Moskau losgefahren waren und deren Route später überraschend geändert wurde, 2000 Tonnen Hilfsgüter: Konserven, Babynahrung, Wasser, Stromgeneratoren.
Aber eine unabhängige Bestätigung dafür stand aus. Und so waren es aus ukrainischer Sicht eben nicht mehr als 262 weiße russische Lkw, die da heranrollten.
Rotes Kreuz
Russlands Außenminister Lawrow sagte, alle Details, wie die Bedingungen bei der Einfuhr und die Route, seien mit Kiew besprochen worden.
"Zynismus"
In Kiew schäumte man ob des plötzlichen russischen Tatendranges. Premier Jazenjuk sprach von "grenzenlosem Zynismus": "Erst schicken sie Panzer und Banditen, dann Wasser und Salz." Der Vizechef der Präsidialverwaltung sagte, man werde keinen rein russischen Konvoi auf ukrainisches Gebiet lassen. Am Abend signalisierte ein Sprecher von Präsident Poroschenko dann Bereitschaft, die Lieferung anzunehmen: "Kein zivilisiertes Land lehnt humanitäre Hilfe ab." Nähere Informationen lagen bis dato noch immer nicht vor.
Der Konvoi in Bildern:
Kiew hatte zuvor gefordert, dass der Konvoi an der Grenze unter Kontrolle des ICRC gestellt werden müsse. Sollte Russland nicht zustimmen, so Jazenjuk, müsse die Kolonne umdrehen. Kiew verlangte zudem, dass die Güter auf "neutrale" Fahrzeuge umgeladen und inspiziert würden. Russland kritisierte das als "Hinhaltetaktik".
Verhandelt wurde, unter welchen Modalitäten die Fahrzeuge passieren könnten und wer die Güter vor Ort verteilen sollte. Möglich erschien eine Übergabe der Lkw an das ICRC oder die Organisation für Sicherheit uns Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Gegenüber AFP sagte ein ICRC-Sprecher: "Viele Punkte müssen noch entschieden werden."
Später gab die Ukraine bekannt, dass sie am Donnerstag einen eigenen Hilfskonvoi in den Osten schicken werde. Knapp acht Millionen Euro sollten für den Kauf von Waren verwendet werden, der größte Teil davon komme von UNO und EU.
Ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters berichtete von einem verdächtigen Lager nahe der grenznahen russischen Stadt Kamensk-Schachtinsky. Geschildert wird ein von Wald umgebenes Lager, das von Soldaten ohne Hoheitsabzeichen bewacht wird. Kettenfahrzeuge hätten in der Umgebung tiefe Spuren hinterlassen. Gesichtet worden seien Militärfahrzeuge mit Kennungen, die auf tschetschenische und nordossetische Herkunft schließen ließen. Nahe des Lagers befinde sich ein großes Loch im Grenzzaun.
Ein Sprecher des russischen Grenzschutzes sprach von einem Posten der Grenztruppen. Auf die Spuren von Kettenfahrzeugen angesprochen, redete er von landwirtschaftlichem Gerät. Russland hat wiederholt zurückgewiesen, Separatisten in der Ukraine mit Waffen und Personal zu unterstützen.
Strelkow verwundet?
Der Sicherheitsrat der von den Rebellen ausgerufenen "Volksrepublik Donezk" (DNR) dementierte gestern Berichte, wonach der Verteidigungsminister der DNR, Igor Strelkow, schwer verwundet worden sei. "Das ist kompletter Blödsinn", hieß es in einer Stellungnahme, "eine neue Runde des Informationskrieges."
Es ist ein Konvoi, der wie aus dem Nichts auf einmal von Moskau in Richtung Ukraine rollte: Weiß lackierte Lkw, die in Not befindlichen Menschen Linderung versprechen. Bloß, die Mildtätigkeit wird begleitet von viel zu vielen Fragezeichen angesichts der Lage im Osten der Ukraine. Dass dort Hilfe benötigt wird – und zwar in Massen – steht außer Zweifel. Aber: Es gab eine Einigung zwischen Kiew und Moskau über die Konditionen einer Lieferung von Hilfsgütern. Eine Bedingung war die Miteinbeziehung des Roten Kreuzes. Das Rote Kreuz wurde aber außen vor gelassen.
Angesichts dessen, wie Russland in den vergangenen Monaten gelogen hat, bleibt der ukrainischen Führung keine Wahl, als diesen Konvoi zurückzuweisen. Und das weiß der Kreml.
Schlussendlich ist der Konvoi Moskaus damit vor allem eines: eine Show – was auch immer die Lkw geladen haben. Nachdem sich die Separatisten in der Ostukraine über die Grenze zu Russland hinweg monatelang mit modernstem Kriegsgerät eingedeckt und mit Söldnern verstärkt haben und Russlands Behörden davon nichts mitbekommen haben wollen, jetzt milde Gaben?
Es wird den Bewohnern von Lugansk oder Donezk schwer zu erklären sein, wieso Tonnen an Gütern nicht so einfach durchgelassen werden können. Diplomatische Spitzfindigkeiten finden kein Gehör, wenn Existenzen in Trümmern liegen und es ums Überleben geht. Genau darauf zielt Putin wie schon bisher ab: Er bricht Regeln, schafft neue Tatsachen und baut aus Emotionen seine eigene, russische Realität. Was er jetzt in der Ostukraine braucht, ist ein Klima der Unversöhnlichkeit und des Hasses auf Kiew, um einen Stachel im Fleisch der Ukraine zu behalten. Das wird ihm gelingen.