Putin: Russland zu Verhandlungen mit allen Parteien bereit
Russland ist nach den Worten seines Präsidenten Wladimir Putin zu Verhandlungen mit allen im Ukraine-Konflikt beteiligten Parteien bereit. Allerdings hätten die Führung in Kiew und ihre westlichen Unterstützer Gespräche verweigert, sagt Putin in einem Interview des staatlichen Fernsehens. In der Ukraine gaben die Behörden nach einem Sonntag früh ausgelösten Luftalarm für alle Regionen der Ukraine unterdessen Entwarnung.
In dem TV-Interview erklärte Putin: "Wir sind bereit, mit allen Beteiligten über akzeptable Lösungen zu verhandeln, aber das liegt an ihnen - nicht wir sind diejenigen, die sich weigern zu verhandeln, sondern sie."
Die ukrainische Regierung widersprach der Darstellung Putins in dem Interview. "Russland hat die Ukraine im Alleingang angegriffen und tötet Bürger", schrieb Mychailo Podoljak, der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, auf Twitter. "Russland will keine Verhandlungen, sondern versucht, sich der Verantwortung zu entziehen." Putin müsse zur Realität zurückkehren.
Russlands Präsident zeigte sich von seinem Kurs überzeugt. "Ich glaube, dass wir in die richtige Richtung handeln. Wir verteidigen unsere nationalen Interessen, die Interessen unserer Bürger, unseres Volkes. Und wir haben keine andere Wahl, als unsere Bürger zu schützen."
Russland hatte zuletzt vor einigen Wochen Verhandlungen in den Raum gestellt, gleichzeitig jedoch betont, dass man nicht von den Maximal-Zielen abweichen würde. Diese sind nach wie vor: Die Entnazifizierung der gesamten Ukraine - also de facto ein Regierungswechsel in Kiew.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi schloss direkte Verhandlungen mit Putin per Dekret aus. Die Ukraine sei nicht zu Gebietsabtretungen bereit, hieß es aus Kiew.
Internationale Beobachter gehen davon aus, dass Moskau nur zum Schein verhandeln würde. "Und das Ergebnis daraus kann man der Ukraine nicht wünschen", sagte zuletzt Polit-Experte Wolfgang Ischinger im KURIER-Interview. "Auf echte Verhandlungen werden wir noch warten müssen, leider."
Kein Ende des Konflikts in Sicht
Auch der Direktor des US-Geheimdienstes CIA, William Burns, hatte sich unlängst in einem Interview skeptisch über die russische Gesprächsbereitschaft geäußert. Obwohl die meisten Konflikte durch Verhandlungen beendet würden, sei man in der CIA überzeugt, dass Russland wirkliche Gespräche zur Beendigung des Krieges noch nicht ernst meine. Die USA sowie andere westliche Staaten und vor allem die Ukraine werfen Russland vor, nicht ernsthaft verhandeln zu wollen.
Ein Ende des Krieges in der Ukraine, den die russische Führung als militärischen Sondereinsatz bezeichnet, ist nicht in Sicht. Die russische Führung hatte bisher erklärt, sie werde kämpfen, bis all ihre Ziele erreicht seien - darunter die Demilitarisierung der Ukraine. Deren Regierung hat angekündigt, nicht zu ruhen, bis der letzte russische Soldat das Territorium verlassen hat - einschließlich der 2014 von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim.
Russen und Ukrainer laut Putin "ein Volk"
Putin rechtfertigte die seit zehn Monaten andauernde Offensive auch mit dem Konzept des "historischen Russlands", wonach Ukrainer und Russen ein Volk seien, und beschuldigte den Westen, Russland "auseinanderreißen" zu wollen. "Der Kern des Ganzen ist die Politik unserer geopolitischen Gegner, die darauf abzielt, Russland, das historische Russland, zu zerreißen." Sie hätten "immer versucht, 'zu teilen und zu erobern'". Sein Ziel sei "etwas anderes - das russische Volk zu vereinen".
Putin reagierte in dem Interview auch auf die Frage, ob nicht inzwischen eine gefährliche Linie in dem Konflikt mit dem Westen erreicht sei. Das wies er zurück. Es gebe keine andere Wahl, Russland habe bereits seit 2014 versucht, den Konflikt friedlich zu lösen. Moskau sieht die westlichen Staaten - allen voran die USA - wegen der Waffenlieferungen an die Ukraine als Kriegspartei. Putin warf dem Westen zudem erneut vor, 2014 den Sturz des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch herbeigeführt zu haben.
Putin bekräftigte zudem, das der Ukraine von den USA versprochene moderne Luftabwehrsystem vom Typ Patriot zu vernichten. "Natürlich werden wir es zerstören, 100 Prozent!", sagte Putin in Bezug auf das System, dessen Lieferung dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei dessen Besuch Mitte der Woche in Washington von US-Präsident Joe Biden zugesagt worden war.
In der Ukraine gaben die Behörden gegen Mittag Entwarnung. Es gebe keine Berichte über neue russische Angriffe. Nach unbestätigten Berichten in den sozialen Medien in der Ukraine wurde der Alarm möglicherweise ausgelöst, nachdem russische Kampfflugzeuge in Belarus gestartet waren. Als diese zu ihren Stützpunkten zurückgekehrt seien, sei Entwarnung gegeben worden. Ein Sprecher der ukrainischen Luftwaffe sagte im Fernsehen, russische Militärflugzeuge seien praktisch rund um die Uhr am Himmel. "Aber wir haben die Bereitschaft erhöht - alles, was abhebt, muss unter unserer Kontrolle sein."
Landesweiter Alarm
In der Hauptstadt Kiew und im ganzen Land hatten in der Früh die Sirenen geheult. In der südukrainischen Stadt Cherson stieg unterdessen die Zahl der Toten durch Artilleriebeschuss und Explosionen nach Behördenangaben auf 16. Zudem seien 64 Menschen durch russische Angriffe verletzt worden, teilte der ukrainische Militärgouverneur Jaroslaw Januschewitsch am Sonntag in seinem Kanal im Nachrichtendienst Telegram mit. Unter den Toten seien auch drei Männer, die bei Minenräumarbeiten ums Leben gekommen seien.
Aktualisierung: Reaktion aus der Ukraine