Politik/Ausland

Remis bei Rede-Ritual

Es war der inzwischen traditionelle Höhepunkt eines bisher wenig mitreißenden Wahlkampfes: Das 90-minütige Streitgespräch zwischen der deutschen Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel und ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück. Es fiel lebhafter aus als die Überfrachtung an Themen und Fragenstellern es erwarten hatten lassen – und das ohne große Überraschungen oder Untergriffe. Der Kanzlerkandidat wurde seiner Angriffsrolle gerecht, die Amtsinhaberin konterte routiniert und blieb ihm nichts schuldig. Sie konnte ihren Amtsbonus und ihre Art der ruhigen Argumentation immer wieder durchsetzen.

Die Kontrahenten sprachen über weite Strecken nicht miteinander, sondern mit Blick auf die vier Fragesteller der Sender, die das Duell live übertrugen (siehe auch rechts unten). Spannende Momente gab es gleichwohl genug.

Die erste Hälfte der Debatte war Wirtschafts- und Sozialthemen gewidmet. Dabei stellte Steinbrück mit anfangs belegter Stimme das Land als soziales Jammertal dar, gegen das Merkel nichts unternommen habe. Steinbrücks gewohnt rasche Rede war zwar mit präzisen Details gespickt, stieß aber immer wieder auf den ausführlichen Widerspruch der Kanzlerin, den sie sich öfters gegen die raschen Moderatoren-Fragen erkämpfen musste. Es fiel ihr nicht immer leicht, auf die schlagwortartigen Vorwürfe Steinbrücks mit ausführlichen Argumentationsketten zu antworten.

„Keine Pkw-Maut“

Besonders deutlich wurde das beim Thema Euro-Rettung und Griechenland im zweiten Teil, dessen Komplexität Merkel einiges abforderte. Erst als sie unterbrochen wurde, machte sie die SPD für die Aufnahme Griechenlands in den Euro-Raum verantwortlich. Am Ende aber blieb sie in der größten Herausforderung ihrer letzten Amtszeit glaubwürdiger. In der NSA-Abhör-Affäre gelang ihr das weniger.

Inhaltlich gab es einige kleine Neuigkeiten gegenüber bisherigen Aussagen im Wahlkampf. Die wichtigste angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit des Weiterregierens Merkels war ihre klare Absage an eine Pkw-Maut. Die hatte der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer als Bedingung für eine Koalition gemacht, um damit Ausländer zur Kasse für den Straßenausbau zu bitten.

Die zweite News war die überraschende Aussage Steinbrücks, „wir werden mit mir als Bundeskanzler“ die Pensionen der Beamten im Verhältnis zu denen aller Arbeitnehmer angleichen. Bei den Nachfragen der Moderatoren blieb Steinbrück allerdings den von ihm als Hauptslogan versprochenen „Klartext“ schuldig und eierte herum. Worauf Merkel genüsslich „Polizisten und Soldaten mal herhören!“ aufforderte und die fünf Millionen Betroffenen argumentativ in Schutz nahm.

Die von den vier Frage­stellern gelieferte Themen­fülle ließ allerdings selten eine richtige Diskussion der Kandidaten entstehen, wenngleich Merkel keine Vorwürfe Steinbrücks anbrennen ließ.

Mit dem von ProSiebenSat1 nominierten Showmaster Stefan Raab lieferte sie sich anfangs mehrfach Wortduelle, weil dieser sie mit Formulierungen wie „spinnt Seehofer wieder rum?“ und aggressiver Lockerheit aus der Reserve locken wollte. Damit dürfte er – zumindest laut Reaktionen von Bild-online – als einziger jüngere und Politik-ferne Seher angezogen haben.

Die von der ARD während und nach der Sendung durchgeführten repräsentativen Blitzumfragen ergaben ein differenziertes Bild der Seher: Demnach fanden 60 Prozent Steinbrück „besser als erwartet“, aber nur 17 schlechter, Merkel fanden 27 Prozent besser als erwartet und 33 Prozent schlechter als erwartet. Sie führte aber in den wichtigen Kriterien „glaubwürdig“, „kompetent“ und „sympathisch“. „Insgesamt überzeugender“ fanden 49 Prozent Steinbrück und 44 Prozent Merkel.

Lob für Steinbrück

Damit ist Steinbrück seiner Rolle als Herausforderer gerecht geworden. Besonders bei den noch Unentschlossenen, also jenen Wählern, die sich eventuell von der Wirkung im Duell beeinflussen lassen – im Gegensatz zu den Stammwählern der beiden Lager. Hier erreichte Steinbrück einen „klaren Vorteil“ von acht Prozentpunkten vor Merkel. Sein Vorgänger beim Duell 2009, Frank-Walter Steinmeier, war damals nur einen Prozentpunkt vor Merkel gelegen. Er hatte danach die Bundestagswahl mit dem schlechtesten Ergebnis in der Geschichte der SPD verloren.

Erfahrungsgemäß ist für die breite Meinungsbildung der Wähler aber die intensive Nachbetrachtung der Medien ausschlaggebend, vor allem bei jenen, die nicht das Duell sahen. Die ersten Schlagzeilen der Zeitungen in der Stunde danach fielen allerdings unterschiedlich bis konträr aus, von der Bewertung der Kontrahenten bis zu der der Moderatoren.

Aber auch wer aus dem Duell keine Anleitung für seine Wahlentscheidung ableiten konnte, sah wie selten im öffentlich-rechtlichen, eher Politik-befrachteten deutschen Fernsehen, wie komplex und wie anstrengend der Kanzlerjob ist. Die 800 vor Ort berichtenden Journalisten wussten das allerdings auch schon vorher.