Politik/Ausland

Grubenunglück: Spannungen in Soma dauern an

Vier Tage nach dem schweren Bergwerk-Unglück im türkischen Soma hat am Samstag ein weiterer Brand die Bergungsarbeiten vorübergehend behindert – das Feuer war zwar bald unter Kontrolle, aus der Unglückszeche trat gegen Mittag allerdings weiterhin Rauch aus. Im strömenden Regen dauerten indes die Beerdigungen der vielen Toten an. Die Bergwerkskatastrophe ist die schwerste in der Geschichte der Türkei, die Zahl der Toten ist inzwischen auf 301 angestiegen

Tränengas

Nach den Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei am Freitag in Soma hielten die Spannungen dort am Samstag an. Das Grubenunglück hat wütende Proteste gegen die Regierung ausgelöst, der Kritiker eine Mitschuld geben. Augenzeugen berichteten, zwischen 50 und 100 Menschen hätten sich am Samstag in Soma geweigert, Aufforderungen der Polizei Folge zu leisten und ihre Versammlung aufzulösen. Nach einem Wortgefecht hätten Polizisten einige Menschen geschlagen und mehrere festgenommen. Regierungsgegner riefen für Samstagabend in Istanbul zu Protesten auf.

Am Freitag war die Polizei in Soma mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen gegen Demonstranten vorgegangen. Auch in Istanbul und Izmir kam es zu Zusammenstößen. Demonstranten forderten den Rücktritt der Regierung. Ihr wird unter anderem vorgeworfen, schärfere Sicherheitskontrollen verhindert zu haben.

Für zusätzliche Brisanz sorgten Vorwürfe, Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan habe bei einem Besuch in Soma am Mittwoch einen Mann geohrfeigt, der ihn ausgebuht habe. Das von Regierungskritikern als Beleg für den Vorfall gewertete Video ist in der entsprechenden Sequenz allerdings so verwackelt, dass Erdogans Verhalten nicht klar zu erkennen ist. Erdogans Partei AKP wies die Vorwürfe zurück.

US-Präsident Barack Obama bot der Türkei Hilfe an. In einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Abdullah Gül drückte Obama sein Beileid aus. Welche Hilfe genau er dem Land zukommen lassen wollte, blieb in einer Mitteilung des Weißen Hauses zunächst unklar.

"Es gab keine Fahrlässigkeiten"


Der Firmenboss der Mine, Alp Gürkan, hatte sich am Freitag erstmals zum Unglück geäußert. "Es gab keine Fahrlässigkeit von unserer Seite", sagte er vor Journalisten. Zugleich beklagte er, "schreckliche Gewissensbisse" zu haben. Der regierungskritischen Zeitung Taraf zufolge gehört Gürkan zum Dunstkreis der AKP, die er kräftig mit Spenden unterstützt habe. Auch soll er jene Gratiskohle liefern, die mit der die Regierungspartei ihre Anhänger bei der Stange hält.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat nach Medienberichten bei seinem Besuch an der Unglücksgrube im westtürkischen Soma vor Wut auf angebliche Demonstranten die 15-jährige Tochter eines getöteten Bergmanns und einen Mann physisch angegriffen (mehr dazu siehe hier). Die mutmaßliche Gewalt steigerte die Empörung unter Erdogan-Gegnern.

Auch die erste ausführliche Stellungnahme des Betreibers der Kohlegrube von Soma, wo am Dienstag mindestens 284 Bergleute ums Leben kamen, sorgte für Ärger: Das Unternehmen räumte am Freitag zwar ein, dass es unter Tage keine Schutzräume für die Arbeiter gab, betonte aber, es habe sich keinerlei Verfehlungen zuschulden kommen lassen. Festnahmen gab es nicht.

In Soma warf eine Augenzeugin, die ihren Namen laut Bericht der linksgerichteten Tageszeitung Evrensel mit den Initialen G. K. angab, dem 60-jährigen Erdogan vor, ein 15-jähriges Mädchen mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben. Das Mädchen, Tochter eines getöteten Bergmanns, habe beim Anblick des Ministerpräsidenten ausgerufen: "Was will der Mörder meines Vaters hier?" Darauf habe Erdogan mehrmals zugeschlagen. "Was ist das für ein Hass, wenn ein Ministerpräsident so etwas tut", sagte die Frau weiter. Der angebliche Vorfall trug sich zu, als Erdogan bei dem Besuch am Mittwoch wegen heftiger Proteste von Demonstranten in Soma aus einem Dienstwagen ausstieg und in einem Supermarkt Zuflucht suchte. An dem Markt mit dem Namen "Grüne Orange" sei Erdogan auf das Mädchen losgegangen und habe mehrfach zugeschlagen, sagte eine Zeugin. Mehrere Zeuginnen hätten aus Angst vor Repressalien ihren Namen nicht nennen wollen. Ebenfalls vor der "Grünen Orange" schlug der Premier einen unbeteiligten Bergmann namens Taner Kuruca. Laut Berichten soll Erdogan das Opfer als "Ausgeburt Israels" bezeichnet haben.

Kuruca sagte der Zeitung Radikal, er sei nur zufällig an dem Supermarkt vorbeigekommen. "Als er (Erdogan) zu dem Markt kam, hielt er mich für einen Demonstranten und langte mir eine." Auf eine Strafanzeige will er aber verzichten.