Trump-Kim: Der Gipfel der Unberechenbaren in Singapur
Es ist ein politisches Highlight des Jahres: Erstmal kommt ein amtierender US-Präsident mit Nordkoreas Machthaber zusammen. Die Bühne ist gebaut und schon am Sonntag sind die Protagonisten eingetroffen: In der schwülen Hitze Singapurs wollen ab Montag Donald Trump und Kim Jong-un eines der kniffligsten Probleme der Weltpolitik lösen.
Die Attribute, die Medien und Politikwissenschafter in aller Welt für den in vielerlei Hinsicht auf erstaunliche Weise zustande gekommenen Gipfel am 12. Juni fanden, reichen von "historisch" bis hin zu "politischer Wahnsinn". Und der Ausgang ist völlig offen.
Das noble Hotel Capella in Singapur kann zum Symbol für Frieden und einen Neuanfang nach über 65 Jahren Kriegszustand auf der koreanischen Halbinsel werden. Wenn es schiefgeht, droht eine Eskalation, bis hin zum schlimmsten Szenario - dem Einsatz militärischer Mittel mit einem erheblichen Blutvergießen, so US-Verteidigungsminister James Mattis.
Zwei Unberechenbare
Mit Kim (34 oder 35 Jahre alt) und Trump (feiert am 14. Juni seinen 72 Geburtstag) treffen zwei Unberechenbare aufeinander. Über Kims Verhandlungsgebaren ist im Westen nicht viel bekannt, wie Trump zugibt. Über den US-Präsidenten weiß man: Er macht seine Androhung, einfach aufzustehen und zu gehen, im Zweifel wahr. Trump geht es - so vermutet die politische Opposition in Washington - nur in zweiter Linie um den Frieden in Korea. Vor allem wolle er starke Bilder, die vorrangig einem nutzen - ihm selbst. 2.000 Journalisten in Singapur sind ein Garant dafür. "Es wird am Ende etwas Gesichtswahrendes herauskommen", sagt Prof. Robert Kelly von der Unversität Pusan in Südkorea. "Und das wird Trump gnadenlos für sich ausschlachten."
Erstmals überhaupt seit der Gründung Nordkoreas 1948 kommt ein amtierender US-Präsident mit dem politischen Führer des abgeschotteten, stramm kommunistisch regierten Landes persönlich zusammen. Dieser Präsident ist ein Bauchpolitiker. Er werde nur eine Minute brauchen, um zu wissen, ob das Treffen von Erfolg gekrönt sein könne, tönte Trump, der mit einem praktisch gescheiterten G-7-Gipfel im Gepäck anreist.
Der Einfluss Chinas und Russlands auf Nordkorea, der Atomkonflikt, die Menschenrechte, Zwangsarbeiter und verschleppte Japaner, die Frage einer koreanischen Wiedervereinigung: Die Liste komplexester Probleme ist lang. Doch Trumps Welt kann ganz einfach sein. "Ich denke, ich werde ganz schnell wissen, ob etwas Gutes geschehen wird."
Zwo, eins, Risiko
Wäre Trump ein Kopfmensch, es wäre zu dem Aufeinandertreffen wohl nicht oder zumindest nicht so schnell gekommen. Die Politstrategen in Washington hatten eigentlich etwas ganz anderes vor, wollten Nordkorea mit Sanktionen massiv unter Druck setzen, das System in Pjöngjang zum Einlenken zwingen. Viel zu risikoreich erscheint vielen in der Regierung die als vorschnell empfundene Zusage Trumps. Sollte am Ende gar Kim als Gewinner dastehen?
Die USA haben in 70 Jahren Nordkorea-Politik schon viele Fehler gemacht. "Seit dem Jahr 2000 sind die USA eher damit beschäftigt, Risiken zu vermeiden als Risiken zu managen", schreiben etwa die Nordkorea-Experten Siegfried Hecker und Robert Carlin von der Universität Stanford . Es sei nicht wahr, dass Nordkorea jede Abmachung gebrochen habe. Vielmehr müsse man versuchen, mehr Verständnis und Wissen über das komplexe Atomprogramm anzusammeln.
Trotz aller Schwierigkeiten: Die USA sind einem Frieden mit den Stalinisten aus Pjöngjang so nahe, wie mindestens seit dem Jahr 1994 nicht mehr. Damals hatte die Regierung von Ex-Präsident Bill Clinton die Vorarbeit geleistet, Vereinbarungen wurden unterschrieben. Nach der Wahl des Republikaners George W. Bush und für damalige Verhältnisse martialischer Rhetorik auf beiden Seiten ging alles wieder in die Brüche. Auch, weil von Clinton übergebene Geheimdienstinformationen einfach liegen gelassen worden sein sollen. Einer der Berater des Präsidenten hieß damals John Bolton.
Der ist heute Nationaler Sicherheitsberater im Weißen Haus - und als Teil der Administration selbst an einem Erfolg des Gipfels interessiert. Das könnte die Ausgangslage für Trump im Vergleich zu Clinton verbessern. Trump und seine Republikaner brauchen dringend einen großen außenpolitischen Erfolg. Die wichtigen Zwischenwahlen im November stehen an, wenn die Opposition eine Mehrheit im Kongress holt, kann Trump noch weniger frei durchregieren.
Kim Jong Un kann sich schon auf dem Flug nach Singapur zumindest an einem Etappenziel angekommen wähnen: Der bis dato Isolierte aus der "Achse des Bösen" - Ex-Präsident George W. Bush prägte 2002 den Begriff und meinte damit den Irak und Iran sowie Nordkorea - führt direkte Gespräche mit dem Präsidenten der letzten verbliebenen Supermacht. Er wird von Russlands Präsidenten Wladimir Putin eingeladen und gleich zwei Mal in Folge in China empfangen.
Aus einem jungen, vielfach belächelten Pummelchen mit eigenartigen Haarschnitt, das 2011 die Nachfolge des Vaters Kim Jong Il angetreten hatte, wurde ein respektierter Stratege. "Nordkorea ist viel rationaler als alle denken", sagte der US-Politikprofessor und Nordkorea-Experte Bruce Cumings in einem Interview.
Imagegewinn für Kim fix
Seinen Imagegewinn kann Kim sehr gut im eigenen Land verkaufen, wo sein Volk unter den Sanktionen der Weltgemeinschaft leidet - und um das bisschen Aufschwung fürchtet, das unter dem jungen Kim eingesetzt hat. Glaubt man Wirtschaftswissenschaftlern, geht es Nordkorea nach der Hungersnot 1999 inzwischen etwas besser. Es werde viel gebaut, eine gewisse Öffnung soll sogar sichtbar werden. Vor diesem Hintergrund, müssen die Atom- und Raketentests und die darauf folgenden Strafen Teil einer abgewogenen Strategie sein.
Die Atomwaffen gelten als Absicherung des Systems. "Es sind mehrere Faktoren, die den gegenwärtigen Durchbruch ermöglicht haben", sagte der Nordkorea-Experte Rüdiger Frank, der das Ostasieninstitut der Universität Wien leitet. "Kim Jong Un war durch die Fertigstellung seines Atomprogramms Ende 2017 bereit für Verhandlungen", sagte Frank in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Für Kim bietet der Gipfel mit Trump nicht nur die Chance, auf der diplomatischen Weltbühne mitzuspielen. Es ist auch die große Chance des Landes, sich aus seiner Isolation zu lösen. Trump verspricht gar eine rosige Zukunft. Kim und seiner Familie solle es gut gehen. "Er wird reich sein", sagte Trump in aller Öffentlichkeit. Der Gipfel sei eine "einmalige Chance" für den nordkoreanischen Machthaber. Eine Gelegenheit, etwas Großartiges für sein Land zu schaffen. "Diese Gelegenheit wird er nicht noch einmal haben", warnte Trump.
Voraussetzung dafür ist, auf Atomwaffen zu verzichten. Das hat außer Trump nun auch noch einmal der G7-Gipfel in Kanada bekräftigt. Nordkorea müsse "vollständig, überprüfbar und unumkehrbar" seine Massenvernichtungswaffen und Raketen sowie diesbezügliche Programme beseitigen. Solange müsse der "starke Druck" durch Sanktionen aufrechtgehalten werden. Eine Rückendeckung für Trump.
Ob Pjöngjang dazu bereit ist, gilt unter Experten als zweifelhaft bis undenkbar. Ein Atomdeal könnte beispielsweise an der Überprüfbarkeit scheitern. Wird das weithin abgeschottete Nordkorea wirklich transparent? Wird es sein gesamtes Atom- und Raketenprogramm sowie alle Anlagen offenlegen und Inspekteuren ungehindert Zutritt gewähren? Lässt sich Trump auf einen mehrjährigen Prozess synchroner Schritte ein, wie ihn Nordkorea fordert? Und reichen am Ende Gegenleistungen wie Sicherheitsgarantien, Aufhebung von Sanktionen und Wirtschaftshilfe als Anreiz aus? Fragen über Fragen.
Die Rolle eines Vermittlers kommt dabei dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In zu, der Kim im April und im Mai an der innerkoreanischen Grenze getroffen hatte. Moon gegenüber scheint Kim Vertrauen gefasst zu haben. Und Moon sei es wohl zu verdanken, dass der Prozess überhaupt zustande gekommen sei, sagte der Nordkorea-Experte Frank mit Blick auf den Trump-Kim-Gipfel.
Das historische Treffen in Singapur wird auch in Südkorea mit den größten Erwartungen verfolgt. Eine wirtschaftliche Zusammenarbeit, Familientreffen, aber vor allem ein dauerhafter Frieden auf der geteilten Halbinsel, kann aus Sicht Südkoreas nur dann vollständig gelingen, wenn Nordkorea atomar abrüstet. Das Fernziel der Wiedervereinigung hat Moon erst einmal hintangestellt. In Washington heißt es dagegen: Deutschland habe gezeigt, dass es Undenkbares nicht gibt.