Politik/Ausland

Trauer und Wut in Frankreich: Jugendliche prügeln Teenager ins Koma

Von Simone Weiler, Paris

Die Szene in dem Video ist so brutal, dass Internet-Plattformen wie Twitter es inzwischen gelöscht haben. Ein knappes Dutzend Halbwüchsiger, vermummt durch Gesichtsmasken und Kapuzenpullis, umkreisen darin in Paris einen wehrlosen Jugendlichen, treten und schlagen teils mit einem schweren Gegenstand auf ihn ein und hören auch nicht auf, als ihr Opfer schon am Boden liegt.

Yuriy soll die Täter nicht gekannt haben, wie er seiner Mutter noch auf dem Weg ins Spital sagte. Dort wurde er sechs Stunden lang operiert und mehr als eine Woche ins künstliche Koma versetzt, um sich von einem Schädeltrauma und etlichen Brüchen, unter anderem der Nase, Schultern, Rippen und Finger, zu erholen. Und dort verbrachte er auch seinen 15. Geburtstag am vergangenen Donnerstag.

"Beispielloser Angriff"

Ereignet hat sich der Vorfall bereits am 15. Jänner im Westen von Paris, unweit des Eiffelturms. Er wurde nur bekannt, weil ein anonymer Nutzer das Video einer Überwachungskamera offenbar mit dem Handy gefilmt und online gestellt hatte. Seither geht eine Welle des Mitgefühls und der Empörung durch Frankreich.

Sie sei „ schockiert von dem beispiellosen Angriff“, sagte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Der Stadtteil-Bürgermeister, Philippe Goujon, forderte mehr Polizei-Präsenz: In der betroffenen Gegend zogen öfter schon Gruppen junger Leute herum und dealten. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen klagte die Regierung als mitverantwortlich an: „Müssen wir uns an solch barbarische Lynch-Aktionen gewöhnen?“ Vor einem Jahr war ein 14-Jähriger in Paris bei Straßenkämpfen unter Jugendlichen gestorben.

Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin versprach, die Untersuchung wegen versuchten gemeinschaftlichen Totschlags solle dazu führen, „die Urheber dieser schändlichen Tat festzunehmen“. Gelungen ist dies noch nicht. Medien zufolge gehen die Ermittler der Spur rivalisierender Jugendbanden nach, die sich Yuriy möglicherweise als zufälliges Opfer ausgesucht haben. Der Teenager selbst galt als unauffällig, war der Polizei nicht bekannt. An besagtem Abend soll er mit Klassenkameraden aus der Schule gekommen sein. Unklar erscheint, warum er um 18.30 Uhr noch unterwegs war, trotz der in Frankreich geltenden Sperrstunde um 18 Uhr.

Appell der Mutter

In den ersten Tagen nach der Tat plakatierte Yuriys Mutter, eine gebürtige Ukrainerin, im Viertel Aufrufe, dass sich etwaige Augenzeugen der Tat melden sollen. Ihrem Sohn gehe es besser, sagte sie nun im Fernsehen. Wahrscheinlich sei er nicht gelähmt. Aber ob er sich künftig noch an seine Familie erinnern, sprechen und wie zuvor Fußball spielen könne? „Das weiß keiner. Dafür ist es noch zu früh.“

"Das ist gefährlich"

Inzwischen gebe es viele Zeugenaussagen, sagte die Mutter und appellierte an die Polizei, sich mit ihrer Arbeit zu beeilen, um neuerliche Gewalt-Exzesse zu verhindern: „Sie sind noch auf der Straße unterwegs, das ist gefährlich.“

Auch Prominente haben ihr Entsetzen und ihre Anteilnahme ausgedrückt. „Unerträgliche Bilder. Hab Kraft, Yuriy“, schrieb etwa der Fußballprofi Antoine Griezmann auf Twitter, gefolgt vom Schauspieler Omar Sy: „Gute Besserung für dich, Yuriy, ich denke fest an dich und die Deinen.“ Yuriys Kameraden seines Fußballclubs stellten sich für ein Foto zu einem „Y“ auf dem Rasen auf.