Politik/Ausland

Reise in ein Land, das es gar nicht gibt

Machen Sie bitte schnell“, drängt Marina Bykowa. Die routinierte Russisch-Dolmetscherin weiß, dass die Polizisten in Tiraspol nicht gut auf Ausländer zu sprechen sind, die vor dem Parlament anhalten und Fotos von der riesigen Lenin-Statue machen. „Das letzte Mal haben wir deswegen Stunden auf der Polizeistation verbracht.“

Die Stadt ist stolz auf ihren wuchtigen Lenin, wohl eine der weltweit letzten Statuen vom früheren sowjetischen Herrscher. Und doch ist es den raren Besuchern Transnistriens verboten, Lenin zu fotografieren – ebenso wie Brücken, Polizisten und, schon gar nicht, die schwer bewaffneten 1500 russischen Soldaten in der Region.

Das tief verschneite Tiraspol, Hauptstadt Transnistriens, mutet mit seinen grauen Betonblöcken, den abblätternden Plakatparolen über die Glorie des werktätigen Volkes und roten Sternen an wie ein Freilichtmuseum der untergegangenen Sowjetunion.

Mehr als zwanzig Jahre nach dem Zerfall der UdSSR begegnen die transnistrischen Behörden westlichen Besuchern auch heute noch mit Argwohn. Zahlreiche Gesuche muss stellen, wer einreisen will, Akkreditierungsformulare ausfüllen und geduldig in kahlen, post-sozialistischen Büros darauf warten, dass grünes Licht erteilt wird.

Transnistrien hat sich Anfang der Neunziger Jahre von Moldawien losgesagt. Der Konflikt ist bis heute ungelöst, internationale Verhandlungen führen kaum zu Fortschritten. Die Region am östlichen Rand Europas hat alles, was ein Staat braucht: Staatschef, Parlament („Ober-ster Sowjet“), eigene Währung, Flagge – mit Hammer und Sichel. Doch kein Land erkennt sie als Staat an, nicht einmal Russland. Mit großzügiger finanzieller Unterstützung, ohne die Transnistrien nicht überleben könnte, leistet sich Moskau aber einen letzten treuen Satellitenstaat in Osteuropa.

Bittere Armut

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Die große Mehrheit der 500.000 Bewohner Transnistriens bezahlt den Realsozialismus mit bitterer Armut. So wie Rada, alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Zwölf Stunden arbeitet die 30-Jährige jeden Tag auf dem Gemüsemarkt von Tiraspol und verdient mit ihrem Tageslohn von umgerechnet drei Euro bei Weitem nicht genug, um die Familie durchzubringen. „Gegen Ende des Monats“, erzählt sie, „esse ich dann weniger oder gar nichts mehr, damit wenigstens die Kleinen etwas haben.“

Wären ihre Kinder wochentags nicht in einem Tagesheim der Caritas untergebracht, könnte Rada nicht einmal arbeiten. So aber hofft sie auf einen Zweitjob – putzen in einem Nachtclub. Mit monatlich umgerechnet 50 Euro greift ihr der „Staat“ unter die Arme. Zu wenig, um die Miete für ihre heruntergekommene Einzimmerwohnung mit Klo und Kochgelegenheit am Gang zu zahlen.

Mit Schmuggel, illegalen Geschäften und Korruption haben andere hingegen ein Vermögen gemacht – allen voran Transnistriens im Vorjahr abgewählter Langzeit-„Präsident“ Igor Smirnow. Mehr als zwanzig Jahre lang zogen Smirnow und sein Sohn – Zollchef des Landes – die Fäden bei „Sheriff“, dem größten Konzern des Landes. Tankstellen, Supermärkte, TV-Stationen, ein 200 Millionen Euro teures Fußballstadion und der einzige Mobilfunkbetreiber – praktisch alles, was in Transnistrien Wert hat, gehört „Sheriff“ und nährte damit den Wohlstand des Smirnow-Clans. Dessen Gier wurde schließlich so untragbar, dass ihn zuletzt sogar Moskau fallen ließ.