Anstaltsleiter nach Suizid: Alles nach Vorschrift gelaufen
Der mutmaßliche Selbstmord des Terrorverdächtigen Jaber al-Bakr in einer Leipziger Gefängniszelle wirft viele Fragen auf. Schon seiner Verhaftung gingen grobe polizeiliche Pannen voraus. Das sächsische Justizministerium hat nun die Vorwürfe zurückgewiesen, die Selbsttötung hätte verhindert werden können. Nach jetzigem Stand habe man alles getan, um das zu vermeiden, beteuerte Minister Sebastian Gemkow.
Gemkow und Anstaltsleiter der Justizanstalt Leipzig, Regierungsdirektor Rolf Jacob, gaben vor kurzem eine Pressekonferenz zu den näheren Umständen des Suizids.
Minister Gemkow stellte klar: "Aufgrund der Gefährlichkeit des Gefangenen und der Gefahr der Selbsttötung wurden Sicherheitsmaßnahmen verfügt." Außerdem: "Mit dem Gefangenen wurden Gespräche geführt, um sich ein Bild von seiner Person zu machen." Bei einem Gespräch mit einer Psychologin wurde allerdings keine Suizidgefahr festgestellt. Sie habe aber keine Erfahrung mit Terroristen besessen, gestand Anstaltsleiter Jacob ein. Bei einem Kontrollgang um 19:45 Uhr am Mittwochabend soll eine Justizwachebeamtin den Gefangenen erhängt vorgefunden haben. Al-Bakr soll sich mit seinem eigenen T-Shirt an einem Gitter erhängt haben. Reanimierungsmaßnahmen blieben erfolglos. Um 20:15 Uhr stellte die Notärztin den Tod fest. Die Ermittlungen werden vorort durch die Staatsanwaltschaft geführt.
Minister: Fremdverschulden wird ausgeschlossen
Der Gerichtsmediziner hat laut Gemkow ein Fremdverschulden ausgeschlossen. Eine Obduktion soll gerade stattfinden. Der Selbstmord des Terrorverdächtigen hätte aus Sicht des sächsischen Justizministers nicht geschehen dürfen. "Es ist aber leider geschehen", sagte Gemkow. Nach jetzigem Stand habe man aber alles getan, um eine Selbsttötung zu verhindern.
Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann machte allerdings deutlich, dass allen Hinweisen auf mögliches Fremdverschulden nachgegangen werde. Die Situation in der Zelle sei nach der Selbsttötung und durch die Reanimationsversuche "nicht mehr ganz hundertprozentig zu klären" gewesen.
Anstaltsdirektor: Keine Hinweise auf Selbstmordgefahr
Al-Bakr sei in seiner Gefängniszelle in Leipzig zunächst alle 15 Minuten kontrolliert worden, führte Anstaltsleiter Jacob weiter aus. Er wiederholte, dass es keine Hinweise auf eine akute Suizidgefährdung gegeben hätte. Nach einer Beratung mit einer Psychologin seien die Kontrollintervalle in der Zelle von 15 auf 30 Minuten erhöht worden. Laut Jacob fand die letzte reguläre Kontrolle um 19:30 Uhr statt. Gegen 19:45 Uhr machte die Justizwachebeamtin dann einen außerplanmäßigen Rundgang und fand den Toten.
Die Möglichkeit den Häftling in einem besonders gesicherten Haftraum unterzubringen, wurde Jacobs Ausführungen nach ausgeschlossen, da es eben keine Hinweise auf eine Selbstmordgefahr gegeben hätte. Al-Bakr wurde deshalb in einem normalen Haftraum und ohne besondere Bewachung untergebracht.
Anstaltsleiter: "Vandalismus" in der Zelle
Jacob berichtete weiter, dass Al-Bakr noch am Dienstag eine abgerissene Deckenlampe in seiner Zelle gemeldet hatte. "Man hat das als Vandalismus eingestuft." Im Sinne einer Suizidgefährdung sei das nicht gedeutet worden. Später sei bemerkt worden, dass auch eine Steckdose manipuliert gewesen sei.
Auch al-Bakrs Hungerstreik - der Gefangene hatte seit Montag alle Nahrungsmittel abgelehnt und nur ein Glas Wasser zu sich genommen - hätte keinen Verdacht auf Suizidgefährdung geweckt, sagten die Verantwortlichen bei der Pressekonferenz.
Anstaltsdirektor: Dolmetscher wurde auf morgen verschoben
Bei al-Bakrs Einlieferung in die Justizanstalt Leipzig war außerdem kein Dolmetscher anwesend, obwohl die Verständigung laut Jacob nur "sehr eingeschränkt" möglich gewesen sein soll. Bei "10 bis 15 Zugängen" gebe es nicht für jeden die Möglichkeit einen Dolmetscher zu stellen, erklärte Jacob.
Eine Befragung wegen der Steckdose und der Deckenlampe war mangels Dolmetscher auch nicht möglich.
Minister: Rücktritt ausgeschlossen
Sachsen Justizminister übernimmt für die Geschehnisse die Verantwortung, schließt aber auf Nachfrage von Journalisten seinen Rücktritt aus.
Jacob stellte zum Schluss in den Raum, man sei womöglich etwas "zu gutgläubig" gewesen. Es sei aber "alles so gelaufen, wie es die Vorschriften" verlangen.
Pannen bei der Festnahme
Drei syrische Landsleute hatten den gesuchten Al-Bakr am Montag erkannt, überwältigt und der Polizei in Leipzig gefesselt übergeben. In seinen Vernehmungen bezichtigte er nach dpa-Informationen die drei Syrer der Mitwisserschaft.
Am Samstag war bereits ein erster Versuch der Polizei, Al-Bakr in Chemnitz festzunehmen, gescheitert. In der Wohnung dort fand die Polizei 1,5 Kilogramm des hochgefährlichen Sprengstoffs TATP.
Der Wohnungsmieter wurde als mutmaßlicher Komplize verhaftet. Er sitzt in der Justizvollzugsanstalt Dresden in Untersuchungshaft und wird nun wegen möglicher Suizidgefahr durch eine Sitzwache dauerhaft kontrolliert, wie das Justizministerium mitteilte.
Ermittlungen zu Hintergründen gehen weiter
Das Verfahren gegen den 22-Jährigen habe sich erledigt, sagte der Sprecher der deutschen Bundesanwaltschaft, Stefan Biehl, Donnerstagvormittag in Karlsruhe. Die Ermittlungen zu dem mutmaßlich durch den anerkannten Flüchtling geplanten Sprengstoffanschlag auf einen Berliner Flughafen würden aber in gleicher Intensität weitergeführt, um die Hintergründe aufzuklären.
De Maiziere fordert umfassende Aufklärung
Verteidiger spricht von "Justizskandal"
Al-Bakrs Pflichtverteidiger Alexander Hübner äußerte im Deutschlandfunk großes Unverständnis darüber, dass es in diesem Fall zu einem Selbstmord kommen konnte. Es komme häufiger zu Suiziden und Suizidversuchen in Justizvollzugsanstalten. "Nur in diesem speziellen Fall bin ich einigermaßen fassungslos, weil ich schon davon ausgegangen bin, dass aufgrund der Gesamtumstände, die ja auch bekannt waren - ich meine zum Beispiel den Hungerstreik und die angebliche Motivation, die dann dahinter gesteckt hat -, eine besondere Beobachtung stattfindet", sagte Hübner.
19. Februar 2015: Der Syrer reist nach Deutschland ein, wird in München registriert und zur Erstaufnahme in Chemnitz weitergeleitet.
10. März: Al-Bakr zieht nach Eilenburg in Nordsachsen
9. Juni: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gibt dem direkt am 19. Februar gestellten Asylantrag von al-Bakr statt. Der Syrer erhält einen auf drei Jahre befristeten Aufenthaltstitel.
September 2016: Der Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz werden auf den 22-Jährigen aufmerksam. Der Syrer recherchiert im Internet über die Herstellung von Sprengsätzen und beschafft - vermutlich mit einem Komplizen - die Grundstoffe dafür.
6. Oktober: Das Bundesamt für Verfassungsschutz macht Al-Bakr als Schlüsselfigur eines geplanten Anschlages der Terrororganisation "Islamischer Staat" in Deutschland aus. Er soll sich gegen Züge oder Berliner Flughäfen richten. Al-Bakr wird rund um die Uhr observiert.
7. Oktober: Der Syrer will Heißkleber kaufen, für die Ermittler das Signal, dass er eine Bombe fertigstellen will. Der Verfassungsschutz benachrichtigt die Polizei in Chemnitz.
8. Oktober: Die Polizei versucht, Al-Bakr in der Wohnung eines Bekannten festzunehmen, doch er kann flüchten. Die Beamten stellen dort Sprengstoff sicher. Der Mieter der Wohnung wird als mutmaßlicher Mittäter festgenommen.
9./10. Oktober: Die deutsche Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zieht die Ermittlungen an sich. Die Polizei fahndet weiter deutschlandweit nach Al-Bakr, der bis Leipzig kommt. Ein Syrer nimmt ihn auf, erkennt ihn aber und holt Freunde. Gemeinsam überwältigen sie Al-Bakr und übergeben ihn der Polizei.
10. Oktober: Ein Gericht erlässt Haftbefehl wegen Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.
12. Oktober: Der Syrer wird erhängt in seiner Zelle in der Leipziger Justizvollzugsanstalt gefunden.