Der Krieg ist nun an der Schwelle zur EU und NATO
Von Walter Friedl
Am Sonntagmorgen hat Russland die ukrainische Militärbasis Jaworiw angegriffen, nur 15 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Mehr als 30 Raketen sollen auf die Einrichtung niedergegangen sein. Die Bilanz laut ukrainischen Angaben: mindestens 35 Tote und 134 Verletzte.
Mit dieser Attacke hat sich der Krieg an die Schwelle zur EU und NATO ausgebreitet. Mehr noch – mit dem Bombardement hat Kremlchef Wladimir Putin tote Amerikaner und Briten zumindest in Kauf genommen. Denn auf dem riesigen Areal (225 Quadratkilometer) hatten früher ausländische Kräfte ukrainische Soldaten ausgebildet. Die russischen staatstreuen Medien hatten Jaworiw fälschlicherweise gar als NATO-Basis bezeichnet.
Zuletzt diente das Militärlager als Sammelpunkt für Ausländer, die zur Verteidigung der Ukraine ins Feld ziehen wollen. Und als Erstanlieferungsstelle für Kriegsgerät aus den USA, Großbritannien oder Deutschland.
Moskau spricht denn auch von bis zu 180 getöteten „ausländischen Söldnern“ sowie der Zerstörung einer großen Menge aus dem Westen gelieferter Waffen. Trockene Reaktion der USA nach dem Angriff: noch mehr Luftabwehrsysteme für die Ukraine.
Rund um Kiew versuchten russische Verbände, die ukrainische Hauptstadt auch vom Osten her zu blockieren. Die Verwaltung teilte mit, dass sie Lebensmittelvorräte angelegt habe, um die zwei Millionen Menschen, die sich noch in der Kapitale aufhalten sollen, zumindest zwei Wochen lang zu ernähren. Zu heftigen Kämpfen kam es auch wieder im Nordwesten der Stadt, bei denen ein amerikanischer Journalist getötet wurde, ein Landsmann und Kollege wurde verletzt.
Mariupol heftig umkämpft
Heftigst umkämpft war am Wochenende weiterhin die Hafenstadt Mariupol, wo an die 400.000 Menschen eingeschlossen sind – ohne Wasser, ausreichend Nahrung, Strom und Heizung. Fast 2.200 Bewohner sollen bereits im russischen Dauerfeuer getötet worden sein. Satellitenbilder zeigen das Ausmaß der Zerstörung: Ganze Viertel wurden dem Erdboden gleichgemacht. Schon fünf Versuche, Hilfsgüter nach Mariupol hinein und Menschen hinaus zu bringen, scheiterten. Da auch eine Moschee beschossen worden sein soll und sich Türken in der Stadt befinden, wandte sich der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoğlu direkt an seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow.
Der „Kessel von Mariupol“, wie das russische Staatsfernsehen RT formuliert, gilt Militärexperten als Blaupause für andere Metropolen: Weil sich der schnelle Erfolg nicht einstelle, würden die Metropolen de facto dem Erdboden gleichgemacht – eine Strategie, die Putin bereits in Grosny (Tschetschenien) oder Aleppo (Syrien) anwenden ließ, mit verheerenden Folgen für die Menschen dort.
Widerstand in der Südukraine
Ähnlich agiert die russische Streitmacht des Kremlchefs vor der südukrainischen Großstadt Mikolajiw: „Neun Menschen starben infolge der Bombardierung durch die Arschlöcher“, schrieb Witalij Kim, Gouverneur der Region, auf Telegram. Fällt die 500.000-Einwohner-Metropole, ist der Weg frei für die Eroberung des Schwarzmeerhafens Odessas, was die Ukraine von jeglichem Meereszugang abschneiden würde.
In der Region konnten die Invasoren bereits die Stadt Cherson einnehmen. Doch die Bevölkerung leistet Widerstand: Statt eine eigenständige „Volksrepublik“ auszurufen, wie in Donezk oder Lugansk, widersetzten sich die Lokalparlamentarier den Wünschen Putins. Bei einer virtuellen Sitzung bekräftigten sie die Zugehörigkeit zur Ukraine. Im Zentrum demonstrierten Tausende und riefen den Besatzern zu: „Geht nach Hause!“
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