Putin sucht neue Strahlkraft im Krieg
Von Elke Windisch
Die Stimme des Frontberichterstatters überschlägt sich vor Begeisterung. Doch was er sagt, geht unter im Dröhnen der Motoren. Schwere Jagdbomber fliegen ihren ersten Einsatz gegen Stellungen des "Islamischen Staates". Der Kameramann hat sie im Gegenlicht fotografiert und die Szene mit einem Tobacco-Filter vor dem Objektiv mystisch-erhaben verfremdet. Poetisch kommen auch die Bilder aus dem Kaspischen Meer daher, wo die russische Kriegsmarine im Abendlicht Marschflugkörper abfeuert, die ihre Ziele im 1500 km entfernten Syrien punktgenau treffen.
Doch die Macht der Bilder entwickelt eine Eigendynamik. Von einem kollektiven patriotischen Vollrausch wie bei der kampflosen Inbesitznahme der Krim ist die Nation weit entfernt. Die Syrien-Berichterstattung erinnert viele nicht etwa an den siegreichen Fünf-Tage-Krieg, den Russland sich im August 2008 mit Georgien um dessen abtrünnige Region Südossetien lieferte, sondern an Moskaus Einmarsch in Afghanistan 1979. Wie jetzt in Syrien war damals von einem begrenzten Kontingent für eine zeitlich begrenzte Mission die Rede. Sie dauerte fast zehn Jahre und war aus Sicht vieler der Anfang vom Ende der Sowjetunion.
Zweifel an Mission
Auf der Krim, in der Ostukraine, in Südossetien war das klar: Für die Rechte der überwiegend russischsprachigen Bevölkerung. In Syrien dagegen geht es um Basen für ständige Marinepräsenz im östlichen Mittelmeer, um den Praxistest für neueste Waffen und "Menschenmaterial" und um den Wiederaufstieg zur Supermacht, die den Westen zur Lockerung der Sanktionen zwingt.
Schwer zu vermitteln
Das ist den Massen, weil der emotionale Bezug fehlt, schwerer zu vermitteln. Auch wissen Wladimir Putin und dessen Polittechnologen nur zu gut, dass vor allem der Ölpreisverfall und unerledigte Strukturreformen für die derzeitige wirtschaftliche Misere verantwortlich sind. Der Kremlchef weiß aber auch, dass allein die Möglichkeit größerer militärischer Auseinandersetzungen schon des Öfteren Preise für Rohstoffe in die Höhe trieb. Die Börsen reagierten auch jetzt reflexartig. Doch Öl- und Metallwerte zogen nicht etwa nach Moskaus ersten Luftschlägen an, sondern erst, als Wladimir Komojedow, der Chef des Duma-Verteidigungsausschusses, sich für eine Boden-Operation ins Zeug legte.
Der Admiral a.D. hat das Kriegshandwerk von der Pike auf gelernt und weiß, dass allein mit Luftschlägen noch kein Krieg gewonnen wurde. Er weiß aber auch, was Bodenkämpfe kosten und will daher Freiwillige ins Feuer schicken, die, wie Putins Sprecher andeutete, dem russischen Steuerzahler nicht auf der Tasche liegen würden. Für Technik und Logistik muss Iwan Normalverbraucher dennoch aufkommen.
Eskalations-Risiko
Bei einer Boden-Operation indes laufen nicht nur die Kosten aus dem Ruder. Auch das Eskalations-Risiko steigt um ein Vielfaches. In Syrien zumal, wo eine Einheitsfront Russland und der USA gegen den IS gescheitert ist. Nun gibt es zwei Koalitionen, die miteinander konkurrieren. Nicht abstrakt wie 2008 im Südkaukasus, sondern real. Und war das Verhältnis Russland/NATO damals noch halbwegs im Lot, ist es jetzt so schlecht wie nie seit Ende des Kalten Krieges. Was, wenn einem russischen oder einem US-Piloten, die sich auf Sichtweite begegnen, die Nerven durchgehen?
Auch die junge Freundschaft mit Ankara, nach Verletzungen von türkischem Luftraum durch russische Kampfjets ohnehin bereits ramponiert, könnte daran scheitern. Und damit auch die Schwarzmeer-Pipeline Turkstream, mit der Russland Südosteuropa unter Umgehung der Ukraine mit Gas beliefern will. Ambitionen, auf dem Balkan wieder jene Rolle zu spielen wie das Russische Reich vor dem I. Weltkrieg, hätten sich dann erledigt.
"Wir", warnt Leonid Gozmam, der zum Urgestein der liberalen Opposition zählt, in einem Gastkommentar für die Wirtschaftszeitung Wedomosti, "werden die Suppe noch jahrzehntelang auslöffeln müssen".
Schicksalsgemeinschaft
Der Kampf gegen das Böse, schreibt er, sei den Chefs so egal wie Stalin beim Kampf gegen Hitler die Freiheit Europas. Doch der Krieg gegen IS könne die fragmentierte russische Gesellschaft wieder zu einer Schicksalsgemeinschaft wie in der Stalin-Ära zusammenschweißen. Zu einem Monolithen ohne Opposition, ohne offen artikulierte Unzufriedenheit, dessen Führungspersonal sich angesichts der Bedrohungen für nichts verantworten müsse. Nicht für sinkenden Lebensstandard, nicht für Inflation, nicht für Kürzung der Ausgaben für Bildung und Gesundheit.
Auch Putins Paladine, die heimlich murren, würden "begreifen, dass es noch zu früh ist, sich aus der Deckung zu wagen und dass man daher weiter treu und selbstlos dienen müsse". Wie lange, hänge von der Länge des Krieges ab. Menschenopfer zählen dabei nicht. Die, so Gozman weiter, habe man in Russland schließlich nie gezählt.