Politik/Ausland

Grenzstadt zur Türkei droht zu fallen

Es sind groteske Szenen. Auf einem Hügel auf der türkischen Seite der Grenze direkt am Grenzzaun nahe der syrischen Stadt Kobane – oder arabisch Ain al-Arab – sitzen Flüchtlinge und verfolgen den Krieg, dem sie entflohen sind, wie ein blutiges Fußballmatch. Hier, die anrückenden Verbände des IS, dort die verschanzten Verteidiger, kurdische Milizen. Es gibt Artilleriegefechte, Maschinengewehrfeuer ist zu hören, Rauch steigt auf.

Kobane ist eine strategisch wichtige Grenzstadt. Seit Beginn des Bürgerkriegs wurde sie von kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehalten. Seit einem Jahr versucht der IS sie einzunehmen. Bisher vergeblich. Dieser Tage aber – ausgerechnet, während eine internationale Koalition Luftangriffe auf Stellungen des IS auch um Kobane fliegt – droht die Stadt zu fallen. Laut Angaben des IS stehen Einheiten der Islamistenmiliz bereits in den südlichen Vorstädten, während man auch von Westen und Osten vorrücke. Samstagabend flogen die ersten Raketen der IS-Miliz auf die Stadt, zwölf Personen wurden verletzt, hunderte flohen über die Grenze. Von einem "letzten Vorstoß" ist die Rede. Und auch kurdische Quellen klingen nicht gerade optimistisch. Schon rein materiell sind die YPG dem IS weit unterlegen.

Der türkischen Führung bereitet der Krieg um Kobane derweil ganz anderwärtig Kopfzerbrechen. In der vergangenen Woche war die Stadt zum wichtigsten Tor für Flüchtlinge aus Syrien in die Türkei geworden. 140.000 Menschen retteten sich über den Grenzposten – mehrheitlich Kurden. Auch das Gebiet auf der türkischen Seite der Grenze ist mehrheitlich kurdisch. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gab zu Wochenbeginn zudem bekannt, sollte Kobane fallen, müsse man sich auf eine Flüchtlingswelle von bis zu 400.000 Menschen gefasst machen. All das, während die Türkei ohnehin bereits 1,5 Mio. Flüchtlinge aus Syrien beherbergt.

Auseinandersetzungen an der Grenze

Es sind aber auch Bewegungen in die Stadt, die der Türkei Sorgen bereiten. Die kurdische Arbeiterpartei PKKTürkeis Staatsfeind Nummer eins – hat zur Mobilmachung für Kobane aufgerufen. Kurden mit türkischem Pass, die Kobane verteidigen wollen, wurden aber an der Grenze zurückgewiesen. Auch Kurden mit syrischem Pass sollen nicht über die Grenze gelassen worden sein. Ebenso verhält es sich mit Nachschub für die umzingelten YPG-Kämpfer. An der Grenze kommt es seit Tagen immer wieder zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei sowie der Armee. Dabei kamen Tränengas und Wasserwerfer zum Einsatz. An einigen stellen wurde der Grenzzaun niedergerissen. Seitens kurdischer Verbände wird der türkischen Führung seither vorgeworfen, für die Belagerung von Kobane mitverantwortlich zu sein. So in einer Aussendung des "Kurdischen Zentrums für Öffentlichkeitsarbeit", in der NATO, EU und internationale Institutionen aufgerufen werden, ein "mögliches Massaker" in Kobane zu verhindern.

Die Ironie an der Sache: Es sind vor allem kurdische Kräfte, die im Irak und in Syrien die Hoffnungsträger der USA und ihrer Verbündeten im Kampf gegen den IS sind. Formell befindet sich das NATO-Land Türkei nicht in dieser Allianz, hat eine Beteiligung aber nicht ausgeschlossen. Wie US-Generalstabschef Martin Dempsey sagte, werden Luftschläge nicht reichen, um den IS zu besiegen. Er spricht von einer Rebellentruppe von 12.000 bis 15.000 Mann, die man benötigen werde. Jetzt sollen einmal 5000 bewaffnet und ausgebildet werden. Die Rede ist von moderaten syrischen Rebellengruppen – auf kurdische Verbände wird man aber letztlich schon garnicht im Irak aber auch nicht in Syrien verzichten können.

Die US-geführten Luftschläge in Syrien könnten nach Angaben von Menschenrechtlern auch Zivilisten getroffen haben. Mindestens sieben Menschen, darunter fünf Kinder, seien bei einem US-Angriff auf ein nordsyrisches Dorf am letzten Dienstag getötet worden, meldete Human Rights Watch (HRW) am Sonntag unter Berufung auf drei Augenzeugen.

Demnach sei in den Morgenstunden des Dienstags ein US-geführter Luftangriff auf Stellungen der islamistischen Al-Nusra-Front nahe der nordsyrischen Stadt Idlib erfolgt. Dabei seien auch zwei Wohnhäuser in einem Dorf bombardiert worden, das einen Kilometer von dem Islamistenstützpunkt entfernt war. Pentagon-Sprecher John Kirby hatte bereits am Donnerstag versprochen, den Vorfall zu untersuchen. Er sehe jedoch "keine glaubwürdigen Berichte" für den Tod von Zivilisten.

Die US-Luftwaffe fliegt mit arabischen Verbündeten seit Dienstag Angriffe in Syrien. Zuvor hatten sich die USA primär auf Stützpunkte der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) im Irak konzentriert. Die Al-Kaida nahestehende Al-Nusra-Front hatte in einer Samstagnacht im Internet veröffentlichten Audiobotschaft Angriffe auf mit den USA verbündete Länder angekündigt.

Das österreichische Außenministerium reagiert auf die dieser Tage um die Welt geisternden Gefahrenhinweise. Am Samstag veröffentlichte es in einem ungewöhnlichen Schritt einen weltweiten Sicherheitshinweis. "Es besteht derzeit weltweite eine erhöhte Gefahr terroristischer Anschläge und Entführungen", heißt es auf der Homepage des Ministeriums.

Einen ähnlichen Sicherheitshinweis hat auch das deutsche Außenministerium auf seiner Homepage veröffentlicht.

In dem österreichischen Schreiben ist davon die Rede, dass Orte mit Symbolcharakter, wie etwa Regierungs- und Verwaltungsgebäude, Verkehrsinfrastruktur, Wirtschafts- und Tourismuszentren, Hotels, Märkte, religiöse Versammlungsstätten sowie generell größere Menschenansammlungen derzeit vorrangige Anschlagsziele seien. Es könne dabei zu Sprengstoffanschlägen, Angriffen mit Schusswaffen, Entführungen und Geiselnahmen kommen.

Der Grad der terroristischen Bedrohung sei dabei aber von Land zu Land unterschiedlich, so das Außenministerium. Erhöhte Anschlagsgefahr bestehe insbesondere in Ländern und Regionen mit einschlägiger Vorgeschichte. Nähere Informationen über Terrorgefahren und Reisewarnungen fänden sich in den länderspezifischen Reise- und Sicherheitshinweisen. Das Außenministerium empfiehlt zudem allen Reisenden nachdrücklich ein möglichst sicherheitsbewusstes und situationsgerechtes Verhalten.

Laut dem Innenministerium hat sich an der Terrorgefahr innerhalb Österreichs nicht verändert. Auf Anfrage des KURIER sagt ein Sprecher ,wenn man die Ereignisse in der Welt derzeit beobachte, so bemerke man aber doch eine andere Bedrohungslage als noch vor einigen Monaten. Eine konkrete Gefährdung Österreich besehe jedoch nicht.

Vor allem die in Syrien ansässige, der El Kaida nahe stehende Islamistengruppe Khorasan steht derzeit im Focus. Der Chef der US-Transportsicherheitsbehörde John Pistole nannte die Gruppe eine "klare und präsente Gefahr für die Zivilluftfahrt". Die Gruppe soll laut Pistole vor allem an Sprengsätzen gearbeitet haben, die an Sicherheitskontrollen in Flughäfen vorbeigeschmuggelt werden können.